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Schlusse des 21. Art. hinzu: So denn dieselbige Wahrheit in heiliger Schrift klar gegründet und dazu auch gemeiner, christlicher, ja römischer. Kirche, so viel aus der Väter Schriften zu ver? merken, nicht zuwider noch entgegen ist: so ach ten wir auch, unsere Widersacher können in obenangezeigten Artikeln nicht uneinig mit uns seyn. So nun von den Artikeln des Glaubens in unsern Kirchen nicht gelehret wird zuwis der der heiligen Schrift oder gemeiner, christlicher Kirche, sondern allein etlicher Mißbräuche, welche zum Theil mit der Zeit selbst eingerissen, zum Theil mit Gewalt aufgericht u. s. w.

Hieraus erhellt, daß in der Lehre nach der Ueberzeugung der Reformatoren gar keine Ver änderung oder Neuerung Statt findet, und in dies ser Hinsicht die lutherische Lehre die alte der Kirche ist. Die Katholischen könnten also nur dann ihnen widersprechen, wenn sie mit sich selbst

nämlich mit der alten, christlichen Kirche im Widerspruche wären. Nur rücksichtlich einiger Gebräuche und kirchlichen Einrichtungen, die sich entweder auf die Tradition stüßten, oder erst späterhin in der Kirche aufgekommen oder gewalts sam eingeführt waren, sollten ihre Gegner die Gründe hören, denen die Reformatoren bei Abschaffung der sogenannten Mißbräuche gefolgt seien. Es waren also nicht alle Gebräuche, welche die Reformatoren abschafften; es waren nur die schädlichen. Dieß konnte aber keinen Vorwurf

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der Trennung begründen, weil von der Einförs migkeit in den Gebräuchen nicht das Heil der Kirche abhängt (Art. 7.) und weil auch die alte Kirche sich hierin frei bewegt hat. (Art. 26.) Aber eben diese schädlichen Gebräuche machten einen Hauptbestandtheil der herrschenden Kirche aus, hatten sogar den Lehrbegriff verändert und mußten deßhalb großen, Widerspruch erwarten. Daraus ergab sich die von der herrschenden Kirche über die Protestanten ausgesprochene Verdammung. Die Kirche, welche jezt den Namen der katholis schen führte, wieß mit Verachtung die gegebene Zurechtweisung von sich, leugnete zwar nicht alle Mißbräuche hinweg, stellte einige ab z. B. die Vers käuflichkeit des Ablasses, milderte, wo es mit ihren Absichten, oder mit ihren Einsichten im Einklange war, den Lehrbegriff, z. B. in der Lehre von den guten Werken (vgl. Art. 20.), aber verdammte die wieder erstandene, ächt katholische Kirche, und dies ser blieb nichts übrig, als ihr Daseyn mühsam zu erstreiten, und fortwährend wider Alles, was mit der heiligen Schrift im Widerspruch ist, zu protestiren. Daher nehmen wir Protes stanten auch Theil an der Einen, Heiligen, Allgemeinen, Apostolischen Kirche. Unsere Einheit ist durch Glauben an Christum sichtbar in der christlichen Liebe. Diese Liebe kann bestes hen, wenn auch Meinungen und Gebräuche noch so verschieden sind (Art. 7.); sie vereinigt die Lies benden zu Einer Gemeinde mit dem Urquell aller

Liebe, als ihrem Oberhaupte und Hirten. Uns sere Heiligkeit besteht in der Heiligkeit der Ger sinnung und des Wandels, deren sich die Gläubis gen befleißigen. Unsere Allgemeinheit besteht in der Aufnahme Aller, die durch Christum selig werden wollen; unser apostolischer Ursprung gründet sich auf das Bestreben, die äußere Kirche der apostolischen Einrichtung gemäß zu bestimmen, durch die Predigt des Evangeliums und Austhei lung der Sacramente. Unsere Kirche ist aber im Gegensahe zur jezigen katholischen und zu andern christlichen Kirchen (denn wir erkennen alle Pars teien, die Christi Lehre predigen, als christliche an) vorzugsweise die evangelische zu nennen, ins dem wir den Glauben an die Versöhnung des Menschen mit Gott durch Christum als die wichtigste Lehre für jeden Christen und als das eins zige Erwerbungsmittel seiner Seligkeit hervors heben, und alle übrigen Lehren als durch sie bes dingt erachten.

b) zur sichtbaren, damaligen und jezigen katholis schen Kirche.

Durch zwei Punkte unterscheidet sich der Protestantismus, wie er in der Confession ausgedrückt ist, von der sichtbaren, katholischen Kirche

1) im Lehrbegriffe durch die in ihrer ganzen Tiefe und Consequenz von den Protestanten aufgefaßte Lehre vom Glauben; sie war auch der eigentliche Stein des Anstoßes, weil dem gepries

senen Werthe der guten Werke Eintrag geschah, und der herrschendeu Kirche eine Menge äußerer Vortheile, ja der größte Theil des äußern Ansehens und Einflusses auf die Kirchenglieder entzogen wurde. Der menschliche Wille mußte Gott gegen: über seine ganze Nichtigkeit erkennen, und seine Freiheit und Herrlichkeit in der Unterordnung uns ter die Gnade Gottes finden. Was aber auf der einen Seite der menschlichen Kraft entzogen schien, das wurde ihr wieder durch den Glauben an Christum geschenkt und in ihm die Gnade und Freiheit vermittelt. Und diese tiefe Lehre, welche zugleich das erste Bedürfniß des Menschen und oft und nachdrücklich von Christo gelehrt ist, wurde der Kern des ächten Protestantismus, und der Punkt, um den sich von nun an die ganze Schrifterklärung, ja selbst die Denk- und Handlungsweise der wahren Protestanten drehte. Nur in diesem Sinne ist Christus wieder der alleingeltende König der Kirche, die ihn größtentheils verloren oder verdrängt hatte, und das einzige Haupt der sichtbaren und unsichtbaren Kirche geworden.

2) Wegen der kirchlichen Gebräuche durch die Lehre von der Tradition, wiewohl sie auch auf den Lehrbegriff eingewirkt hatte, weil die Gebräuche vielen Glaubenslehren ihre Gestalt oder auch ihr Daseyn gaben. Die Reformatoren ers kannten die kirchlichen Gebräuche nur als Ausflüsse der biblischen Religionswahrheiten an. Was nun der biblischen Sanction entbehrte, wurde,

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wo nicht als Mißbrauch verworfen, doch nicht als göttliche Stiftung erklärt. Es war dieß durchaus nothwendig, da die Tradition, so viel Gutes fie auch enthalten mochte, und so ehrwürdig die Stims me grauer Jahrhunderte war, wegen der vielen Irrthümer, welche sich in die Kirche eingeschlichen hatten, als Quelle der Wahrheit aufgegeben werden mußte. Diejenigen kirchlichen Gebräuche, bei denen ein Mißbrauch zu erkennen war, erhielten von Neuem ihre Form und ihr Bestehen streng nach der Lehre der Schrift *); die göttliche Hie rarchie verschwand aus der Kirche und bescheidene Prediger und Verwalter der Sacramente ohne bes sondere Heiligkeit vor dem Volke traten an ihre Stelle; selbst der ergreifende Zauber der Messe wurde als ein menschliches Machwerk und hinderlich der stillen Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit aufgegeben; das Gewissen der Beichtenden ward von unnüßen Vorwürfen befreit, und noch andere Aenderungen wurden im äußeren Cultus getroffen. Man bedurfte dazu keiner neuen Ge lehrsamkeit; die Schrift selbst lehrte das Rechte und Wahre; des Gnadenbeistandes Gottes im les bendigen Glauben gewiß fand man zugleich den rechten Ausdruck für die Wahrheit und die rechten, schlagenden Stellen, die Niemand umstoßen konnte.

*) Wo die heil. Schrift nicht entgegen war, wie bei der Sonntagsfeier, Kindertaufe c. konnte unbedenklich der Gebrauch der Kirche beibehalten werden, zumal wesentliche Gründe für die Beibehaltung dieser Gebräuche sprachen.

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