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Zeit weniger geworden. Es erscheint darum für jeden Protestanten Pflicht, zur Arbeit zu rufen, und denen, die aus Irrthum das Belohnende der Arbeit am Baue des Reiches Gottes nicht kennen, den Irrthum zu nehmen, denen aber, die aus Verzagtheit sich zurückziehen, zu zeigen, daß auch des Einzelnen Scherflein sehr wichtig und förders lich ist. Dazu kommen noch die besonderen Mah. nungen der Zeit. Während sich das dritte Jahre hundert des Protestantismus schließt, scheint es, als wollten Viele die Zeit der Reformatoren als eine Zeit beschränkter Einsicht und scholastischer Formeln bezeichnen, und indem sie gerade die tiefe christliche Weisheit und apostolische Kraft, die aus jener Zeit jeden Unbefangenen erhebt, übersehen, werden sie verleitet, eine andere Weisheit und einen andern Glauben zu suchen, den sie dann theils mit Willkür, theils auch mit Scharfsinn zusammenseßen, ohne ihn aber zu einem Ganzen verbinden oder Andern als die Wahrheit anpreisen zu können. Und so nimmt die Zerrüttung in der Kirche überhand, wie viel man auch ihr zu wehren bemüht ist.

Der Bau des Reichs der Wahrheit ist zunächst nur durch ein frommes und besonnenes Forschen in der heiligen Geschichte, erreichbar, als dem angemessensten Wege für unsere geistigsinnliche Na tur. Gefördert. kann er aber durch eine Kenntniß der Kirchengeschichte werden, besonders dess jenigen Theils, in welchem Gottes heiliges Wals

ten recht augenscheinlich ist. Wie daher in der heiligen Geschichte als dem Kern der allgemeinen der gerade Pfad zum Leben in Gott erscheint, und die Christen auf diesem Wege ihre Seligkeit finden: so ist insbesondere in der Reformationsgeschichte für den Protestanten der gerade Weg vorgezeich net, auf dem er zur deutlichen Kenntniß seiner Kirche und ihrer Lehren und Gebräuche kommt, und die Ueberzeugung gewinnt, daß das Reich Gottes die reinste und sichtbarste Gestalt in seiner Kirche annahm.

Würde man dieses nicht vergessen, so stände es besser um die protestantische Kirche. Aber man vernachläßigt entweder, oder mißbraucht die Quelle der ewigen Wahrheit, und indem jeder, der ein Wort mitsprechen zu dürfen meint, seine beschränkte Vernunft als Urheberin und Richterin der Wahr. heit aufstellt, geräth er in tausend Widersprüche mit sich und Andern, und hat weder die Wahrheit noch den Gewinn der Wahrheit, den Frieden ges funden. Man spricht von einer protestantischen Kirche; aber indem man zu wenig nach der Geschichte derselben und dem Zwecke der Reformas toren fragt, sondern an dem Worte des Protes stantismus genug hat, verliert man gar leicht das Positive desselben, und stellt ein Allerlei von Meinungen oder einen hohlen Begriff als Kenns zeichen des Protestantismus auf: woher es kommt, daß viele Protestanten die fromme und ächte Freude am Protestantismus nicht haben, daß Viele, die

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an dem biblischen Christus fester halten, sich von ihnen trennen, und, durch den Gegensaß oder auch durch Schwäche verleitet, zuweilen unprotestantisch sich äußern, Viele endlich einem Indifferentismus oder einem Syncretismus, bei dem der Kirche Christi nicht geholfen wird, huldigen.

Zu diesen Gebrechen unserer dermaligen pro, testantischen Kirche kommen noch Angriffe von außen. Unsere alten Gegner versuchen immer noch dem protestantischen Leben Abbruch zu thun, und lassen nicht ab, uns des Irrthums und der Gottlosigkeit zu beschuldigen. Zwar haben sie damit nichts Neues gethan, auch nichts Bedeus tendes ausgerichtet; aber schon die Verläumdung unserer Lehren und unseres sittlichen Werths, die geflissentliche Befehrung mancher schwachen Protes stanten zu ihrer alleinseligmachenden Kirche, die Geringschätzung der protestantischen Geistlichen rücksichtlich ihrer kirchlichen Weihe, die Erschwes rung gemischter Ehen, wenn nicht die Kinder sämmtlich der katholischen Kirche zugeführt werden, das Wiederaufleben der Jesuiten beunruhigen viele Gemüther und ermahnen sie zur wachsamen Pflege ihrer überkommenen Rechte. Allein die Mittel, welche man gebraucht, um sowohl nach Innen als nach Außen die protestantische Kirche. zu schüßen, sind von geringer Kraft, wenn wir blos auf unsere menschliche Klugheit und Stärke vertrauen. Unser Geschrei ist wirkungslos und zuletzt verächtlich, unangemessen und feig, wenn

wir nicht bei der einzigen Quelle und Nichterin der Wahrheit, der heiligen Schrift, stehen bleis ben, nicht aber um sie zu meistern, zu verbessern, zu ergänzen, zu widerlegen, zu deuteln, sondern um demüthig die Wahrheit zu finden. Aus der heiligen Schrift wird die rechte Wahrheit erkannt, und zugleich die rechte Weise erlernt, um den Gegner zu entkräften, selbst aber immer hohen Muth und Vertrauen auf den endlichen Sieg der Wahrheit zu behalten. Denn nichts giebt größere Kraft als die göttliche Stimme; sie ergreift mit ihrer Allgewalt selbst den rohen Gottesleugner, und gelähmt ist jeder Feind, wo der heilige Geist streitet.

Aus der heiligen Schrift gieng das vor dreis hundert Jahren gereinigte Christenthum hervor; auf die heilige Schrift ist unsere Kirche gegründet; für die heilige Schrift kämpften die Reformatoren auch im Jahre 1530 auf dem Reichstage zu Augos burg.

Es ist daher angemessen, bei jenem Jahre stehen zu bleiben, und in der Geschichte desselben einen Antrieb zu freudigem Eifer für die Sache der protestantischen Kirche nachzuweisen.

Ob ich gleich einen sehr betretenen Pfad eins schlage, und das Zeitbedürfniß zu den vorhandenen Schriften über die Augsburgische Confession noch eine Menge ähnlicher Bücher in diesem und dem nächsten Jahre an das Licht fördern wird: so glaube ich doch keine überflüssige Arbeit unternommen zu

haben, einmal, weil durch die neuaufgefundenen Quellen Vieles berichtigt oder ergänzt wird; dann weil ich durch besondere Zugaben den Werth der Geschichte zu erhöhen gedenke; endlich weil ich bei der Reichhaltigkeit des Stoffes nicht nur einer ges drängten Darstellung mich befleißigte, sondern mich eben so wenig fortreißen ließ, Unwesentliches beis zumischen, als Wesentliches zu übergehen. Der Standpunct selbst aber, von dem aus ich das Ganze überschaute und in eine innere Einheit zu bringen suchte, ist der christliche, wie ihn die Reformatoren selbst eingenommen haben.

S. 2.:

Ueberblick der wichtigsten Ereignisse bis zum Reichsabschieve zu Speier.

Neun Jahre waren bereits verflossen, seitdem Luther sein großes und kühnes Werk *) begonnen

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*) Wenn ich hier gleich im Anfange die Kirchenverbesserung als Luther's Werk bezeichne, so geschieht es nicht, um der Sache Gottes einen Namen zu geben; sondern ich folge dem allgemeinen Sprachgebrauche, der Luther's Ver dienste dankbar anerkennt, wenn gleich dieser große Mann, nicht einmal von seinem Freunde Melanchthon für das Haupt einer Partei angesehen werden wollte. Es mig. fällt mir in deinem Briefe, daß du schreitßt, ihr seid in dieser Sache meinem Rathe und Vorgange gefolgt. Ich will nicht in dieser Sache Urheber seyn oder heißen, wenn man es auch erträglich auslegen könnte; doch ich mag das Wort nicht. Ist sie nicht eben so gut eure Sache, so soll fe auch nicht meine heißen." S. Luther's Briefe, ge sammelt.v. de Wette. Berlin 1827. Th. 4. S. 53,40

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