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kann, und die in nichts Geringerem bestehen, als in der eigenthümlichen Organisation des einer Bevölkerungsmasse von Natur zukommenden Denkvermögens einerseits und der gesellschaftlichen Zustände andrerseits, in deren Begleitung das nationale Bewusstsein einen beliebigen Inhalt sich zu eigen macht.

Dass die Spanier, nachdem sie von dem benachbarten Afrika aus für das Christenthum gewonnen worden waren, bei den kirchlichen Streitigkeiten, deren Wiege das Morgenland war, nicht bloss müssige Zuschauer abgeben, vielmehr selbstthätig sich betheiligen würden, liess sich schon darum vermuthen, weil die Iberer, seitdem ihr Land von den Römern unterjocht war, sich vollständig in das römische Wesen einlebten und aus ihrer Mitte eine nicht unbedeutende Anzahl römischer Schriftsteller hervorgehen sahen. In den Arianischen Händeln spielte Bischof Hosius) von Cordova, obschon in der minder ehrenwerthen Eigenschaft eines byzantinischen Hoftheologen, eine hervorragende Rolle; auf der Synode zu Sirmium (i. J. 357) fasste Potamius von Lissabon das Bekenntniss ab; Kaiser Theodosius, der dem Siege des Nicänischen Glaubensbekenntnisses den meisten Vorschub leistete, war in Spanien geboren und erzogen; Parmenianus, Bischof von Karthago und sehr befähigtes Haupt der afrikanischen Donatisten, scheint gleichfalls von spanischer Abstammung gewesen zu sein; der spanische Presbyter und Geschichtsschreiber Orosius stand dem Augustin im Kampfe mit Pelagius kräftig zur Seite; Turibius, Bischof von Astorga, nahm Partei gegen die Priscillianistischen 2) Ketzereien, deren Urheber, ein angesehener und reicher Spanier, an Hyginus, dem muthmaasslichen Nachfolger des Hosius in Cordova, und an Idacius von Merida seine Gegner gefunden hatte; Vigilantius, der mit männlichem Nachdruck den beschränkten Mönchsgeist der morgenländischen Kirche bekämpfte, starb, zwar nicht unan

1) Sein Einfluss am Hofe Constantin's war höchst bedeutend. (Eusebius, Hist. eccl. X. 6.) Zosymus (II. 29) schildert ihn auffallend: Αιγυπτιος τις ἐξ Ἰβηριας εις την Ρώμην έλθων, και εις τα βασιλεια γυναιξί ξυνηθης γενόμενος.

2) Lübkert, De haeresi Priscillianistarum. Havniae, 1840.

gefochten, aber in seiner kirchlichen Stellung unbehelligt, als Presbyter in Barcelona.

Abgesehen von dem Priscillianismus, der in den spanischen Ländern die weiteste Verbreitung fand und den religiösen Bedürfnissen der Iberer, zumal von Seiten ihrer Vermischung mit verschiedenen Abzweigungen des semitischen Stammes, besonders entsprach, zeigten sich daselbst frühzeitig Spuren einer religiösen Weltanschauung, die einem ganz andern Ideenkreise angehörte. Isidor von Sevilla 1) nennt einen Justinian, der unter dem Westgothen-Könige Theudes als Bischof von Valencia lebte und ausser andern Ketzereien die Sekte der Bonosianer, die Christum für einen angenommenen, nicht wirklichen Sohn Gottes hielten, widerlegen wollte. Das Auffallende daran ist, dass andern, nicht weniger zuverlässigen Nachrichten zufolge die Irrgläubigkeit des Bonosus jedenfalls nicht unmittelbar den Adoptianismus zur Schau trug, dieser vielmehr bloss als Folgesatz daraus abgeleitet werden konnte. Wenigstens weiss Gennadius), der aus Anlass eines andern spanischen Bischofs auf dieselbe Sekte zu sprechen kommt, nichts von Adoptianismus, und die Photinianer, mit denen er jene zusammenstellt, scheinen den Ausdruck ebenso wenig gebraucht zu haben. Marcell von Ancyra und nach ihm Photin von Sirmium stimmten dem Epiphanius darin bei, dass sie den heiligen Geist von dem Vater und dem Sohne ausgehen liessen, verbanden aber damit die weitere Lehre, zum Unterschied von dem ruhenden Logos sei Christus erst in Folge der Menschwerdung Sohn Gottes geworden. Der

1) De viris illustribus. c. 23 Opp. ed. Arevalo. VII. 156.

2) De illustr. vir. c. 14 (Fabricius, Bibliotheca Ecclesiastica): Audentius scripsit adversus Manichaeos, Sabellianos et Arianos, maxime quoque speciali intentione contra Photinianos, qui nunc vocantur Bonosiaci, librum, quem praetitulavit de fide adversum haereticos: in quo ostendit, antiquitatem filii Dei coaeternalem patri fuisse, nec initium Deitatis tunc a Deo patre accepisse, cum de Maria virgine homo, Deo fabricante, conceptus et natus est. Auch „De ecclesiast. dogmatibus,“ c. 22, erwähnt Gennadius der Bonosianer nur in allgemeinen Ausdrücken: Paulianistae, Procliani, Borboritae, Siphori, qui nunc vocantur Bonosiani, Photiniani, Montanitae, Manichaei. In andern Handschriften wohl richtiger: Photiniani, qui nunc vocantur Bonosiani (Fr. Oehler, Corp. haereseolog. T. I. p. 348).

etwas spätere Bonosus von Sardika1) (um 390) muss zahlreichen, jedoch nichts, weniger als klar ausgesprochenen Zeugnissen zufolge die menschliche Seite an dem Sohne Gottes so stark betont haben, dass Dionyisus der Kleine 2) ihn judaisirender (ebionitischer) Irrthümer zeiht und Avitus von Vienne3) ihn beschuldigt, die Göttlichkeit in der Person Jesu geleugnet zu haben. Sicher beglaubigt ist die Behauptung des Bonosus, Maria habe ausser Christus noch andere Kinder geboren. 1)

Immerhin konnten, wo nicht Bonosus selbst, so doch seine zahlreichen Anhänger im Abendlande das Verhältniss des Logos zum Menschen Jesus so gedacht haben, dass Gott diesen an Kindes Statt annahm, auch wenn sie des Ausdrucks „Adoption" sich nicht bedienten. Für die Fleischwerdung des Wortes empfahl sich den lateinischen Kirchenvätern schon frühzeitig die Benennung: Marius Victorinus) meint, Christus sei vermöge einer gewissen Adoption Sohn Gottes, aber nur dem Fleische nach, und Hilarius von Poitiers) gebraucht adoptare in demselben Sinne wie das häufig vorkommende adsumere und suscipere carSeinerseits berief sich Elipandus, in seinem Briefe an Alkuin, auf Ambrosius), Hieronymus) und Augustin),

nem.

1) Am ausführlichsten handelt über ihn Ch. Walch, Dissertatio de Bonoso haeretico. Gottingae, 1754. Ein Bonosus war Jugendfreund des Hieronymus, mit dem er, ausser in Rom, auch am Rhein und vielleicht in Trier verkehrte. Im Jahre 364 oder 365 lebte derselbe als Eremit auf einer Insel im Mittelmeer (Hieron. Epp. ad Rufin. Opp IV. Part. 2. p. 3). Ihm wurde die Ehre zu Theil, in das Trierer Bischofsverzeichniss aufgenommen zu werden.

2) Opp. ed. Benedict. II. 1168.

3) (Bonosiaci) Christo divinitatis honorem adimunt. Opp ed. Sirmond. II. 25. coll. II. 164.

4) Walch 1. c. p. XII.

5) Bibl. Patr. Max. Lugd. IV. 256. Nos enim adoptione filii, ille natura. Etiam quadam adoptione filius et Christus, sed secundum carnem : Ego hodie genui te. Si enim istud, solum hominem filium habet: Sed ante Adam ego sum dicens, quod natura filius erat, primum declaravit.

6) De trinit. II. 27. Carnis humilitas adoptatur.

7) Nostro usu adoptivus filius et verus filius.

8) Hic filius hominis per Dei filium in Dei filio esse promereteur, nec adoptio a natura separatur, sed natura cum adoptione conjungitur. — Gemma alba adoptio est in filium Dei.

9) Secundum Divinitatem Dei filius ante saecula ex Patre genitus non est

allerdings ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, wie sehr die Bedeutung, in welcher diese die Adoption nahmen, von seiner eigenen abwich. Es ist mit dem kirchlichen Lehrbegriff, wie mit jeder begrifflichen Fassung eines Uebersinnlichen, eine eigene Sache: es kann Einer rückhaltslos auf das dogmatische Stichwort eines Andern schwören und gleichwohl sich etwas ganz Anderes darunter vorstellen; was zumal da der Fall sein muss, wo ein derartiger Begriff erst aus einer Sprache in eine andere übertragen werden muss.') Man hat den spanischen Adoptianismus missverstanden, weil man sich vorzugsweise an den Namen und an den aus dem Namen abgeleiteten Begriff hielt, unbekümmert um den äussern und innern Zusammenhang der religiösen Weltanschauung, welcher Name und Begriff entstammten: anders wäre es gar nicht denkbar, dass die Ableitungsversuche dieser Ketzerei so weit auseinander gehen konnten.

Dahin haben sich die Theologen aller Farben geeinigt, dass zwischen morgenländischer und abendländischer Dogmatik ein Unterschied gemacht werden muss; die Frage ist nur die wie, d. h. nach welchen Gesichtspunkten, man sie unterscheiden soll, und ob namentlich nicht die Abweichungen im Einzelnen sich auf einen Hauptgegensatz zurückführen lassen, den man, wenn er überhaupt vorhanden ist, festhalten muss, um die besonders gefärbten Entwickelungen verständlich zu finden. Insofern das über unsern Erdkörper vertheilte Culturleben, als Ganzes betrachtet, mehr nicht als die südliche Hälfte Asiens, Aegypten mit inbegriffen, umfasst und von dieser seiner Wiegenstätte aus sich über Europa, Nord-Afrika und die neue Welt verbreitete, lässt sich adoptione, sed genere, neque gratia, sed natura; secundum humanitatem dicitur homo adoptatus, cujus gloriam quaesivit qui est ab illo unicus natus. Dieselben Citate werden in dem um die nämliche Zeit verfassten Sendschreiben der spanischen Bischöfe an die fränkisch - deutschen wiederholt.

1) Vergegenwärtige man sich, wie der gerade in der vorliegenden Frage nicht unwichtige Apollinaris (Greg. Nyss. λoyos àvtipóytixos, p. 225) mit Dazu überfeiner Dialektik zwischen åvaiŋpes und рoonis unterscheidet. kommt die úrovɛota Theodor's von Mopsvheste, durch die nichts Anderes ausgedrückt werden sollte, als dass Christus nach seiner Menschheit in die Verbindung mit Gott aufgenommen sei durch Rathschluss und Gnade Gottes, zum Unterschied von der Würde des Logos, welcher nach Wesen und Natur Sohn Gottes sei.

mit mehr als einem blossen Schein von Wahrheit behaupten, dass die philosophische Weltanschauung, sobald sie einmal den Umkreis ihrer religiösen Vorstellungen und den gesammten Priesterdogmatismus hinter sich hatte, die begriffliche Einheit der Substanz zum Ausgangspunkte nahm und aus dem Begriffe der absoluten Monas alles Sein construirte.1) Was das Morgenland daher an speculativen Systemen aufzuweisen hat, stellt sich bei näherer Betrachtung unfehlbar als Emanationslehre heraus. Das Sein, wie beschaffen man es sich im Uebrigen auch denken mag, muss vorgestellt werden als Ausfluss eines unfassbaren Einheitsbegriffs. Auf dem Wege kommt nichts Wirkliches zu Stande, ausser dem in Bewegung begriffenen Werden, und wenn irgend in der vor- und rückwärts laufenden Richtung es zum Stillestehen kommt, so ist die ruhende und beharrende Substanz nichts als der leere Begriff eines bewegungslosen, und darum unwirklichen und unaussprechlichen Seins. Aus dem Grunde stösst man in allen morgenländischen Speculationen auf lauter Analogien, niemals auf einen grundwesentlichen Unterschied und noch viel weniger auf einen wahrhaften Fortschritt; wohl aber auf eine dialektische Gedankenbewegung, die, eben weil sie nicht stehen bleibt, neue Gesichtspunkte hervorkehrt, andere Radien berührt, ohne gleichwohl über die Umkreislinie selbst hinaus zu gelangen. Man kann wohl eine sich selbst genügende Weltanschauung umschreiben, aber von ihrem Mittelpunkte aus unmöglich einen Uebergang zu etwas grundwesentlich Neuem gewinnen.

Nichts leichter, als den Nachweis zu führen, dass es sich durchgängig im Oriente so verhält: - müssen doch sogar die ägyptischen Priester den Versuch gewagt haben, ihre Hauptgottheiten, Osiris, Phtha und Ammon, ähnlich zu deuten wie die Indier ihren Brama, Wischnu und Siwa. Schon darum ist es gar nicht anders möglich, als dass die christliche Religion, nach Maassgabe ihrer Ausbreitung und der unter ihren Bekennern erwachenden philosophischen Antriebe, denselben Entwickelungsprozess durch

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1) Mein Raymund Lull und die Anfänge der catalonischen Literatur." S. 95. 102. Mein „Organismus der Wissenschaft." S. 356.

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