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es nicht geleugnet werden kann. Also werdet ihr mir für diesmal auch verzeihen, wenn ich etwas freier und vielleicht etwas zu scharf auf eine oder die andere Disziplin, oder auf ihre Professoren meine Rede ergehen lasse. Gehabe dich wohl.

KAPITEL I.

DE SCIENTIIS IN GENERALI

ODER

VON DEN WISSENSCHAFTEN INSGEMEIN

E

s ist eine alte und fast aller Weltweisen einhellige Meinung, dass jedwede Wissenschaft dem Menschen, er mag sein, wer er will, etwas Göttliches bringe, also, dass er durch dieselbe oftmals unter der Götter Zahl ist gerechnet worden, dahero sind unterschiedlich, ja fast unzählige Lobsprüche der Wissenschaften an Tag gekommen, mit welchem ein jedweder die seinige, so er geübet, hoch herausgestrichen und fast bis an den Himmel erhoben hat. Ich aber, der ich anders unterrichtet worden bin, halte dafür, dass nichts Schädlicheres, nichts Giftigeres, auch dem menschlichen Leben und dessen Wohlfahrt nichts Nachteiligeres erfunden werden könne, als eben die Künste und Wissenschaften, daher bin ich der Meinung, dass man diese Sache ganz umgekehret und mit andern Augen ansehen, und die Wissenschaften nicht mit Lob erheben, sondern vielmehr durch Verachtung guten Teils niederschlagen solle, indem keine auf der Welt ist, sie mag so gross sein als sie wolle, welche nicht tadelnswert oder für sich einiges Lobes würdig wäre, es sei denn, dass solche von des Besitzers Auf

richtigkeit hergenommen werden könnte. Jedoch sehe ich gerne, dass diese meine Meinung von euch mit solcher Bescheidenheit aufgenommen werde und ihr nicht glauben möchtet, dass ich dadurch andere, die dieser Meinung nicht sind, zu verachten oder mich etwas Sonderliches zu dünken suchte; derohalben werdet ihr mir, der ich mit den andern diesfalls nicht übereinstimmen kann, hoffentlich solange verzeihen, bis ich mit einer sonderlichen Ordnung und Bescheidenheit meine Meinung antreten, und vielleicht nicht mit geringen Argumenten, sondern mit festgesetzten Beweisgründen solche behaupte. Nicht zwar will ich hier des Demosthenis oder des Chrysippi arglistiger Beredsamkeit gebrauchen, noch dem schmeichelnden Liebhaber in etwas nachsehen, denn, wer Gottes Wort nachfolgen will, der muss recht und nach der Wahrheit, nicht aber nach blosser Redenszierlichkeit oder Schmeichelei einem unter die Augen treten. Denn nicht in der Zunge, sondern im Herzen trifft man den Sitz der Wahrheit an; auch ist nicht viel daran gelegen, wie man redet, wenn man nur wahr redet, denn die Lügen darf Beredsamkeit und angestrichener Worte, die Wahrheit aber, wie Euripides schreibet, ist ohne Schminke und Gleissnerei. Dannenhero, wenn ich jetzo mein vorgesetztes Werk schlecht und ohne Beredsamkeit (welche zwar vor mir nicht verdammet wird) antreten und etwa eure zarten Ohren beleidigen möchte, so bitte ich, ihr wollet es mit solcher Bescheidenheit und Geduld vertragen, und es also machen wie jener römische Kaiser, der mit seinem ganzen Kriegsheer stille stand und ein altes Weibchen anhörte; oder, wie der König Archelaus (?), welcher unterweilen rauhe und unberedsame Leute gerne hörte reden, damit er hernach desto mehr Vergnügungen und Ergötzlichkeiten von einem beredten Munde haben möchte. Gedenket an die Meinung des Theophrasti, dass auch bisweilen mitten unter den Gelehrten und vortrefflichsten Leuten Grobe und Ungeschickte etwas Fruchtbarliches reden kön

nen, wenn sie nur wahre und der Vernunft ähnliche Sachen vorbringen. Damit ich euch aber nicht lange aufhalte, so muss ich vor allen Dingen bei euch eins erinnern, nämlich dieses, dass ihr glaubt, dass alle irdischen Wissenschaften sowohl böse als gut sind, und dass sie nach menschlicher Art und Weise uns keine andere Wohlfahrt und Seligkeit bringen können, als vielleicht diese, welche die alte Schlange unsern ersten Eltern versprochen, wenn sie gesagt: Eritis sicut Dii, scientes bonum et malum; das ist: ihr werdet sein wie die Götter, Gutes und Böses wissen; derowegen mag sich dieser Schlange rühmen, der sich rühmete, dass er was wisse. Die Ophitischen Ketzer haben dieses wohl praktiziert, welche die Schlange in ihren Kirchen geehrt und vorgegeben haben, dass dieselbe im Paradies die Tugend eingeführt hätte. Diesen pflichtet bei die Platonische Geschichte, welche dafür hält, dass Theutus*), ein dem menschlichen Geschlechte schädlicher Teufel, die Wissenschaften sowohl nützliche als schädliche zuerst erfunden habe, wie hiervon der Ägyptier König Thamus von Erfindern der Buchstaben sehr weislich redet. Dahero kommt, dass die meisten Grammatici die Teufel für die besten Kenner der Wissenschaften halten. Aber es mag sein! Wir wollen diese Fabeln den Poeten und Philosophis lassen und unseres Orts auch dafür halten, dass keine anderen Erfinder der Wissenschaften sind als die Menschen. Wir wissen aber, dass dieselben böser Art Kinder, nämlich Kinder des Kains sind, von welchen recht gesagt wird: Filii hujus seculi prudentiores sunt filiis lucis in generatione hac; das ist: die Kinder dieser Welt sind klüger, denn die Kinder des Lichts in diesem Ge

*) Gemeint ist, da Platon zitiert wird, der ägyptische Gott Theuth, den man jetzt Thot oder Tehute schreibt und der dem Okkultisten Agrippa besonders geläufig sein musste, weil auf diesen Theuth (griechisch Hermes) die Schriften des Hermes Trismegistus zurückgeführt werden; bekanntlich geht noch unser hermetisch auf die hermetischen Künste der Alchimisten zurück.

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schlechte. Sind nun diese die Erfinder der Wissenschaften, so sind sie ja nichts als Lügner, denn es heisst: Omnis homo mendax, nec est qui faciat bonum, usque ad unum: alle Menschen sind Lügner und ist. keiner, der Gutes tue, bis auf Einen. Aber lass es sein, dass auch etliche Gute unter den Menschenkindern gefunden würden, so haben sie doch ihre Wissenschaft nirgends anders her als von ihren Erfindern und Besitzern erborgt. Nun bedenke doch wenn die Wissenschaften auf einen bösen Menschen fallen, so tut er Schaden, und machen ihn noch viel ärger als zum Exempel: auf einen verirrten Sprachenlehrer oder Grammaticum, auf einen fabelhaften Poeten, auf einen c) verlogenen Historienschreiber, auf einen schmeichelnden Oratorem oder Redner, auf einen prahlenden Gedächtniskünstler,aufeinen zänkischen Dialecticum oder Vernunftmeister, auf einen verführerischen Sophistam oder Verwirrungslehrer, auf einen waschhaften Lullisten, oder der von allen Sachen was herzuschwätzen weiss, auf einen verzauberten Arithmeticum oder Rechenmeister, auf einen geilen Musicum, auf einen unzüchtigen Tänzer, auf einen ruhmredigen Feldmesser, auf einen irrigen Weltbeschreiber, auf einen schädlichen Baumeister, auf einen räuberischen Schiffmann, auf einen betrüglichen Kalenderschreiber, auf einen schelmischen Wahrsager, auf einen leichtfertigen Kabbalisten, oder auf einen durch verblümte Art und mit sonderbaren Geheimnissen untreuen Ausleger der Wörter, auf einen träumenden Naturkündiger, auf einen abenteuerlichen Metaphysicum oder Erforscher übernatürlicher Dinge, auf einen bäurischen oder unhöflichen Ethicum oder Sittenlehrer, auf einen falschen Politicum oder Weltmann, auf einen tyrannischen Fürsten, auf eine unterdrückende Obrigkeit, auf einen aufrührerischen Untertan, auf einen schismatischen Priester, auf einen abergläubigen Mönch, auf einen verschwenderischen Haushalter, auf einen falschschwörigen Kaufmann, auf einen geizigen und diebischen Schösser, auf einen

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