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den, dass er endlich seine Tyrannei von sich selbst abgelegt habe. Überdies sind ja alle Künste und Wissenschaften nichts als Menschensatzungen und dererselben einbildische Gedanken, welche sowohl schädlich als nützlich, sowohl vergiftet als heilsam, sowohl böse als gut, niemals aber vollkommen, sondern allzeit zweifelhaft und aller Irrtümer und Zänkerei voll sind. Welches ich jetzo bald durch jedwede Disziplin der Wissenschaften ferner erweisen und insonderheit dartun will.

KAPITEL II.

DE LITERARUM ELEMENTIS,

ODER

VON URSPRUNG UND ERFINDUNG

DER BUCHSTABEN UND SPRACHEN

DENN, wer sieht nicht vielfältig, dass die Arten zu

reden, vornehmlich verstehe ich die Grammatica, Logica und Rhetorica, welche der Eingang und die Türen zu den Wissenschaften, an sich selbsten aber keine Wissenschaften sind, oftmals mehr Verdruss und Schaden, als Lust und Nutzen zuwege bringen, bei denen doch keine einzige Regul der Wahrheit zu finden ist, als die blosse Nachahmung und Meinung des ersten Einsetzers und Erfinders, unter welchen die ersten die Chaldäer und ihr vornehmster Erfinder der Abraham, wie Philo uns berichtet, gewesen; die Chaldäer, die Assyrier und die Phönizier haben diese Schrift gebraucht und hochgehalten. Wiewohl, wie andere sagen, Rhadamanthus ihnen am ersten die Buchstaben, welche hernach Moses den Juden, obzwar vielleicht nicht mit solchen Charakteren wie sie heutiges Tages gebraucht werden, gegeben hätte, welche Erfindung dem Esrae will beigemessen werden. Zwar hält man dafür, dass Linus Chalcides die Buchstaben aus dem Phönice auf die Griechen gebracht, bis Cadmus, des

Agenoris Sohn, ihnen auf eine andere Art neue und zwar an der Zahl sechzehn, zu welchen der Palamedes zur Zeit des trojanischen Krieges noch vier hinzugesetzt, und hernach wieder soviel der Simonides Melicus vorgeschrieben hat.

Den Ägyptern aber hat die Kunst und Wissenschaft zu schreiben am ersten der Memnon, und zwar durch der Tiere Bildnisse, wie in den Obeliscis zu sehen, gewiesen. Die Buchstaben aber haben sie am ersten vom Mercurio, hingegen die Lateiner von einem Weibe Nicostrata, mit dem Zunamen Carmenta genannt, bekommen. Sieben Schriften aber waren für alters in Estime und Gebrauch: Hebräisch, Griechisch, Lateinisch, Syrisch, Chaldäisch, Ägyptisch und Gotisch, von welchen, wie Crinitus berichtet, in einem sehr alten Buch diese Verse gelesen werden:

Moyses primus Hebraicas exaravit literas,
Mente Phoenices sagaci condiderunt Atticas,
Quas Latini scriptitamus, edidit Nicostrata.
Abraham Syras, et idem repperit Chaldaicas.
Isis arte non minore protulit Aegyptias,

Gulfila prompsit Getarum quas videmus ultimas*). Das ist: Moses hat zuerst die hebräische Sprache an Tag gebracht, und die scharfsinnigen Phönizier die griechische; die Nicostrata hat die lateinische erfunden und Abraham ist ein Urheber der syrischen, chaldäischen, wie auch der ägyptischen, Gulfila aber der gotischen als der letzten unter diesen. Andere Völker und barbarische Nationes aber haben bei jüngern Zeiten neue Sprachen erfunden. Denn Cardanus, ein Bischof, hat den Goten die Sprachen gelehrt, und die alten Franken, welche unter dem Marcomiro und Pharamundo die Gallier überwunden, haben ihre ge

*) Der Name des Ulfilas heisst sowohl bei Agrippa wie in einer französischen Übersetzung (von Turquet, 1605), wie auch in dem Originale unserer deutschen Übersetzung Galfila. Ich habe übrigens nicht die Absicht, hier und an andern Stellen alle Schnitzer einer längst veralteten Philologie zu verbessern ; oder auch bedeutungslos gewordene Namen zu erklären.

wissen Charaktere, welche mit den griechischen übereingekommen, gehabt, mit welchen der Wastaldus ihre Historien beschrieben hat.

So sind auch noch andere, und von des Wastaldi Charakteren ganz abgesonderte Buchstaben der Franken, welche von dem Doraco sollen erfunden sein, wie auch noch andere von dem Hicho Franco, welcher mit dem Marcomiro aus Scythien auf die Mündung des Rheins gekommen ist, massen denn auch Beda etlicher der Normandier Buchstaben und Sprachen gedenkt. Und also sind noch viel andere Völker, welche neue Charakteres der Buchstaben sich gemachet, oder von den Alten gewisse angenommen, welche sie zum Teil verändert, oder zum Teil verfälscht haben. Also haben die Dalmatier die griechischen, die Armenier die chaldäischen, die Goten und Longobardier aber die lateinischen gleichsam verunehret. Hingegen sind noch viel andere altertümliche Schriften wiederum untergegangen, nämlich gewisser Völker in Italien, wie die der Etrusker zum Exempel, welche doch vor alters, wie Plinius und Livius bezeugen, bei den Römern in grossem Wert sind gehalten worden, wie solches noch heutiges Tages auf den alten, wiewohl uns fast ganz unleserlichen Grabschriften zu sehen ist. Denn von den alten Römern, welche bald die ganze Welt verwüsteten, wurde überall ihre Schrift eingeführt. Ebenso ist die hebräische Sprache unter der babylonischen Gefängnis verderbet und von den Chaldäern verfälschet worden; auf solche Art auch ist der alten Deutschen, der Spanier und anderer Völker Sprachen, nachdem die Römer andere eingeführt, korrumpieret worden. Hingegen sind wiederum der Römer Buchstaben und Sprache von den Goten, Longobarden, Franken und andern barbarischen Völkern verändert und verfälscht worden. Denn gewiss ist es, dass die lateinische Sprache heutiges Tages nicht so ist, als wie sie vor alters gewesen; so ist auch von der hebräischen unter den Talmudisten kein geringer Streit, und spricht Rabbi Jehuda, dass Adam Arameisch geredet, Marsutra aber sagt, dass

Moses ein Gesetz gegeben, welches mit hebräischen Buchstaben wäre geschrieben, hernachmals aber von Esdra in die arameische und assyrische Sprache verwandelt worden, und diese hätten sie als eine heilige damals angenommen und behalten. Andere hingegen sagen, dass die Gesetze Mosis alsobald anfangs mit den heutigen Charakteren sollten geschrieben worden sein, welche zwar wegen Betruges hernachmals verändert, aber nach geschehener Bereuung wieder in den vorigen Stand gesetzt worden wären. Rabbi Simon, des Eleazaris Sohn, hält dafür, dass dieser Sprache wegen niemals keine Veränderung wäre vorgegangen. Also kann man von dieser heiligen hebräischen Sprache, von den Hebräern selbst nichts Gewisses haben, ja also verändern sich die Zeiten, dass kein Buchstabe oder keine Sprache heutiges Tages, welche der Art und Form der Alten mehr ähnlich wäre, zu finden sei.

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