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KAPITEL III.

DE GRAMMATICA

ODER

VON DER SPRACHENKUNST

ODER GRAMMATICA

US diesen so unbeständigen und stets veränderlichen Principiis der Buchstaben ist die erste die Sprachenkunst oder Grammatica; denn aus dieser entspringen die andern Künste, wohl zu reden. Aber weil es wenig Nutzen bringet, wenn man nur die Buchstaben, dieselben aber nicht mit einer sonderlichen Art und Weise zusammenzusetzen, und aus den Buchstaben Silben, aus den Silben ganze Worte und Reden zu formieren weiss, so haben die Erfinder sich unterstanden, gewisse Reguln und Konstructiones zu geben, dass was nämlich nach denselben geredet, wohl geredet sei, und haben diese Kunst Grammaticam genannt; deren erster Erfinder ist gewesen bei den Griechen der Prometheus; welche hernachmals der Crates Mallotes, der von dem Attalo zum römischen Rat, zur Zeit des andern und dritten punischen Kriegs geschicket worden, in Rom eingeführt; und ist diese Kunst hernachmals mit einem grossen Gepränge von dem Palämo profitieret worden, dergestalt, dass sie solche die palämonische Kunst genannt haben; welcher aber so ein

ruhmrediger Mann gewesen, dass er gesaget, mit ihm wären die Buchstaben geboren und mit ihm würden sie auch wieder sterben und untergehen. Dieser hat alle gelehrten Leute zu seiner Zeit verachtet, auch den M. Varronem ein Schwein zu nennen sich unterstanden.

Aber es ist und bleibet wahr, dass die lateinische Grammatica so arm und der griechischen Sprache so unterworfen ist, dass, wer von dieser keine Wissenschaft hat, sich unter die Zahl der Sprachkünstler nicht zählen darf; derowegen bleibet's wohl dabei, dass alle dergleichen grammatikalische Vernunft aus nichts anders, als aus unserer Vorfahrer Gebrauch und Autorität herkomme, denen es gefallen, eine Sache so oder so zu nennen, so zu schreiben, die Worte so zusammensetzen, befohlen und gutgeheissen haben. Es rühmet sich die Grammatica, dass sie eine Kunst recht zu reden sei, aber ganz falsch, weil wir dieses viel besser von unsern Müttern und Säugammen, als von denen Grammaticis lernen können. Die Sprache der Gracchen, die für die beredtesten sind gehalten worden, haben die Söhne von der Mutter Cornelia gelernt*). So ist auch bekannt, dass in vielen Ländern auswärtiger Nationen, wenn Kolonien hingebracht worden, die Kinder ihre Muttersprache behalten, daher Plato und Quintilianus gelehret haben, dass man vor allen Dingen bei Auferziehung der Knaben um gute Ammen sich bekümmern sollte.

Derowegen sei es ferne von uns, dass wir die Vernunft, recht zu reden, den Grammatikschreibern beimessen wollen, welche, indem sie nur die Grammaticam profitieren**), desto weniger wissen; welche auch Priscianus in seinem ganzen Leben nicht hat lernen können, und wird für gewiss vorgegeben, dass Didymus von der Grammatica viertausend oder, wie andere wollen, sechstausend Bücher soll geschrieben haben. Wir lesen, dass der Kaiser Claudius der griechischen Spra*) Die Stelle war vom alten Übersetzer in blanken Unsinn verkehrt worden. **) d. h. sich Lehrer der Grammatik nennen.

che so ergeben gewesen, dass er noch drei Buchstaben erfunden, welche er als Kaiser beibehalten hat, und Karl der Grosse hat bei Einführung der deutschen Grammatica den Monaten und Winden neue Namen gegeben. So wird auch noch heute zu Tag und Nacht in dieser Sache gearbeitet; es werden Commentaria, Observationes, Scolia und andere Sachen geschrieben und ans Licht gebracht, und kommen auf solche Art so viel Grammatiken, als Grammatici sind, an den Tag, und ist doch wohl fast keiner unter ihnen, er mag ein Grieche oder Lateiner sein, der die rechte Ursache und Ordnung in der Konstruktion anzuführen und die rechte Principia zu zeigen weiss. Ob fünfzehn Pronomina, wie der Priscianus, oder mehr, wie der Diomedes und Phoca dafür hält, sein sollen, ob das Partizipium allezeit oder nur bisweilen ein Partizipium bleibe, ob die Gerundia Nomina sind oder Verba, warum die Nomina pluralia, welche bei den Griechen neutrius generis sind, mit dem Verbo singularis numeri können konjugiert werden*). Auch dass etliche gewisse lateinische Wörter mit einem griechischen Diphthongo schreiben, etliche aber nicht, als zum Exempel Foelix, Qaestio, auch ob auf Lateinisch die Diphthongi æ und ce nur geschrieben, nicht aber ausgesprochen, oder ob beide Vocales, wie sie geschrieben, nur mit einer Syllaba exprimieret werden sollen. Gleicher Gestalt, warum bei den meisten lateinischen Wörtern gar viel den griechischen Buchstaben Y, viel aber nur das lateinische i brauchen, wie in dem Wort considero. Gleicher Gestalt machen manche bei etlichen Wörtern einen doppelten Buchstaben, manche aber nicht, wie in Caussa, Relligio; also auch, ob die Seele des Aristotelis soll geschrieben werden Endelechia durch ein Delta oder Entelechia durch ein Tau. Ich will jetzt vorbeigehen und nicht berühren den vielen und nimmer aufhörenden Zank von dem Akzent, von der Art recht zu schreiben, von der Aussprache der Wörter und Buchstaben, von den *) Unwesentliche Kürzungen

wie an dieser Stelle

weiterhin nicht besonders bemerkt werden.

- sollen

Figuren, Regeln und anderen Bedeutungsarten, von Veränderung der Fälle und Zeiten, der Personen, der Zahlen und viel anderer Sachen mehr.

Ob bei den Lateinern H ein Buchstabe sei oder nicht, und viel dergleichen; also streiten sie auch zum öftern über die Buchstaben, Silben und Wörter, und kommen selten miteinander überein. Dergleichen Streit hat Lucianus Samosatensis von den Buchstaben S und T in einem absonderlichen Buche artig belacht. Ein Exempel kann uns das Wort Thalassa und Thalatta geben; einer auch, Andreas Salernitanus genannt, hat eben von dieser Sache einen grammatischen Krieg mit sonderlicher Beredsamkeit beschrieben.

Dieses alles sind nur kleine Sachen; von mehreren und die von grösserer Wichtigkeit sind, könnten wir gedenken als von bösen und verfälschten Auslegungen und ungleichen Verdolmetschungen, derer die ganze Welt voll ist, aus welchen einer Republik nicht geringer Schaden entsteht, nämlich, wenn sie sagen, den Gesetzen sich zu unterwerfen ist eine Sklaverei und Servitut; dieses aber sei eine recht bürgerliche Freiheit, da einem jedweden alles vergönnet ist, und das nennen sie eine Isonomiam oder rechte Gleichheit und Billigkeit, da ohne Unterscheid ein jedweder gleiches Recht und gleiche Belohnung hat.

Auf dergleichen Art, sagen sie, wäre das die allergeruhigste Regierung, wenn alles dem Fürsten zu seinem Belieben stünde, die allerglückseligste, wenn die Untertanen und das Volk mit Pracht und Verschwendung und mit guten müssigen Tagen ihre Zeit zubrächten. Solchen und dergleichen andern Auslegungen mehr sind auch unterworfen die Medizin und die weltlichen und göttlichen Gesetze, mit welchen sie machen, dass die Heilige Schrift und Christus selber von ihnen dissentieret, indem sie solche Deutungen nicht nach des Heiligen Geistes Meinung und zu Erhaltung gemeiner menschlicher Wohlfahrt, sondern nur zu ihrem eigenen Nutzen auslegen, aus welcher Sache oftmals viele Gefährlichkeiten sich er

eignet haben, wie gemeiniglich ein Irrtum, so nur in einem Worte besteht, einen grossen Irrtum in der Sache selbst verursachen kann. Auf solche Weise ist betrogen worden der erste König der Hebräer, der Saul, mit dem Wort sackar*), welches heisst ein Mannsbild und auch das Gedächtnis. Als nun Gott sagte: Delebo memoriam Amalech, das ist: ich will auslöschen das Gedächtnis Amalech, da meinete Saul, wenn er diesen Geboten genug tun wollte, dürfe er nur die Mannsbilder wegnehmen; dergleichen Irrtum hat sich auch bei den Griechen und Welschen zugetragen, mit dem Worte phos, welches ein Mensch bedeutet und auch ein Licht. Daher haben etliche Beehrer des Saturni wegen des Wortes Zweideutung sich betrügen lassen und haben dem Saturno jährlich einen Menschen geopfert, da sie denselben mit einem angezündeten Lichte hätten besänftigen können, und ist dieses närrische Volk erstlich durch ihren Lehrmeister, den Herculem, klug worden.

Endlich haben auch die Geistlichen und Brüder mit weiten Ärmeln **), die sich in dieses grammatikalische Wesen mit eingemischet, von Bedeutung der Wörter mit vielen ketzerischen Anhängen gestritten, und durch diese Gelegenheit die Heilige Schrift anders ausgeleget, auch durch diese Sprachenkunst sich selbst verblendet, und das Licht der Wahrheit vorbeigangen; denn indem sie allzusehr der Bedeutung der Wörter nachgegrübelt, so haben sie den wahren Inhalt der Heiligen Schrift nicht verstehen wollen, und also das wahre Wort verkehret und verloren. Wie von einem, es mag nun wahr oder eine Fabel sein, erzählt wird, der, als er viele Hostien zu konsekrieren gehabt, damit er aber nicht anstosse und wider die Grammatica impingieren möchte, hat er mit solchen Worten: Haec enim sunt corpora mea, nicht, das ist mein Leib, sondern in Plurali, das sind meine Leiber, konsekriert. Daher ist entstanden die abscheuliche Ketzerei, der *) V. Buch Moses 25, 19. **) Kapuzenträger.

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