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I. LEBEN UND SCHRIFTEN DES AGRIPPA

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ER Mann wurde zu Köln am Rhein im Jahre (486 geboren. Sicherheit haben wir nicht einmal über seinen richtigen Namen; wahrscheinlich ist es, dass auf dem Titelblatte allein der ersten Ausgabe seines Bekenntniswerks mehr Lügen über seine Persönlichkeit beisammen stehen, als man selbst einer Verteidigungsrede gestatten dürfte. Er nennt sich da Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, nennt sich einen Mann von glänzendem Adel, einen Ritter, einen Doktor beider Rechte; bei anderer Gelegenheit hat er sich als einen Doktor der Theologie und wieder als einen Doktor der Medizin eingeführt. Es wird später manche Bemerkung überflüssig machen, wenn gleich hier auf der Schwelle der Charlatan in seiner ganzen Lügenhaftigkeit erkannt wird.

Wahrscheinlich hiess er Heinrich Cornelis; den Familiennamen latinisierte er nach der Sitte der Zeit zu Cornelius und auf der Schule fügte er wohl wieder nach der Sitte der Zeit die Bezeichnung Agrippa hinzu, was ursprünglich an die Vaterstadt Köln (lateinisch: Colonia Agrippina) erinnern sollte; da aber Agrippa der Name eines sehr berühmten alten Römers war, so mochte es der Eitelkeit unseres Agrippa schmeicheln, vermuten zu lassen, dass er von diesem alten Römer abstammte. Er wurde allgemein Agrippa

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genannt
diesem wir könnten sagen

und auch seine Söhne noch nannten sich nach - Schriftstellernamen. Den noch vollern Adelsnamen von Nettesheim hat er sich zuerst auf den Titeln seiner grössern Werke beigelegt; wir wissen nicht einmal, worauf sich der Ortsname bezieht.

Auf den Adel seiner Familie fängt er allmählich schon (526 an, anzuspielen, und seine Ahnen werden, wenn man ihm glauben soll, von Jahr zu Jahr adeliger; es besteht wohl kein Zweifel daran, dass er bürgerlicher Herkunft war.

Ins Groteske geht die sich ebenfalls mit den Jahren steigernde Berufung auf seinen persönlichen oder Militäradel, auf seine Ritterschaft, die er auf dem Schlachtfelde als Lohn für seine Heldentaten errungen haben will. In diesem Falle möchte man fast glauben, der Lügner habe seine eigenen Lügen geglaubt; der Schwindel wäre sonst selbst für das sechzehnte Jahrhundert zu unverschämt gewesen. Und ich lasse in diesem Zusammenhange ganz beiseite, dass Agrippa sich einmal so weit vergisst, mit der Bezeichnung für Ritter (miles oder eques auratus) so zu spielen, als ob er, der Vagant, Ritter des goldenen Vliesses gewesen wäre. Aber er ist auch niemals zum Ritter geschlagen worden, weder vom Kaiser Maximilian, noch von einem andern Fürsten. Auch Soldat oder gar Offizier ist er wohl im Ernste niemals gewesen. Nur dass er in die Kriegsunruhen (in Italien, zur Zeit der Kämpfe zwischen dem Kaiser und Franz I. von Frankreich) persönlich hineingeriet, in seiner Phantasie wichtige militärische Dienste leistete und sich später als Professor und als Arzt immer mehr in die Rolle eines ehemaligen Kriegshelden hineinlebte. Wenn man es so liest, wie Agrippa (1526) einem hohen Herrn brieflich vorjammert, er sei vordem ein Ritter gewesen und jetzt zum königlichen Dreckfresser (Leibarzt) geworden, so möchte man es nicht für möglich halten, dass Agrippa nicht nur die Ritterschaft, sondern auch seine Militärdienste einfach erfunden hatte.

Ebenso schlimm steht es, wenn man die formelle Berechtigung ins Auge fasst, um den dreifachen Doktorgrad, den er sich nicht allein auf Büchertiteln, sondern auch (1532) in einer amtlichen Eingabe an die Regentin der Niederlande beigelegt hat. Sich um diese Zeit noch einen Doktor der Medizin zu nennen, war eine um so grössere Frechheit, als ihm damals, eben weil er nicht der medizinischen Fakultät angehörte, die Ausübung der ärztlichen Praxis schon verboten worden war; zu seinen Gunsten mag aber erwähnt werden, dass der Mangel medizinischer Studien ihn weder gehindert hat, viele Jahre lang in der Schweiz, in Frankreich und in den Niederlanden die ärztliche Kunst seiner Zeit auszuüben, in Freiburg (Schweiz) die ausdrückliche Erlaubnis dazu zu erhalten und in Lyon sogar die Bestallung eines Leibarztes der Königin-Mutter zu erringen. Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, dass Agrippa auch ohne Doktortitel ein ebenso guter Arzt sein konnte, wie seine berühmtesten Zeitgenossen; seine Kenntnisse waren auch auf diesem Gebiete erstaunlich und da er als Alchimist die Chemie seiner Zeit gründlich studiert hatte, so dürfte er sogar, wie mir auch sein Rezept gegen die Pest zu beweisen scheint, zu den Ärzten des 16. Jahrhunderts gehört haben, die man damals modern nannte. Nur freilich durfte er nicht behaupten, er hätte rite den medizinischen Doktortitel erworben.

Und noch eins hätte zugunsten Agrippas angeführt werden können, wenn seine Verteidigung nicht durch sein fast gewerbsmässiges Schwindeln so überaus schwer gemacht würde. Das geistige und überhaupt das öffentliche Leben Europas war damals noch nicht wie heute unter Polizeiaufsicht gestellt; man konnte auch ohne Examen Gelehrter, Feldherr, Staatsmann werden. Doch Agrippa hatte es in seiner Jugend, auf der Universität von Köln, nur bis zu dem Grade eines Magisters der freien Künste gebracht; wir würden es wissen, wenn er später Doktor der Rechte oder Doktor beider Rechte geworden wäre; wir können (trotzdem

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sein ausgebreiteter Briefwechsel nicht in der besten Ordnung vorliegt) sein Leben in Frankreich und in Italien genau genug verfolgen, um sagen zu können: er hatte in Paris ebensowenig Zeit für das Studium der Jurisprudenz, wie später in Italien Zeit bleibt für die angeblichen Kriegsdienste. Es ist richtig, dass Agrippa Ämter übernommen hat oder zu übernehmen suchte, für welche man heute das Assessorexamen gemacht haben müsste; einer seiner Ruhmestitel, die Rettung der angeblichen Hexe, ist eine Tat, die dem Juristen Agrippa allein gelingen konnte. Nur: Doktor der Rechte ist er nicht gewesen.

Auch Doktor der Theologie ist er niemals gewesen und das hat er auch nicht einmal ausdrücklich behauptet; trotzdem durfte er sich rühmen, einmal für kurze Zeit Mitglied eines Konzils gewesen zu sein.

Die weltberühmte Universität von Paris hat Agrippa allerdings besucht. Er hielt sich aber zu kurze Zeit dort auf, als dass man glauben könnte, er hätte in Paris regelrechte Studien getrieben und sie abgeschlossen. Er war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er sich nach Paris begab. Wir sind nicht genau darüber unterrichtet, was der Jüngling daselbst getrieben hat; da er aber schon sehr bald darauf durch magische Schriften bekannt wird, so muss er sich eben in Paris besonders auf die okkultistischen Wissenschaften verlegt haben. Nur von der Astrologie wissen wir, dass er sich sowohl ihre wissenschaftlichen Grundlagen, als die Technik ihres Schwindels bereits in Köln angeeignet hatte; die Annahme liegt sehr nahe, dass! sein faustisches Streben, das Unwissbare zu erken- an beat to the nen, ihn nun nach den sogenannten hermetischen Schriften greifen liess; er selbst zitiert Albertus den Grossen.

Vielleicht ähnelte aber schon der Jüngling mehr dem historischen Faust, dem Hochstapler, als dem Faust der Dichtung. Agrippa gründete schon auf der Pariser Universität einen Geheimbund, dessen Mitglieder, durch einen Schwur verpflichtet, einander

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zu unerhörten Erfolgen helfen wollten. Die Mittel scheinen ausser Astrologie und Magie auch noch die Geheim wissenschaften der Kabbala und der Alchimie gewesen zu sein. Wir kennen die Namen einiger der Freunde; wir können einige ihrer Briefe lesen; aber wir werden niemals erfahren, ob Agrippa noch an diese Geheimwissenschaften glaubte oder ob ihm schon damals der Okkultismus gerade recht war-wie später so oft — mit Hilfe der Magie reiche Gimpel zu fangen. Wahrscheinlich kam er über diese Gewissensfrage selbst nicht zu völliger Klarheit; er war der Sohn einer Zeit, die nichts und alles glaubte.

Agrippa reiste um das Ende des Jahres 1507 nach Köln, weil hier irgendeine Fortune zu winken schien; als aus der Sache nichts wurde, kehrte er nach Paris zurück und stürzte sich dort mit einigen Bundesbrüdern in ein Abenteuer, von welchem wir eine Menge romanhaft ausgeschmückter Züge erfahren, nicht aber das, um was es sich eigentlich gehandelt hat. Die jungen Leute liessen sich offenbar anwerben, irgendein Schloss in Spanien, am Südrande der Pyrenäen, das von Rebellen genommen worden war, für den König oder sonstwen wiederzugewinnen. Das Schloss wurde wirklich gewonnen, einerlei, ob durch Kanonen oder durch magische Künste; dann aber wurden die jungen Sieger von den wütenden Bauern belagert, bewiesen nicht eben kriegerische Fähigkeiten, zogen sich zunächst in einen entlegenen Felsenturm zurück und flüchteten von dort; Agrippa war es, der mit einer seiner vielen Künste einem Knaben das Aussehen eines Aussätzigen gab, in welcher Maske der Bursch das Lager der Bauern passierte und aus einem nahen Kloster die Mittel zur Flucht herbeischaffen liess. Die jungen Leute, jeder auf seine Rettung bedacht, scheinen sich getrennt zu haben; Agrippa vagierte, immer wieder von neuen Hoffnungen getrieben, über Barcelona nach Neapel, von dort zurück nach Frankreich, nach Avignon, nach Lyon, endlich nach Dôle, wo ihm für kurze Zeit das Glück günstig

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