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schien. Er war nicht zu schüchtern, es schnell bei der Stirnlocke zu fassen.

Wenn Agrippa während der spanischen Expedition nicht ohne Geld gewesen war, so ging es jedenfalls auf der Flucht bald aus. Er musste in Valencia die Pferde verkaufen und kam in Frankreich mit leerer Börse an. Er warf sich sofort wieder auf die Goldmacherkunst; wir dürfen aber annehmen, dass er sich das nötige Gold nicht direkt in seiner Alchimistenküche herstellte, dass er vielmehr auf recht indirektem Wege durch seinen Ruf als Wundermann seine Bundesbrüder und wohlhabende Leute zur Hergabe von Geldmitteln bewog. Sein Ansehen bei den Genossen des Geheim bundes war gross; die jungen Leute rühmen sich, für ihn in die Trompete gestossen zu haben. Der Glaube an seine Zauberkünste und der wirkliche Zauber, der von seiner Persönlichkeit ausgegangen sein mag, erklärt es, wie jetzt der dreiundzwanzigjährige Abenteurer, später oft genug der reifere Mann ohne Titel und ohne Mittel, Zutritt zu ansehnlichen Stellungen erlangte, deren Vorteile ihm dann jedesmal durch viele schlimme und einige gute Eigenschaften verloren gingen.

Ich muss hier eine Bemerkung einschalten, um die Unsicherheit, mit welcher ich die spanische Heldentat und auch den Anteil Agrippas darzustellen schien, zu erklären; die Bemerkung betrifft den Charakter der Briefe, die fast die alleinige Quelle für Agrippas Biographie sind; der Charakter dieser Briefe wird uns auch noch weiterhin zwingen, manche in ihnen behaupteten Tatsachen in Zweifel zu ziehen. Diese Briefe sind nämlich alle in dem toten Latein der Humanistenzeit geschrieben; auch glaubwürdigern Männern, als Agrippa einer war, kommt es in diesen Schreibübungen mehr darauf an, die Worte nach Vergil oder Cicero richtig zu setzen, als ihr Gefühl ehrlich auszudrücken oder gar: als ein Erlebnis genau wiederzuerzählen. Jedes kleinste Gefühl, jedes kleinste Erlebnis wird durch eine bombastische Sprache ins

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Heroische gesteigert, so dass es schwer hält, die Angaben der Briefe ins Deutsche oder gar ins Wahrscheinliche zu übersetzen.

Die Stadt Dôle war für die politische Geographie jener Zeit nicht unbedeutend: der Sitz einer Universität, die Stätte eines Parlaments, die Hauptstadt des Herzogtums Burgund; dieses Herzogtum war, mit den Niederlanden vereinigt, einem jungen Prinzen zugefallen, dem Prinzen Karl von Luxemburg, der später Kaiser Karl V. hiess. Als Agrippa sich in Dôle niederliess, war Karl erst neun Jahre alt und noch unter doppelter Vormundschaft: in Spanien und in Deutschland; Burgund und die Niederlande wurden noch zu Deutschland gerechnet, und so stand die Hausmacht des jungen Herrn unter der Regentschaft seiner Tante, der Prinzessin Margarete von Österreich, um deren viele Ehen wir uns hier nicht zu bekümmern haben. Nur das sei erwähnt, dass sie als dreijähriges Kind dem französischen Dauphin angetraut worden war, der sie aber nachher nicht heiratete, dass sie als siebzehnjähriges Mädchen einem spanischen Prinzen durch Prokuration angetraut wurde, und dass sie auf der Seereise zu diesem zweiten Gatten, in äusserster Sturmgefahr, ein voreiliges Epigramm verfasste, das ungefähr den Sinn hatte: Zweimal verheiratet und als Jungfrau gestorben.

Margarete hatte also literarische Interessen und das genügte für Agrippa, um seine Hoffnungen auf diese Fürstin zu setzen. Während er in Dôle, immer noch im Geheimbunde mit seinen Freunden, sich mit alchimistischen Charlatanerien abgab, schrieb er die erste der Schriften, die uns von ihm erhalten geblieben sind:,,Über den Adel und die Überlegenheit des weiblichen Geschlechtes"; das Büchlein ist so paradox, dass es in der Sprache unserer Tage recht gut den Titel führen könnte:,,Über den Schwachsinn der Männer." Agrippa geht von dem Gedanken aus, dass Gott Männlein und Weiblein ursprünglich dem Körper nach ungleich, sonst aber gleich geschaffen habe, ohne Unter

schied an Seele, Vernunft und Hoffnung auf ein ewiges Leben; nachher hätten aber die Männer alles verdorben. Nicht Eva war die Verführerin, sie wurde vielmehr von Adam verführt. Männer haben den Heiland gekreuzigt. In allen Gaben des Geistes und des Körpers ist der Mann geringer als die Frau; natürlich, denn Gott hat ja die Frau später geschaffen als den Mann und erst bei seinem zweiten Werk sein Meisterstück gemacht. Diese Paradoxien werden mit Beispielen aus der heiligen und aus der profanen Geschichte belegt und mit einem Zynismus vorgetragen, der selbst im 16. Jahrhundert doch nur in lateinischer Sprache möglich war.

Die närrische Schrift war für die Prinzessin Margarete bestimmt und wurde wohl sehr früh aus diesem Grunde ins Französische übersetzt; Margarete verstand nicht Latein. Gedruckt wurde das Büchlein in beiden Sprachen erst zwanzig Jahre später, als Agrippa schon ein berühmter Schriftsteller geworden war.

Nun wissen wir wieder nicht, welcher Gunst er es im Jahre 1509 verdankte, an der Universität von Dôle öffentliche Vorlesungen halten zu dürfen: ob sein Ruf als Kenner der Kabbala, ob der Dank der Regentin, ob am Ende gar das Pochen auf seine soldatischen Taten ihn förderte. Nach dem Gegenstande seiner ersten Vorlesungen und nach der fast zu gleicher Zeit begonnenen Arbeit an seinem grossen okkultistischen Werke sollte man fast glauben, dass sein Ruf als Magier ihm zumeist geholfen hätte. Er las über „Das wundertätige Wort" von Reuchlin, das fünfzehn Jahre früher erschienen war und in einem wüsten Durcheinander christlichen Glauben, neuplatonischen Mystizismus und kabbalistische Buchstabenspielereien zu vereinigen suchte. Die Kämpfe Reuchlins um die Benutzung der kabbalistischen Judenbücher waren damals noch nicht ausgebrochen. Die Schrift,,vom wundertätigen Worte" galt bei den wundersüchtigen Zeitgenossen für ein Meisterwerk geheimer Wissenschaft. Wenn wir es heute lesen, glauben wir einen Chor von hundert

tausend Narren sprechen zu hören. Das hebräische Alphabet soll uns alle Geheimnisse der Natur und des Übernatürlichen deuten. Drei Buchstaben bilden den Namen des Urgottes, vier Buchstaben den Gott des alten Bundes (Jehova in der hebräischen Schreibung), fünf Buchstaben den Namen Jesus; das Buchstabenzeichen des Kreuzes, der griechische Buchstabe T, ist das tiefste Geheimnis. Mit Hilfe dieser Buchstaben kann man alles Verborgene erkennen und wohl auch Zauber wirken.

Agrippa hatte bei seinen Vorlesungen über die kabbalistischen Träumereien Reuchlins grossen Zulauf. Das Blatt wendete sich aber schon zur Fastenzeit 1510, als ein Franziskaner zu Gent, in Gegenwart der Regentin, gegen den „judaisierenden Ketzer" Agrippa zu predigen anfing; unmittelbar vorher hatte der Sturm gegen Reuchlin selbst begonnen: die Verfolgung aller jüdischen Bücher, der Antrag auf ihre Verbrennung; nach der Anschauung der Zeitgenossen war diese Judenhetze in Szene gesetzt worden, um den Juden Geld abzupressen. Man weiss, mit welcher Tapferkeit der Streit um die Judenbücher von Reuchlin und seinen humanistischen Freunden ausgefochten wurde. Agrippa gehörte nicht zu den Tapfern. Wir wissen nicht, ob ihn zu Dôle eine augenblickliche Gefahr bedrohte; wir wissen nur, dass er nach England entfloh und von London aus eine wütende Streitschrift gegen den Franziskaner richtete. Unklug uud jähzornig warf er dem Gegner unchristliche Gesinnung vor und bekannte sich, wie auch noch später, da er bereits lebhafte Sympathien für Luther und die Reformation geäussert hatte, zum katholischen Glauben.

Während seines Aufenthaltes in Dôle hatte Agrippa auch die Arbeit an seinem grossen magischen Werke begonnen, das jedoch wie gesagt― erst soviel später, zu gleicher Zeit mit dem Bekenntnisbuche veröffentlicht werden sollte; Agrippa schickte der Buchausgabe wie eine postume Empfehlung seinen Briefwechsel mit dem berühmtesten Okkultisten der Zeit voraus, mit

dem Abte Tritheim, der fünfzehn Jahre vor der Ausgabe des Buches gestorben war; die Briefe sind von 1510.

Während seines kurzen Aufenthaltes in England mag Agrippa, vielleicht durch die Angriffe der Geistlichkeit erschreckt oder sonst durch äussere Anregungen bestimmt, theologische Studien getrieben haben, wobei nicht unbemerkt bleiben darf, dass er allerlei Fragen der Kirchengeschichte und wohl auch die fragwürdige Beschäftigung mit (durch die Namen Gottes auszuübenden) Zaubereien zu seiner Theologie rechnete. Noch im Jahre 1510 sehen wir ihn dann in Köln, wo er, wieder unter grossem Zulauf, bunte theologische Vorträge hielt, die er selbst in barbarischer Gelehrtensprache als ein theologisches Quodlibet ankündigte. Sollte er die Absicht gehabt haben, durch solche Tätigkeit die Würde eines Doktors der Theologie zu erstreben, so hat er sein Ziel jedesfalls nicht erreicht. Den Abenteurer treibt es bald aus seiner Vaterstadt fort und die nächsten sieben Jahre (1511) bis 1518) lebt Agrippa im nördlichen Italien. In diesen Jahren will er dem Kaiser Maximilian wichtige Kriegsdienste geleistet haben, will er zum Ritter geschlagen worden sein; wir können aber seine Erlebnisse in Italien hinlänglich genau verfolgen, um zu dem Schlusse zu gelangen: die Kriegsdienste Agrippas sind eitel Flunkereien. Vielleicht hat Agrippa dem Kaiser wirklich irgendwie andere Dienste geleistet: als theologischer oder politischer Agent; vielleicht hat er eben nur, im Mittelpunkte kriegerischer Unternehmungen, nachträglich der Phantasie nachgegeben, in der dankbarsten und best kostümierten Rolle aufzutreten, in der eines für seine Grosstaten belohnten Offiziers. Wir sind in der Zeit, die der Schlacht von Pavia vorausgeht. Um jeden Flecken in Norditalien wird in Scharmützeln und Schlachten gekämpft. Vom italienischen Standpunkte aus sieht man ausser Venedig und Mailand auch noch eine Menge kleinerer Staaten und Herren um jeden Fussbreit des Landes raufen; vom europäischen Standpunkte aus sind die Gegner der deutsche Kaiser

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