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EINLEITUNG

HNE Bedenken, aber doch in der Erwartung, einiges Schütteln der Köpfe zu erregen, gehe ich daran, das skeptische Hauptwerk eines Mannes herauszugeben, der in jedem Sinne das Leben eines Charlatans geführt hat, dem man nicht ohne Grund Lüge und Schwindel, gelegentlich auch Feigheit und vielleicht sogar Erpresserpraktiken vorwerfen durfte. Ein black mail solcher Mann sollte-wird manch Einer sagen

- nicht

in Reih und Glied gestellt werden neben die vorbildlichen Geister, als die uns die grossen Philosophen erscheinen. Aber um die Vorbildlichkeit in moralischer Beziehung ist es bei den grossen Denkern nicht immer gut bestellt gewesen. Man hat einem Bacon von Verulam, um Voltaire nicht erst zu nennen, schmutzige Geldgeschäfte zu „verzeihen"; man muss bei andern Führern der Menschheit über andere menschliche Schwächen hinwegsehen, bald über eine ausgesprochene Neigung für das geistige Eigentum eines Vorgängers, bald über eine höchst unphilosophische Eitelkeit. Die fleckenlose Sauberkeit Spinozas ist in der historisch genauer bekannten Zeit der Philosophiegeschichte ohne Nachfolge. Trotzdem will ich nicht leugnen, dass ein Agrippa, der vor vierhundert Jahren das Dasein eines Hochstaplers führte, neben allen andern Philosophen eine wunderliche Figur macht. Agrippa

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Die menschlichen Fehler des merkwürdigen Mannes haben aber nicht verhindert, dass die Geschichte der Philosophie sich mit ihm beschäftigte. Da ist es nun seltsam, dass man die scheinwissenschaftliche Grundlage seiner Schwindeleien, sein System des Okkultismus immer wieder besprochen und es sogar noch im neunzehnten Jahrhundert in deutscher Übersetzung dem Publikum vorgelegt hat, trotzdem Agrippa dieses Buch vielleicht schon ohne Glauben an alle die Wundergeschichten niederschrieb, jedenfalls den ganzen Okkultismus als Betrug erkannt und öffentlich dem Gelächter preisgegeben hatte, als er das Werk drukken liess. Sein eigenstes Bekenntnisbuch jedoch, eben die vorliegende Schrift über die Ungewissheit und Eitelkeit aller Wissenschaften, ist nur wenig bekannt; bei Überweg-Heinze (3. Teil, 10. Auflage, S. 16) findet man einige Gedanken aus dem System des Okkultismus schlecht genug ausgezogen, das Bekenntnisbuch wird jedoch nur seinem Titel nach angeführt.

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Ich will nicht in den Fehler so vieler Herausgeber verfallen, ich will das Buch, das mich so lange beschäftigt hat, nicht offiziös überschätzen. Es ist, wie so manche andere Schrift Agrippas, leichtfertig hingeschrieben, ohne wissenschaftlichen Ernst, eine Kapuzinerpredigt des Teufels eher als eine Leistung grundsätzlicher Skepsis; aber es ist ein unvergleichliches Dokument für den Geisteszustand der Gelehrten zur Zeit der Reformation, und es ist trotz aller Verlogenheit Agrippas der ehrlichste Aufschrei einer Persönlichkeit, deren moralische Gebrechen man moralisch verdammen mag, deren geistiger Reichtum, ja deren Glanz uns noch nach vierhundert Jahren fesseln muss. Wieviel auch Agrippa in seinem Abenteurerleben gelogen haben mag, die Stimmung dieses Buches ist echt. Alle seine andern Schriften haben irgend eine persönliche Absicht: er will mittelbar oder unmittelbar Geld verdienen, er will sich ein Amt erschleichen, er will einem Fürsten schmeicheln oder will drohen, er will sich als Zauberer oder Wahrsager,

als Staatsmann oder als Theologe zu einem einflussreichen Manne machen, niemals haben wir sonst den Eindruck, dass er seine eigene Überzeugung vortrage. Nur sein Bekenntnisbuch hat keinen solchen niedrigen Zweck; der vierzigjährige Agrippa schreibt es in kurzer Zeit nieder, in Not und Verzweiflung offenbar, nur um in wildem Jähzorn seine Meinung den Leuten zu sagen, deren Unzuverlässigkeit ihn an den Rand des Abgrundes gebracht hat: den Fürsten und den Gelehrten und den Mönchen; und weil sein eigenes Wahrsagerhandwerk ihn so verarmen liess, darum wendet sich die Schrift mit besonders köstlicher Heftigkeit gegen alle Scheinwissenschaften des Aberglaubens. Was diesen unwahrscheinlichen Mann nicht gehindert hat, sich nach Niederschrift und sogar nach Veröffentlichung der Absage weiter als Wunderarzt und als Besitzer okkultistischer Geheimnisse aufzuspielen. Es fällt fast schwer, dem Erzcharlatan Agrippa zuzugestehn, dass in der tollen Mischung seines Charakters gute, ja sogar tapfere Züge zu finden sind; aber sein Kampf gegen die Mönche ist nicht ohne Grösse, wenn auch eine Welt zwischen dem Schwindler Agrippa und seinem Zeitgenossen Luther liegt; sein erfolgreiches Bemühen, der Kirche und der Justiz ein Opfer zu entreissen, ein armes, der Hexerei überführtes und zum Feuertode verurteiltes Weiblein aus einem Dorfe bei Metz, erinnert an die besten Lebensleistungen eines Voltaire. Will man aber den Erzcharlatan und Erzschelm Agrippa mit einem Manne von weltberühmtem Namen vergleichen, so steht einer zur Verfügung, der zwar nicht als historische Persönlichkeit der Welt einen Ruck gegeben hat, der aber dennoch durch sein literarisches Bild eine Wirkung auf die Jahrhunderte ausgeübt hat: Faust.

Zunächst mag man an den historischen Faust, an den Johann oder Georg Faust denken, der ziemlich genau ein Zeitgenosse Agrippas war (Faust lebte etwa von 1480--1540), der dem Volke für einen Zauberer galt, der aber auch Professoren und geistliche Wür

denträger durch sein Wissen und seine Frechheit, durch Astrologie, Geisterbeschwörung und mitunter durch Taschenspielerkünste zu seinen Gönnern machte. Man muss dabei festhalten, dass Agrippa zwar immer wieder Versuche machte, als Jurist, als Arzt, als Professor, als Hofhistoriograph, kurz als Gelehrter eine angesehene und lohnende Stellung zu gewinnen, dass er aber sein Leben lang immer nur durch geheime Künste, durch das Vorgeben magischer Kräfte bei Königen, Kirchenfürsten und Diplomaten den nächsten Zweck ansehnlicher Unterstützung erlangte. Als Jüngling gründete er einen Geheimbund, bei dem es sich um Goldmacherei und sicherlich später um Geldschneiderei handelte; aber noch der Spötter Agrippa hörte nicht auf, sich für einen Wundermann und Wunderarzt auszugeben. Wie um Faust, so bildete sich auch um Agrippa bald eine Legende. Dass er in seinem Studierzimmer, welches er mitunter eine Woche lang nicht verliess, wichtige Ereignisse des europäischen Lebens erfuhr, wurde auf Dämonen zurückgeführt, die ihm Nachrichten brachten. Einer seiner Hunde, den er Monsieur nannte, wurde für einen verkleideten Teufel gehalten; und man erzählte, dieser Hund wäre nach dem Tode seines Herrn verschwunden. Nun gar der Titanismus, der sich schon bei Marlowe ankündigt, der dann bei Goethe und bei dessen zahllosen Nachahmern zum entscheidenden Wesenszuge des uns so vertrauten Faust geworden ist, der Titanismus, von welchem der historische Faust keine Spur zeigt, und den man auch in das Faustbuch von 1587 nicht hineininterpretieren sollte, dieser Titanismus ist es, der uns den Vaganten Agrippa so nahe rückt. Mehr als irgendein anderer in Deutschland war er der Idealmensch der gleichzeitigen italienischen Renaissance, der Übermensch, der uomo universale. Und hier muss ich des frech-genialen Epigramms gedenken, das Agrippa selbst seinem Bekenntnisbuche vorangestellt hat, das man in vielen alten Ausgaben finden kann und das dennoch in seiner

ganzen faustischen Verwogenheit noch niemals gewürdigt worden ist. Hier das Epigramm in einer allzu matten Übersetzung:

„Unter Göttern Momus, der keinen ungeneckt lässt; Unter Heroen Herkules, der alle Ungeheuer verfolgt; Unter Dämonen, der König der Unterwelt wütet gegen alle Schatten;

Unter Philosophen, Demokritos lacht über alles;
Entgegen steht Heraklitos, der über alles weint;
Nichts weiss Pyrrho

Und alles glaubt Aristoteles zu wissen;

Alles verachtet Diogenes.

All das vermag hier Agrippa:

Verachtet, weiss und weiss nicht, weint, lacht, wütet, ver

folgt und neckt,

Er selbst ein Philosoph, ein Dämon, Heros, Gott und Alles.

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