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Agrippa dort auftreten, wo in dem Königsdrama,,Heinrich VIII.“, das des Shakespearschen Namens so unwürdig ist, Chapuys und Campeggio so unglückliche Rollen haben. So gern aber die Phantasie damit spielen mag, den wilden deutschen Abenteurer mit Shakespearschen Gestalten in handelnde Verbindung zu setzen, in Wirklichkeit war Agrippa bei dieser Gelegenheit klüger als sonst und hütete sich, ohne ausreichende Garantien das glühende Eisen anzufassen.

Man muss sich bewusst werden, dass Agrippa seine Hauptwerke schon herausgegeben hatte und rasch ein berühmter Schriftsteller geworden war, als 1531 sein Freund und Gönner Chapuys von London aus mit dem Antrage an ihn herantrat, irgend etwas wie ein Pamphlet gegen Heinrich VIII. zu schreiben. Er schien um so mehr der geeignete Mann dafür, als er in seinem Bekenntnisbuche auf die Ehescheidungsgeschichte des Königs angespielt und Anna Boleyn deutlich eine Konkubine genannt hatte.

Dem Glücksjäger Agrippa schwoll der Kamm, da endlich Wahrheit wurde, wovon er immer geträumt hatte, da grosse Herren mit Schmeicheleien um seine Feder warben; in selbstbewussten und ingrimmigen Briefen versprach er zu tun, was man verlangte, aber nur unter der Bedingung, dass seine Stellung bei Hofe gesichert würde. Diese war gefährdet, seitdem seine beiden Hauptwerke ihm neue Feindschaften zugezogen hatten; überdies war die bisherige Regentin der Niederlande gestorben, und die neue Regentin, eine Schwester des Kaisers, war ihm zum mindesten nicht freundlich gesinnt. Im Juni 1531 hatte Chapuys die erste Aufforderung an Agrippa gerichtet; als Agrippa nach langem Zögern an die „Vollendung" des Pamphlets (wir besitzen nicht eine Zeile dieser Arbeit) gehen wollte, war es zu spät. In einem Briefe von 1532 erklärt er sich bereit, die Streitschrift zu vollenden; dieser Brief war an die neue Regentin gerichtet, die übrigens doch auch Königin von Ungarn war, also nicht die erste beste Person, der ein Agrippa mit Dro

hungen kommen durfte; der Brief aber übertrifft an Frechheit und beinahe erpresserischer Schamlosigkeit alles, was wir von den Schriften Agrippas kennen: würde er gegen seine Feinde keinen Beistand finden, so wollte er unter sehr mächtigem Schutze die Schlechtigkeiten des Burgundischen Hauses aufdecken und ihm (also dem Kaiser und der Regentin) su schaden wissen; in einem Begleitschreiben an den Sekretär der Regentin sagt der alte Charlatan auf Grund seiner astrologischen Künste auch noch Kometen, Überschwemmungen, Erdbeben und den Abfall der Niederlande voraus. Die Drohungen und die am Ende hinzugefügten Kriechereien kamen zu spät. Es blieb bei Agrippas Ungnade; vielleicht auch deshalb, weil das Schicksal der Königin von England bereits so gut wie besiegelt war, als Agrippa seinen unmöglichen Brief an die Regentin absandte; Anna Boleyn war schwanger geworden und Heinrich VIII. war im Begriffe, sie zu heiraten.

Agrippa hatte seinen Brief von einem neuen Zufluchtsorte aus abgeschickt, von Bonn; die obligate Verfluchung und Beschimpfung der Niederlande war natürlich vorher erfolgt. Er war ja bei Hofe in Ungnade, schon seit Jahr und Tag, seitdem er gewagt hatte, seine beiden Hauptwerke drucken zu lassen.

Schon 1529 hatte er ein kaiserliches Privileg erlangt, welches ihn für sechs Jahre gegen Nachdruck schützen konnte; das Privileg bezog sich auf die beiden Hauptwerke, ausserdem aber auf Agrippas Lullische Schriften, seine Reden und Briefe. Ich habe nicht die Aufgabe, die Bibliographie von Agrippas Büchern in Ordnung zu bringen; hier handelt es sich nur darum, die Bedeutung von Agrippas Hauptwerken und die Wirkung ihres Erscheinens klar zu legen.

Unbegreiflich für das literarische Anstandsgefühl späterer Tage ist es, dass Agrippa seine beiden Hauptwerke fast gleichzeitig drucken liess: sein zynisches Bekenntnisbuch und das magische Werk über okkulte Philosophie, das in dem erstern der Lächerlichkeit preis

gegebenwurde. Das magische Werk hatte er vor zwanzig Jahren verfasst, das zynische erst vor drei Jahren. Agrippa war sich des Widerspruchs bewusst. In der Vorrede gesteht er ein, die okkulte Wissenschaft in seinem Buche,,über die Eitelkeit der Wissenschaften" widerrufen zu haben.,,Nun wird man mir vielleicht entgegenhalten, warum ich ein Werk, das ich als ein Jüngling geschrieben und als Greis (er war vierundvierzig Jahre alt) widerrufen, dennoch herausgegeben habe?" Das magische Werk sei aber durch viele Hände gewandert und wäre vielleicht auch ohne sein Zutun gedruckt worden, ohne seine Verbesserungen. Ich halte es für möglich, dass Agrippa bei der gleichzeitigen Veröffentlichung so widersprechender Bücher sich von einer scheinbar schlauen Vorsicht leiten liess; er konnte voraussehen, dass das zynische Bekenntnisbuch einen Sturm der Entrüstung gegen ihn heraufbeschwören würde; da schien es ratsam, die alten Verehrer seiner Geheimwissenschaft durch Herausgabe des magischen Werkes an sich zu fesseln und überhaupt die Künste, die ihm so oft geholfen hatten, nicht ganz zu verleugnen. Schlau war es auch, sich in beiden Büchern durch allerlei Redensarten vor dem Verdachte uud der Anklage der Ketzerei zu schützen; die Magie wurde zwar von der Kirche bekämpft, aber die Magier behaupteten schon seit Jahrzehnten, die Kabbala gehe auf Moses und so auf eine besondere Art göttlicher Offenbarung zurück; das Werk über die Eitelkeit der Wissenschaften gar wurde durch einen Titelzusatz so eingeführt, als ob es zur grösseren Ehre Gottes gegen die weltlichen Wissenschaften allein gerichtet wäre. Wir werden gleich sehen, dass diese Schlauheit den Verfasser vor Verfolgungen nicht schützte.

Das magische Werk, das immer wieder zitiert wird, während die Bekenntnisschrift nach einem starken Buchhändlererfolge bald in Vergessenheit geriet, liegt seit mehr als sechzig Jahren in einer deutschen Übersetzung vor (in der bekannten Sammlung von Scheible). Von seinem Inhalte mag der Auszug eine Vorstellung

geben, den Brucker seiner Geschichte der Philosophie einverleibt hat; was bei Agrippa sonst noch steht, hat mit Philosophie gar nichts mehr zu schaffen und kann nur den interessieren, der den Aberglauben oder den Schwindel der Geheimwissenschaften studieren will. Hier der Auszug Bruckers:

,,Die Welt ist dreierlei, eine elementarische, himmfische und intellektuale Welt. Eine jede teilt der andern ihren Einfluss und Kräfte mit. Gott, das höchste Original und Schöpfer, geusst seine Kräfte in uns durch Engel, Himmel, Sterne, Elemente, Tiere, Pflanzen, Metalle, Steine. Durch eben diese Stufen kann man zu dem höchsten Urheber aller Dinge hinaufsteigen. Daher ist die Magie dreierlei: eine natürliche, eine himmlische und eine zeremonialische, Theurgie sonst genannt. Die Magie haben insonderheit exkoliert (folgen sehr viele Namen von Zamolxis und Zoroaster bis Platon und Demokritos). Es sind vier Elemente, die aber von dreierlei Ordnung und Klasse sind. Das Feuer ist, so ferne es für sich selbst ist und ehe die Materie dazu kommt, unendlich, unsichtbar, für sich mächtig, beweglich, teilt sich allen mit usw.; daher haben alle guten Geister Gemeinschaft mit dem Feuer und Licht. Aus den Dingen fliessen nicht nur geistliche, sondern auch natürliche Gestalten, welche durch solchen Einfluss der Körper aus den Körpern in der Luft ihre Kraft bekommen, und durch das Licht und Bewegung unsern Sinnen sich darstellen und allerlei wunderbare Wirkungen verrichten. Man kann auf eine gewisse Art und Kunst etwas aufschreiben und an den Mondschein legen, dessen ausfliessende Bilder sich in der Luft vermehren, bis sie sich in dem Mond reflektieren, und es ein anderer weit entfernter in dem Mond selbst lesen kann; welches ehedessen Pythagoras gekonnt und Agrippa auch nicht unbekannt gewesen. Die Elemente sind in Gott die Ideen der Dinge, welche er hervorbringen will; in den Intelligentien die ausund mitgeteilten Kräfte, in den Gestirnen die Mächte; in den unteren Dingen die gröberen Formen. Die un

teren Dinge bekommen von denen in der Weltseele enthaltenen Ideen, welche eine einfache, reine, unkörperliche, ewige, unteilbare Natur haben, ihr Wesen; soviel nämlich Ideen in dem göttlichen Verstand sind, soviel sind rationes seminales [Samenverhältnisse, die modern anmutende Vorstellung von einem principium seminale, einer „Urhebe", spielt hundert Jahre nach Agrippa eine grosse Rolle in der Naturphilosophie des genialen van Helmont] in der Weltseele, von welchen alle Eigenschaften der unteren Dinge abhängen. Es sind die Ideen nicht nur die Ursachen des Wesens, sondern auch der Kräfte und Wirkungen der Dinge. Gott hat das sigillum idearum (das Siegel der Ideen) seinen Dienern, den Intelligentien, anvertraut, welche dieselben den Himmelskreisen und Gestirnen, und diese den unteren materiellen Dingen eindrucken und machen, dass die Materie diese Formen annimmt; und das sind die unbekannten und verborgenen Kräfte der Dinge. Alles ist voll Gottheiten, das ist, voll göttlicher Kräfte. Damit die himmlischen Seelen in den Körpern wirken können, muss eine Weltseele sein. Durch diese Weltseele oder Weltgeist kann man der Kräfte der Dinge teilhaftig werden, und dadurch kann man auch Geld machen, wenn man diesen Weltgeist herauszuziehen weiss. Alle Dinge haben Liebe und Hass in sich. Diejenigen Dinge, in welchen die Idee in die Materie nicht tief eingedruckt wird, die können auch nach dem Tode noch wunderwürdige Dinge wirken. Alle oberen Dinge wirken in den unteren, und daher haben die Gestirne ihre Wirkungen in den Körpern. Der Menschen Sitten und Gewohnheiten sind den Planeten unterworfen, und darnach ausgeteilt. Alle Sterne haben ihre eigenen Naturen und Eigenschaften, deren Zeichen und Charaktere durch ihre Bestrahlungen ihre Wirkungen in den Elementen, Steinen, Pflanzen und Tieren hervorbringen. Durch die unteren Dinge, wann sie der oberen konform sind, kann man himmlische Kräfte und Wirkungen erlangen; daher kann man durch gewisse

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