Page images
PDF
EPUB

II. DAS BEKENNTNISBUCH

GRIPPA selbst scheint in seinem Buche,,Über

die Krönung seines Lebens, erblickt zu haben. Erst auf dem Titel dieses Buches legte er sich den Adel bei, die Ritterschaft und die wissenschaftlichen Grade; dem reichen Genueser, dem er das Buch widmete, versprach er, dieser würde durch die Widmung unsterblich werden. Als der kaiserliche Gesandte Chapuys ihn für die Sache der englischen Königin werben wollte und ihm darum Schmeicheleien über das magische und über das zynische Werk sagte, antwortete Agrippa, stolz auf den Erfolg des Bekenntnisbuches, in einem ironischen Tone des Selbstbewusstseins, der ihm sonst bei allem Hochmut seinen Gönnern gegenüber fremd

war.

Wir haben aber erfahren, dass Agrippa dieses Werk des Trotzes nur in einer verzweifelten Stimmung niedergeschrieben hatte, um sich in einer der schlimmsten Lagen seines Lebens an allen seinen Feinden zugleich zu rächen: an den Gelehrten, den Mönchen und den Fürsten. Sein Bekenntnisbuch war ein Zornausbruch; weder gab es bei Agrippa eine eigentliche geistige Katastrophe, wie etwa bei Luther oder Kant, die ihn aus einem Dogmatiker zu einem Kritiker gemacht hätte, noch kann bei ihm von einer stetigen

Entwicklung zum Skeptiker die Rede sein. Vor und nach der Abfassung seines Bekenntnisbuches trieb er in der Weise eines Charlatans die magischen Künste, die seinen Namen zuerst bekannt gemacht hatten. Oft genug bekämpfte er die Lehren der Skeptiker und in Wahrheit war er kein Skeptiker, weder im Sinne der griechischen Sekte noch in dem freiern Sinne der modernen Zeit. Da er sich aber, und nicht nur in seinem Bekenntnisbuche, ebenso oft über den Glauben an die Magie lustig machte, so wäre es eine unlösbare Aufgabe, seine letzte Meinung ergründen zu wollen, wenn man die nüchternen Begriffe unserer Zeit zugrunde legen würde. In den Tagen des Agrippa und des Faust jedoch war em Mann möglich, der den Teufel verhöhnte, an den er nicht glaubte, der die Adepten der Alchimie und Astrologie zum besten hatte und es dennoch für möglich hielt, eines Tages durch Alchimie oder Astrologie sein Glück zu erjagen. Es lag nicht in Agrippas Charakter, zu den letzten Fragen eine feste und dauernde Stellung zu nehmen.

So treten wir ihm gewiss mit der Annahme nicht zu nahe, dass er sein Bekenntnisbuch zwar 1526 mit echter Leidenschaft und mit Preisgabe seiner ganzen wilden Persönlichkeit niedergeschrieben hatte, dass er aber drei Jahre später nur an Schriftstellerruhm und Gelderwerb dachte, als er das Buch veröffentlichte, bald nach dem Druck kleinerer Schriften und unmittelbar vor der Herausgabe seines magischen Werks. Es ist schon gesagt worden, dass das Bekenntnisbuch zunächst einen gewaltigen Erfolg hatte; bis zum Tode Agrippas allein mögen etwa zehn verschiedene Auflagen erschienen sein, von denen die meisten in den Bibliotheken zu finden sind. Der Erfolg war sicherlich mit der schon erwähnten Verdammung durch die Universitäten von Paris und Löwen zu danken; das Urteil von Paris war der Veröffentlichung des Buches unmittelbar gefolgt: es neige sehr der Lehre Luthers zu, enthalte viel gegen den Bilderdienst und gegen die Einrichtungen der Kirche, sei auch blasphemisch gegen

K25

in

die Verfasser der Bibel, müsse also öffentlich verbrannt werden.

Die nachfolgende Verurteilung durch die Universität Löwen konnte dem Autor viel gefährlicher werden, weil er damals (1531) noch in den Niederlanden lebte und gar zu leicht der Verbrennung des Buches eine Verbrennung des Ketzers selbst folgen konnte. Agrippa aber verliess sich auf den Schutz des Kardinal-Legaten Campeggio, der damals in Mecheln den Verlauf der englischen Ehescheidungssache abwartete; in dem Hause dieses Kirchenfürsten arbeitete nun Agrippa an seiner Rechtfertigungsschrift. Die Doktoren von Löwen hatten wie die von Paris die Stellen aus dem Bekenntnisbuche ausgezogen, die eine Anklage auf Ketzerei rechtfertigen konnten: die Angriffe auf die Mönchssitten, die Stellen über Luther, über den Bilderdienst, über den menschlichen Charakter der Evangelisten, über die Leerheit der Bibelauslegungen, über das Verhältnis der Wissenschaft zum Christentum und endlich die Beschimpfungen der Mönche überhaupt. Agrippa hatte Mühe genug, die Punkte der Anklageschrift in Erfahrung zu bringen; kaum hatte er sie in Händen, so schrieb er, eben in dem Hause des Prälaten, eine Rettung oder Apologie, die an Schärfe seinem Bekenntnisbuche nicht viel nachgibt; dass er so vorsichtig war, das Buch wie das Nachwort für Spiele des Witzes zu erklären, die man nicht gar zu ernst nehmen sollte, nimmt der Satire nichts von ihrer Bosheit. In unserer Ausgabe soll die Apologie dem Werke selbst folgen; ich mache gleich hier auf die Wendung aufmerksam, die er seiner Stellung zu Luther gibt.

Agrippa war mit seiner Verteidigungsschrift recht zufrieden: er hätte den Verleumdern in Löwen massvoll geantwortet, aber Salz, etwas Essig und Senf hinzugetan, das Öl aber absichtlich vergessen. Agrippa schrieb noch eine zweite kleinere Antwort auf die Anklage. Die Apologie wurde 1533 gedruckt und dem Kardinal-Legaten gewidmet. Sie machte nicht viel weniger Aufsehen als das Bekenntnisbuch selbst. Zu

den Leuten, die sich äusserten, gehörte auch Erasmus; der Leisetreter, der sich das Buch über die Eitelkeit der Wissenschaften während seiner Mahlzeiten hatte vorlesen lassen, weil er sonst keinen Augenblick frei gehabt hätte, berichtete, dass von nichts anderm gesprochen würde als von Agrippa, lobte die Gesinnung, warnte aber eindringlich vor weiterem Kampfe und erinnerte an einige Opfer der Mönchswut.

Ich habe nichts verschwiegen, was den Charakter des Charlatans und Abenteurers Agrippa unerfreulich macht; im Vergleiche zu dem klugen Erasmus, der in den Geisteskämpfen der Zeit immer den besten Männern überlegen war und dennoch in der entscheidenden Stunde jedesmal versagte, war der jähzornige, rachsüchtige, draufgängerische Agrippa dennoch der liebenswertere Mann. Aber das letzte Urteil über Agrippa, wenn denn schon über eine historische Persönlichkeit geurteilt werden soll, wird sich nicht allzu weit von dem Verdikt des sorgsamen und klugen Jakob Brucker entfernen dürfen: „Alle seine Gaben verderbte und schändete, ihm zu seinem eigenen Unglück sein verderbtes Herz, welches über die tumultuierenden Begierden nicht Meister werden konnte. Daher war er unbeständig, ruhmredig und prahlerisch, heftig in Worten, zumal gegen diejenigen, welche ihn beleidigt hatten, und auch in den desperatesten Umständen voll Rachgier." Und auch für meine wiederholte Erinnerung, dass Agrippa den grossen Skeptikern nicht zuzurechnen sei, möchte ich mich auf das Zeugnis Bruckers berufen:,,Die ihn wegen seiner Satyre über die Eitelkeit der Wissenschaften zu einem Skeptiker machen, haben weder seine Absicht in diesem Buch noch die Zeit, da es geschrieben worden, genugsam erwogen."

Agrippa

IV

W

III. ETWAS ZUR LITERATUR

ER sich von Agrippas Wesen eine deutliche Vorstellung machen will, der muss sich schon die Mühe nehmen, seine Werke und insbesondere seine Briefe zu lesen, aber mit kritischen Augen zu lesen. Agrippa war nicht nur ein Charlatan, sobald er irgendwo einen Vorteil winken sah, er flunkerte auch aus Neigung und Gewohnheit und endlich ist sogar in seiner Sprache, in dem Humanistenlatein der Zeit (was ich besonders wiederholen möchte) eineQuelle der Unwahrheit verborgen. Alle seine ältern Biographen haben ihm zuviel geglaubt. So auch der Skeptiker Bayle, dessen Artikel,,Agrippa" in dem Historischen und kritischen Wörterbuche nicht zu den besten des wertvollen Buches gehört. Bayle hält sich sehr lange bei den Beweisen dafür auf, dass Agrippa kein Zauberer gewesen sei. Viel wertvoller ist das Kapitel über Agrippa in Jacob Bruckers grosser lateinischer Philosophie-Geschichte wie auch in den ,,Kurtzen Fragen aus der Philosophischen Historie von Christi Geburt bis auf unsere Zeiten" (Band VI, S. 587 ff.); auch Brucker nimmt zu viele Angaben über Agrippas Lebensumstände auf Treu und Glauben hin, aber er charakterisiert den Mann und seine Hauptwerke ganz richtig und dringt mit mancher Bemerkung tief genug in die Seele Agrippas ein. Auch weiss er schon, dass einige

« PreviousContinue »