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Zaubergeschichten, die dem Agrippa nacherzählt wurden, der Faustlegende entnommen waren. In Deutschland hat sich C. Meiners am ausführlichsten mit Agrippa beschäftigt, in seinen,, Lebensbeschreibungen berühmter Männer aus den Zeiten der Wiederherstellung der Wissenschaften" (I. Band S. 213 ff.); der Aufsatz ist mit Liebe geschrieben und Agrippa wird, wenn auch die Züge des Abenteurers und Marktschreiers nicht getilgt werden, doch auch moralisch in Schutz genommen. In neuerer Zeit haben sich ein Engländer und ein Franzose dem Studium Agrippas gewidmet; Henry Morleys ,,Life of Henry Cornelius Agrippa" ist bald brauchbar durch Auszüge aus den Briefen, bald ganz wertlos durch die romanhafte Darstellung der historischen Tatsachen; um so gewissenhafter und gründlicher ist die grosse Monographie von M. Aug. Prost „,Corneille Agrippa sa vie et ses œuvres"; man kann sich diesem Buche recht gut anvertrauen, wenn man nur darauf achtet, dass Prost deutsche Namen und deutsche Verhältnisse nicht genau kennt und in dieser Beziehung kleine Fehler zu verbessern übrig lässt. Übrigens durfte ich der historischen Darstellung und den beigefügten Untersuchungen von Prost fast durchaus folgen.

Der vorliegenden Ausgabe liegt eine anonyme Übersetzung zugrunde, die zu Köln im Jahre 1713 erschienen ist. Diese Übersetzung ist über alle Begriffe elend; wer sich die Mühe gegeben hat, den Text unserer neuen Ausgabe mit dem Texte von 1713 und dann wieder mit dem Original zu vergleichen, der wird bemerken, dass ich an hunderten von Stellen gröbere und leichtere Schnitzer sowie auch Leichtfertigkeiten der alten Übersetzung stillschweigend zu verbessern mich bemüht habe. Es ist offenbar, dass der Übersetzer von 1713 (denn die schlimmsten Dummheiten sind fast nur durch Gehörfehler zu erklären) sich die lateinische Schrift des Agrippa von einem Menschen, der wenig oder gar kein Latein verstand, vorlesen liess und das Gehörte in fliegender Eile in seine deutsche Muttersprache übertrug, die gerade damals (vor

zweihundert Jahren) sich von ihrem Tiefstand noch nicht wieder erholt hatte; es ist weiter offenbar, dass der alte Übersetzer zwar für unsern Pamphletisten Agrippa, für den Skeptiker und Zyniker, ein geradezu überraschendes Verständnis besass, dass er aber als Gelehrter dem Polyhistor Agrippa durchaus nicht gewachsen war und namentlich die naturwissenschaftlichen Ausführungen sehr oft einfach nicht verstand. Die Frage liegt nahe, warum ich mir die unsägliche Mühe gegeben habe, die alte Übersetzung ein bisschen zu säubern, anstatt mit leichterer Arbeit eine neue anzufertigen, als ich daran ging, das fast unbekannte Bekenntnisbuch Agrippas neu herauszugeben.

Zunächst reizte es mich, einen Neudruck der alten Übersetzung trotz ihrer Fehler deshalb zu wagen, weil für mein Ohr das altertümelnde, immer nach Cicero schielende und gerade darum immer barbarische Latein des Originals durch die unbewusst altertümelnde, immer nach dem Latein schielende und barbarische deutsche Sprache vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erstaunlich gut wiedergegeben wird; auch hoffte ich auf den Dank aller Freunde der deutschen Sprachgeschichte, weil die selten gewordene deutsche Übersetzung schwer aufzutreiben ist, und sie doch, und gerade an den wichtigsten Stellen häufig, den lateinischen Ausdruck in kräftiger und naiver Weise durch alte Worte übersetzt, die mitunter wiederbelebt zu werden verdienten. Ich habe darum nur die Rechtschreibung der unsern angenähert, im übrigen aber den Text insoweit unverändert gelassen, als nicht eben störende Sinnlosigkeiten und Ungenauigkeiten einen Ersatz forderten und als nicht die Einschaltung unbegreiflicher kleiner Auslassungen notwendig war.

Sodann aber hätte einer befriedigenden Neuübersetzung eine Arbeit vorausgehen müssen, die ich nicht übernehmen wollte, wahrscheinlich auch nicht übernehmen konnte. Der Druck des lateinischen Originals nimmt es nämlich an Liederlichkeit mit der Liederlichkeit der alten Übersetzung auf. Mehr als einmal

auf jeder Seite stossen wir auf Druckfehler (abgesehen Druckfehle von den am Ende der ersten Ausgabe korrigierten), auf falsche oder sinnlose Interpunktionen, auf falsche Zitate und auf abenteuerliche Namen. (Die Verwirrung, welche die alte Übersetzung bei Wiedergabe dieser übermässig gehäuften Autornamen angerichtet hat, ist hier korrigiert worden; aber die Konfusionen des Originals mussten ein wenig geschont werden, wenn nicht offenbare Druckfehler vorlagen; aus vielen Irrtümern lassen sich Schlüsse ziehen auf die Art von Agrippas Belesenheit. Er hat unglaublich viel gelesen; führt aber auch Autoren an, die er nur aus Zitaten bei andern Autoren kennt.) Auch Agrippas lateinischer Stil lässt oft im Ungewissen darüber, ob man eine besondere Absicht, einen Barbarismus oder wieder einen Druckfehler annehmen solle. Ich habe mir redliche Mühe gegeben, auch da so weit zu gelangen als mein Plan es erforderte: die Übersetzung von 1713 lesbar zu machen. Für eine neue Übersetzung wäre als Grundlage ein neuer Urtext erforderlich gewesen, den herzustellen ein tüchtiger Philologe viele Jahre brauchen würde; dieser Philologe müsste das klassische, das scholastische und das humanistische Latein vollkommen beherrschen und müsste überdies für die Geschichte aller Wissenschaften bis zum ersten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts ein Polyhistor sein, wie eben Agrippa einer war.

Nun aber haben bald nach Agrippas Tode die Herausgeber der zynischen Bekenntnisschrift auf die Kirche Rücksicht genommen und auch grössere Stellen in den Ausgaben des Originals fortgelassen; die alte deutsche Übersetzung folgt einer dieser kastrierten Ausgaben. Auf diese Fälschungen haben nacheinander mehrere Gelehrte in Zorn und Spott hingewiesen, zuerst der mir sonst unbekannte Philologe Crenius, sodann Pierre Bayle in dem Artikel seines Dictionnaire; endlich Schelhorn im zweiten Bande seiner Amoenitates literariae. Dort steht ausser einer wertvollen Abhandlung über das Leben des Agrippa auch (Seite

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513 f.) eine Bemerkung über die Hauptstellen, die in den spätern Ausgaben der Bekenntnisschrift getilgt sind. Ich habe ausserdem natürlich die Erstausgabe von 1530 verglichen; ferner die undatierte Gesamtausgabe, bei den Brüdern Bering zu Lyon (wahrscheinlich um 1565) erschienen, endlich den seltenen und etwas sorgfältigern Abdruck von 1539 (ohne Angabe von Verleger oder Drucker). Da meine Übersetzung der fehlenden Stellen sich im Tone allzusehr von der alten Übersetzung unterscheidet, habe ich die Ergänzungen in Fussnoten beigefügt.

Das titanische Epigramm Agrippas (vgl. Seite V dieser Einleitung) ist in vielen spätern Auflagen wieder zu finden. In der Originalausgabe steht es gleich hinter dem in schöner Fraktur gedruckten Privileg des Kaisers. Die Originalausgabe trägt aber ausserdem auf dem Titelblatte ein Motto, das man in spätern Ausgaben vergebens suchen wird: Nihil scire foelicissima vita. Der Aufschrei des faustischen Mannes, der an jeder Erkenntnis und an jedem Erfolge verzweifelt: Nichts zu wissen, das glücklichste Leben.

HENRICI CORNELII

AGRIPPAE

UNGEWISSHEIT

UND

EITELKEIT

ALLER

KÜNSTE UND WISSENSCHAFTEN

AUCH

WIE SELBIGE DEM MENSCHLICHEN GESCHLECHT MEHR SCHÄDLICH ALS

NUTZLICH SIND

CÖLLN 1713

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