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§. 55.

Das Fußfassen der christlichen Gedankenbildung auf der antiken.

1. Nach dem Siegeszuge des Evangeliums erhoben sich allent= halben auf den Grundmauern heidnischer Tempel christliche Gotteshäuser, eine Wandlung, von welcher der Name jener römischen Kirche ein Denkmal ist, die auf den Fundamenten eines Minerventempels steht und heute Santa Maria sopra Minerva heißt. Auch im Gebiete des Gedankens hat die Weisheit des Kreuzes die Mauern verwendet, welche der Tiefsinn der alten Denker aufgeführt hatte: die christliche Philosophie ist auch eine Santa Maria sopra Minerva; sie hat das ewige Licht, welches im Tempel Athenens brannte 1), nicht ausgelöscht, sondern mit reinerem Öle genährt; der Speer der Promachos wurde zum Kreuze, die melancholische Eule zur glorienumwobenen Taube.

Das Überbauen des alten Mauerwerks war nicht Sache der Not, so wenig beim Mauern im übertragenen Sinne, wie das im eigentlichen. Bei seinem Reichtum an spekulativen Momenten hätte das Christentum der antiken Denkmotive und Lehrstücke auch ent= raten können. Hätten zur Zeit der keimenden christlichen Spekulation anstatt Platon und Aristoteles vielmehr Demokrit und Epikur die Geister beherrscht, so hätte jene Spekulation lediglich die Glaubensund Weisheitsinhalte der Heilslehre verarbeitet und alle auswärtige Philosophie sich ferngehalten. Dank dem edleren Geiste, der sich bei Griechen und Römern troz des Verfalles erhalten hatte, fand das

1) Paus. I, 14, 16.

Christentum eine homogene Gedankenbildung vor und es konnte sich die Anschmelzung des Alten an das Neue, dem die Zukunft gehörte, vollziehen; jenes bot einen Stüßpunkt dar, dieses lohnte damit, daß es das Dargebotene auf die Nachwelt kommen ließ; danken wir doch nur der schüßenden Hand der Kirche, was von der alten Philosophie zu uns gelangt ist, da es ohne sie der Vergessenheit verfallen wäre.

Man hat das Verhältnis des alternden, heilsempfänglichen Judentums zum Christentume in dem greisen Simeon, der das Christkind in seine Arme nimmt, vorgebildet gefunden; der Greis hält das schwache Kind, aber des Kindes Geist erleuchtet ihn: senex puerum portabat, puer autem senem regebat, wie es im Officium de Pur. B. M. V. heißt. Man kann das auch auf die alte und die christliche Philosophie anwenden: das geschulte Denken der gealterten Systeme gab der jugendlich vordringenden Spekulation der Christenheit Haltepunkte und Anregungen, aber das Kind leitete den Greis: die Richtlinien und die zeugenden Prinzipien brachte die jüngere Gedankenbildung aus dem Eigenen zu.

Die Erhaltung der älteren ist in gewissem Betracht auch ein Akt pietätsvoller Schonung. Das christliche Wesen hat auf allen Gebieten, in Wissenschaft und Kunst, Sitte und Leben das Vorgefundene, soweit es mit dem eigenen Lebensprinzip vereinbar war, erhalten und fortgeführt, auch hier seinen katholischen, universalen Charakter bewährend. Das christliche Denken nimmt in seinem Verkehr mit der alten Philosophie keine ethnischen Elemente auf; die Denker und Lehrer sind viel zu eng untereinander und mit dem Zentrum der Kirche verbunden, als daß etwaige zweideutige, mißverständliche Bestimmungen der Einzelnen Wurzel schlagen könnten. Wo aber wirkliche Abirrungen vorkommen, wie etwa bei Origenes, der in unstatthafter Weise antiken Anschauungen Raum giebt, findet der Irrende eine geschlossene Gegnerschaft sich gegenüber; wie der fräftige Organismus die Nährstoffe assimiliert und das Gift ausstößt, so jener Organismus, den das christliche Lebensganze darstellt. Einen synkretistischen Charakter konnten wir nicht einmal dem Neuplatonismus zuschreiben, da bei ihm das zugrunde liegende Ethos

Willmann, Geschichte des Idealismus. II.

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so viel Ernst und Tiefe zeigte, daß es der aufgenommenen Elemente Herr wurde 1), um so weniger hat die christliche Philosophie einen solchen, bei der die Glut der Andacht, der Ernst der Aufgabe, die Gewalt der Intuition und des Gedankens allem, was sie aufnimmt, den Stempel des Geistes und der Wahrheit aufdrückt und es in einen höheren Zusammenhang einfügt. Das Christentum bewies seine Kraft an der Assimilation eines organisierten Stoffes, als welcher die alte Philosophie zu bezeichnen ist; es ist Zeichen höherer Organismen organische Stoffe aufzunehmen, während sich die niederen von unorganischen ernähren.

2. Die Voreiligkeit des Anschlusses an heidnische Weisheit verurteilte am schärfsten der große Apostel, der am bestimmtesten die Bekehrung der Heidenwelt ins Auge faßte und darum doppelten Grund hatte, das Heiden tum von der Heilslehre fernzuhalten. Die Griechen, sagt der heilige Paulus, verlangen von uns Weisheit, wie die Juden Wunderzeichen, jenen ist der Gekreuzigte ein Spott, wie diesen ein Greuel. Gottes Weisheit wollte nicht, daß die Welt in ihrer Weisheit Gott erkenne, darum bestimmte er, daß der Ruf zur Erlösung der Gläubigen von denen, die vor der Welt Thoren sind, ausgehe und das Wort wurde erfüllt: „Ich will die Weisheit der Weisen zunichte machen und den Verstand der Verständigen als nichtig erweisen“ 2). Nicht bloß jene Weisheit, sondern auch die darauf fußende Philosophie bezieht er in sein Verdikt ein: „Sehet zu, daß euch nicht Jemand durch Philosophie und durch den leeren Trug täusche, wie er bei den Menschen umgeht, gebaut auf die Elemente der Welt und nicht auf Christus“: dià tñs qiλοσοφίας καὶ κενῆς ἀπάτης κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν ἀνθρώπων καὶ κατὰ τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσμου, καὶ οὐ κατὰ Χριστόν ). Aber derselbe Apostel gesteht den Heiden zu, daß ihnen das Gesez ins Herz geschrieben ist 4) und daß sie Gott suchten, ob sie ihn wohl fänden, und daß sie an dem Ausspruche ihrer Dichter: „Wir find seines Geschlechtes“ einen Leitstern dazu besaßen3).

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Der Apologet Theophilos von Antiochien nennt den Kultus der Götter vernunftwidrig und die Lehren der heidnischen Dichter und Philosophen nichtig, da sie sich von der ältesten Urkunde, der heiligen Schrift abgewandt 1). „Der irrtumsreiche Chor der Philosophen“ sei zudem unter sich uneinig; auch die besten haben Verkehrtheiten gelehrt: Pythagoras die Seelenwanderung, Platon die Weibergemeinschaft. Aber derselbe Apologet beruft sich auf die Überein= stimmung der Sibylle und der Dichter mit den Propheten 2) und nimmt die Anschauung von dem 2óyos évdiάdetos und λóyos rooдoginós auf, dem in Gott eingeschlossenen und dem aus ihm heraustretenden Worte 3), wie sie Philon nicht ohne Anschluß an die Stoiker aufgestellt hatte. Theophilos verglich mit einem schönen Bilde die Menschenseele mit einem Metallspiegel, der Gottes Bild aufnehmen soll, aber es nicht vermag, wenn er vom Roste der Sünde angefressen ist 4); als ein solcher Rost galt ihm das Heidentum, aber so gewiß die Heiden von jenem Logos wußten, hätte er ihnen zugestehen müssen, daß ihr Spiegel doch auch lichte Stellen hatte.

Wo uns im christlichen Altertume ein starrer Rigorismus in der Ablehnung der antiken Weisheit entgegentritt, zeigt sich mehrfach damit auch eine unberechtigt-rigorose Auffassung der christlichen ́ Vollkommenheit verbunden, die schließlich sogar zu Lossagung von der Kirche führt; so bei Tatian und Tertullian. Der Apologet Tatianos, ein Assyrer von Geburt, in griechischer Wissenschaft unterrichtet, polemisiert gegen dieselbe in heftiger, unbilliger Weise: Ihr sucht Gott und kennt euere eigenen Sachen nicht, ihr gafft den Himmel an und fallt in Gruben; eure Bücher gleichen Labyrinthen, ihre Leser dem Fasse der Danaiden... Ihr kommt mir wie Schiffende vor: während das Schiff dahinfährt, vermeint man die Berge zögen vorüber: so wißt auch ihr nicht, daß ihr vorübergeht, die Zeitalter aber still stehen, so lange es dem gefällt, der sie gemacht hat... Da ihr Gott nicht kennt, herrscht Zwist unter euch:

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ihr seid alle nichts und sprecht wie Blinde zu Tauben" 1). Aber dieser Eifergeist kehrt sich später gegen die Kirche selbst; Tatian wurde Begründer einer gnostischen Sette, welche die Äonenlehre annahm, die Ehe für teuflisch erklärte und bei der Eucharistie den Wein verwarf 2).

Tertullianus, der karthagische Rhetor und beredteste Anwalt der Christen, bekämpfte die alte Philosophie hauptsächlich als die Quelle der Häresie, wobei er den Sprachgebrauch auf seiner Seite hatte, der die Philosophenschulen und die kezerischen Vereine mit demselben Namen: agɛois, secta, bezeichnete. „Die Häresieen empfangen ihre Ausrüstung von der Philosophie: daher stammen die Äonen und die Dreiteilung des Menschen bei Valentinus, der ja Platoniker gewesen war. Daher stammt bei Marcion der bessere Gott, der wegen seiner Unthätigkeit der bessere sein soll: er ist von den Stoikern herübergenommen; die Vernichtung der Seele im Tode hat man den Epikureern abgelauscht. Die Leugnung der Auferstehung des Fleisches fußt auf der einstimmigen Lehre der Philosophen, die Gleichstellung der Materie mit Gott ist von Zenon; wo etwas von einer feurigen Gottheit vorgebracht wird, so steckt Herakleitos dahinter. Der armselige Aristoteles! der jenen die Dialektik gelehrt hat mit ihren buntscheckigen Sentenzen (versipellem in sententiis), die Meisterin im Aufbauen und Einreißen, mit ihren gezwungenen Konjekturen, ihren steifen Argumenten, sich selber zur Last, die alles immer von neuem behandelt, um schließlich garnichts ausgemacht zu haben (omnia retractantem, ne quod omnino tractaverit). Von da kommen jene Fabeln und endlosen Genealogieen, die unfruchtbaren Grübeleien, die Reden im Krebsgang, vor denen der Apostel warnt 3)." — Den Zusammenhang der Häresie mit der Philo sophie faßt auch Hippolytos in seinen Pilosopovμeva ins Auge, aber wie seine wertvollen Angaben über die lettere zeigen, läßt er das Gute daran gelten und erkennt, daß nur die gemißbrauchte Philosophie zu häretischen Verirrungen führt.

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1) Tat. Or. ad Graec. 26. 2) Ir. I, 28; Hieron. ad. Galat. u. Comm. in Amos 2. 3) Tert. de praescr. 7.

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