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Fünftes Kapitel.

Swift.

Im Jahre 1685 bot sich in dem großen Saale der Universität Dublin den Professoren bei Ertheilung des Baccalaureusgrades ein seltsames Schauspiel: ein armer, wunderlicher, unbeholfener Schüler mit blauen, strengen Augen, eine freundlose Waise, die nur durch die Mildthätigkeit eines Onkels armselig erhalten wurde und schon ein= mal wegen ihrer Unwissenheit in der Logik zurückgewiesen worden war, erschien zum zweiten Male, ohne nur die Logik eines Studiums gewürdigt zu haben. Umsonst legte sein tutor ihm die ehrwürdigsten Folianten vor: Smeglesius, Keckermannus, Burgersdicius. Er durchblätterte drei Seiten davon und machte sie aufs Schnellste wieder zu. Als die Beweisführung kam, war der proctor genöthigt, seine Argumente in Schlüsse zu verwandeln. Man frug ihn, wie er ohne die Regeln richtig logisch denken könnte; er antwortete, daß er auch ohne sie sehr richtig zu denken vermöchte. Dieses Uebermaß von Thorheit erregte allgemeine Entrüstung; er bestand jedoch die Prüfung, wenn auch mit genauer Noth, speciali gratia, wie das Protokoll sagt, und die Professoren gingen sicherlich mitleidig lächelnd weg und bedauerten das schwache Gehirn von Jonathan Swift.

Das erste Auftreten Swifts.

I.

Sein Einfluß.

Sein Charakter. Sein Stolz. Seine Empfindlichkeit. Sein Leben bei Sir W. Temple. Bei Lord Berkeley. Seine politische Rolle. Sein Mißerfolg. Sein Privatleben. Seine Liebesverhältnisse. Seine Verzweifelung und sein Wahnsinn. Das war seine erste Demüthigung und seine erste Auflehnung. Sein ganzes Leben glich diesem Moment, es war erfüllt und verödet

von Schmerz und Haß. Zu welchem Uebermaß sie anwuchsen, können nur sein Charakterbild und seine Geschichte zeigen. Er besaß einen übertriebenen und furchtbaren Stolz, und vor seiner Anmaßung mußte sich der Hochmuth der allgewaltigen Minister und der vornehmsten Lords beugen. Der einfache Journalist, der nichts als eine kleine Pfründe in Irland besaß, behandelte sie wie Seinesgleichen. Als der Premierminister Harleh ihm für seine ersten Artikel eine Banknote zugesendet hatte, fühlte er sich beleidigt, für einen bezahlten Menschen gehalten zu werden, schickte das Geld zurück und forderte Entschuldigungen. Er erhielt sie und schrieb in sein Tagebuch: „Mr. Harley ist wieder zu Gnaden angenommen."*) Als er bei einer andern Gelegenheit bemerkte, daß der Staatssecretair St. John ihn kalt behandelte, so tadelte er ihn deshalb in barscher Weise:

,,Ich theilte ihm mit, daß er mir niemals kalt begegnen möchte, denn ich wollte nicht wie ein Schulbube behandelt werden; daß ich erwartete, daß alle großen Minister, die mich mit ihrer Bekanntschaft beehrten, ftets, wenn sie etwas mir Nachtheiliges hören oder sehen sollten, es mir offen und ehrlich mittheilen und mir nicht die Mühe machen würden, es durch Veränderung oder Kälte im Gesicht oder Benehmen zu errathen; daß ich Solches kaum von einem gekrönten Haupte ertragen würde, geschweige denn, um die Gunst eines Unterthanen zu gewinnen, und daß ich die Absicht hätte, dem Großsiegelbewahrer und Mr. Harley dasselbe zu erklären, wenn sie mich demgemäß behandeln würden.“**)

Saint-John erkannte das an, entschuldigte sich, sagte, daß er mehrere Nächte mit Arbeiten und eine Nacht mit Trinken zugebracht habe und daß vielleicht seine Ermüdung wie schlechte Laune habe erscheinen können. In dem Empfangssalon plauderte Swift mit irgend einem unbekannten Menschen und nöthigte die Lords, ihn zu begrüßen und anzureden:

,,Der Herr Staatssecretär sagte mir, daß der Herzog von Buckingham meine Bekanntschaft zu machen wünschte. Ich antwortete ihm, daß dies nicht möglich wäre, weil er nicht genug Entgegenkommen gezeigt hätte. Da sagte der Herzog

*) I have taken Mr. Harley into favour again.

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**) I will not see him (M. Harley) till he makes amends . . . I was deaf to all entreaties, and have desired Lewis to go to him, and let him know that I expected further satisfaction. If we let these great ministers pretend too much, there will be no governing them

....

One thing I warned him of, never to appear cold to me, for I would not be treated like a school-boy; that I expected every great minister who Taine, Gesch. der engl. Literatur. II.

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von Shrewsbury, daß er glaubte, der Herzog wäre nicht gewöhnt, entgegen zu kommen. Ich erwiderte ihm, daß ich ihm da nicht helfen könnte; denn ich erwartete ftets Entgegenkommen, je nach dem Stande der Leute, und mehr von einem Herzog als von anderen Personen.“*)

Er triumphirte in seiner Arroganz und sagte mit verhaltener, hämischer Freude:

,,Ich bin gewöhnlich mit ungefähr vierzig Leuten in dem Salon bekannt und so stolz, daß ich alle die Lords an mich herankommen lasse. Man verbringt da eine halbe Stunde ziemlich angenehm."**)

Er verstieg sich sogar bis zur Brutalität und Tyrannei; er schrieb an die Gräfin Queensbury:

,,Ich freue mich, daß Sie wissen, was Ihnen zukommt; denn es ist eine seit mehr als zwanzig Jahren in England gekannte und feftftehende Regel, daß von allen Damen, die meine Bekanntschaft zu machen wünschten, die ersten Schritte gethan worden find, und je vornehmer ihr Stand war, desto größer war ihr Entgegenkommen.“***)

honoured me with his acquaintance, if he heard or saw anything to my disadvantage, would let me know in plain words, and not put me in pain to guess by the change or coldness of his countenance or behaviour; for it was what I would hardly bear from a crowned head; and I thought no subject's favour was worth it; and that I designed to let my lord Keeper and M. Harley know the same thing, that they might use me accordingly.

*) Mr secretary told me the duke of Buckingham had been talking much to him about me, and desired my acquaintance. I answered it could not be, for he had not made sufficient advances. Then the duke of Shrewsbury said he thought the duke was not used to make advances. I said I could not help that. For I always expected advances in proportion to men's quality, and more from a duke than from any other man.

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I saw lord Halifax at court, and we joined and talked, and the duchess of Shrewsbury came up and reproached me for not dining with her. I said that was not so soon done, for I expected more advances from ladies, pecially duchesses. She promised to comply.... Lady Oglethorp brought me and the duchess of Hamilton together to day in the drawing-room, and I have given her some encouragement, but not much.

(Journal, 19 mai et 7 octobre.)

**) I generally am acquainted with about thirty in the drawing-room, and am so proud that I make all the lords come up to me. One passes half an hour pleasant enough.

***) I am glad you know your duty; for it has been a known and established rule above twenty years, that the first advances have been constantly made me by ladies who aspired to my acquaintance, and the greater their quality, the greater were their advances.

Der ruhmreiche General Webb humpelte mit seiner Krücke und seinem Stocke seine zwei Treppen hinauf, um ihn zu beglückwünschen und einzuladen. Swift nahm an, sagte dann eine Stunde später ab, indem er es vorzog, anderswo zu diniren. Er schien sich als ein höheres Wesen zu betrachten, das aller Rücksichten überhoben wäre, einen Anspruch auf Huldigungen machen könnte und, ohne sich um Geschlecht, Rang und Ruhm zu kümmern, nur zu beschüßen und zu zerstören, nur Gunstbezeugungen, Kränkungen und Verzeihungen auszutheilen brauchte. Als Addison und dann Lady Giffard, eine zwanzigjährige Freundin, ihn beleidigt hatten, weigerte er sich, ihnen wieder seine Gunst zu schenken, wenn sie ihn nicht um Verzeihung bäten. Als sich der Kriegsminister Lord Landsdowne durch einen Ausdruck im „Examiner" beleidigt fühlte, sagte Swift:

„Ich war sehr aufgebracht, daß er sich über mich beklagt hatte, ohne vorher mit mir Rücksprache genommen zu haben..... Ich werde kein Wort weiter mit ihm reden, bevor er mich nicht um Verzeihung gebeten hat."*)

Er behandelte die Kunst wie die Menschen, er schrieb in einem Zuge, verschmähte die widerliche Arbeit, das Geschriebene noch einmal zu überlesen", seßte unter keines seiner Bücher seinen Namen und ließ jede Schrift ohne die Unterstützung Anderer, ohne den Nimbus seines Namens, ohne irgend eine Empfehlung sich allein ihren Weg bahnen. Er besaß die nach Macht dürstende Seele eines Dictators; er bekannte offen, daß all sein Streben nach Auszeichnung nur aus dem heißen Wunsche, wie ein Lord behandelt zu werden, hervor= gegangen sei: *)

,,Mag ich Recht oder Unrecht haben, darauf kommt es nicht an. Der Ruf großer Gelehrsamkeit erseßt ein blaues Band oder eine sechsspännige Caroffe.“ Aber diesen Einfluß, dieses Ansehen betrachtete er als ihm gebührend; er forderte sie nicht, er erwartete sie. „Ich werde niemals für mich selbst bitten, obgleich ich es oft für Andere thue." Er er

*) This I resented highly that he should complain of me before he spoke to me. I sent him a peppering letter, and would not summon him by a note as I did the rest. Nor ever will have any thing to say to him till he begs my pardon.

**) Brief an Bolingbroke.

strebte Herrschaft und handelte so, als ob er sie besäße. Haß und Unglück finden in solchen despotischen Geistern ihren heimathlichen Boden. Sie leben wie gefallene Könige, die, stets beleidigend und verlegt, ohne den Trost des Stolzes all das Elend des Stolzes fühlen, denen weder die Gesellschaft noch die Einsamkeit behagt, die zu ehrgeizig sind, um sich mit Schweigen zu begnügen, zu stolz, um sich der Welt zu bedienen, die für Empörung und Niederlage geboren und durch ihre Leidenschaft und ihre Ohnmacht zur Verzweifelung und zum Talente bestimmt sind.

Empfindlichkeit verschlimmerte hier die Wunden des Stolzes. Unter dieser kaltblütigen Ruhe des Gesichtes und des Stiles kochten wilde Leidenschaften. In seinem Innern tobte ein unaufhörlicher Sturm von Zorn und Begierden:

,,Eine in Irland sehr angesehene Persönlichkeit, die da geruhte, sich bis zu einen Blick in meine Seele zu erniedrigen, pflegte mir zu sagen, daß meine Seele einem gebannten Geiste gleiche, der viel Unheil anrichten würde, wenn ich ihm nicht Beschäftigung gäbe."*)

Der Groll war bei ihm tiefer und heißer, als bei anderen Men= schen. Man höre nur den tiefen Seufzer gehässiger Freude, mit dem er seine Feinde unter seinen Füßen betrachtet:

,,Alle Whigs waren entzückt mich zu sehen; sie hätten sich gern an mich angeklammert wie an einen Zweig, um sich vor dem Ertrinken zu retten, und die vornehmen Leute machten mir alle ihre plumpen Entschuldigungen. Es ist hübsch zu sehen, welch' ein klägliches Bekenntniß die Whigs von ihrer Thorheit abgeben."**)

Und bald darauf:

,,Mögen sie verfaulen, die undankbaren Hunde! Sie sollen ihr Verhalten bereuen, ehe ich fortgehe..... Ich habe zwanzig Feinde für zwei Freunde ge= wonnen, aber ich habe wenigstens meine Nache gekühlt.”

*) A person of great honour in Ireland (who was pleased to stoop so low as to look into my mind) used to tell me that my mind was like a conjured spirit, that would do mischief, if I would not give it employment.

**) All the whigs were ravished to see me, and would have laid hold on me as a twig, to save them from sinking; and the great men were all making me their clumsy apologies. It is good to see what a lamentable confession the whigs all make of my ill usage.

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