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Vor allem ist sie unvollständig. Die hs. A, wiewol sie nur wenig von Veldeke bietet, hat doch zunächst zwei einzelne, in BC fehlende strophen, die entschieden echt sind MF 67, 33 ff. Scherer setzt diese in den anfang des minneverhältnisses, wiewol die erste schon auf langen dienst hinweist, und ist der ansicht, dass der dichter wol mehrere strophen unterdrückt haben wird, wozu man sich aber gar keine veranlassung denken kann als die seltsame gruppierung, der zu liebe der dichter auf vollständigkeit verzichtet haben müste. Noch bedenklicher ist, dass von dem liede MF 57, 10-58, 10 in BC die erste und dritte strophe fehlt, während es in A vollständig überliefert ist. Scherer weiss sich freilich auch hier zu helfen. Der dichter hat selbst für die sammlung gekürzt, und das lied soll sogar in der kürzeren fassung gewonnen haben, obgleich man den inhalt der bitte, um derentwillen die dame zürnt, gar nicht erfährt, wenn die dritte strophe fehlt. Endlich ist 60, 21 von der zugehörigen strophe 60, 13 in BC weit getrennt. Die zusammengehörigkeit beweist der refrain. Sollen wir glauben, dass ein dichter zwei nicht zusammengehörende, zu ganz verschiedenen zeiten verfasste strophen durch refrain verbindet? Wenn sich allerdings leute finden, die dergleichen glauben, so weiss ich weiter nichts zu sagen.

Scherer nimmt ausserdem chronologische ordnung an bei Heinrich von Morungen in der partie MF 140, 32-144, 37. Er hat dies noch nicht näher ausgeführt. Es ist hier ganz willkürlich ein kleines stück herausgerissen, bei dem auch nicht der geringste anhalt dafür vorhanden ist, dass es einmal ein selbständiges ganze gebildet habe. Wenn man sich wirklich diese paar lieder in der reihenfolge entstanden denken könnte, wie sie überliefert sind, was würde das beweisen? Es ist mir aber wenigstens nicht gelungen, wahrscheinlichkeitsgründe für chronologische anordnung zu entdecken. Ja ich begreife z. b. gar nicht, wenn das tagelied 143, 22 auf wirklichen erlebnissen beruht, wie dann in dem später gedichteten liede 144, 17 ff. der dichter sagen kann 144, 31: ob si miner nôt, diu guote, wolde ein liebez ende geben. Auf das liederbuch Heinrichs von Rugge komme ich weiter unten zu sprechen.

Eine der Schererschen liedertheorie verwante auffassung

durchdringt auch die aufsätze von Wilmanns (Haupt 14, 144) und Heinzel (ibid. 15, 125) über die lieder Hartmanns von Aue. Doch werden von diesen nicht die liederbücher, wie sie sich zunächst aus der handschriftlichen überlieferung ergeben, unmittelbar auf den dichter zurückgeführt. Es wird vielmehr im allgemeinen ihre allmähliche entstehung durch sammlung angenommen, nur wird ein ursprünglicher kern herausgeschält, in welchem durch den inhalt zu einander in beziehung stehende und zeitlich zusammengehörige lieder verbunden sein sollen. Wie man sich eigentlich diese beziehung zwischen der folge in den hss. und der zeitfolge zu erklären habe, darüber spricht sich keiner von beiden klar aus. Auch hier finde ich nichts, was uns berechtigt, die anordnung in den hss. zu schlüssen über die chronologie zu benutzen. Die von Wilmanns und Heinzel gegebenen zeitbestimmungen scheinen mir fast alle sehr problematisch, zum teil entschieden unhaltbar. Es zeigt sich hier gerade wie in Müllenhoffs und Scherers arbeiten recht deutlich das misliche derartiger versuche, aus den minneliedern die realen verhältnisse bis auf alle einzelheiten zu bestimmen. Dieselben sind niemals durchzuführen, ohne dass man sich die sachen willkürlich zurechtlegt. So gehen denn auch die ansichten von Wilmanns und Heinzel schon ziemlich weit auseinander, und wider ganz anders construiert Schreyer in seinen untersuchungen über das leben und die dichtungen Hartmanns von Aue (programm der landesschule Pforta vom 21. mai 1874) die liebesgeschichte des dichters.

Ich kann ihren chronologischen bestimmungen schon deshalb nicht beipflichten, weil die voraussetzung für dieselben, mit welcher sie notwendig fallen müssen, die annahme ist, dass sich Hartmann an dem kreuzzuge von 1197 beteiligt habe. Ich muss an meiner in diesen beiträgen I, 535 ff. ausgeführten ansicht festhalten, dass seine kreuzlieder sich auf den zug von 1189 beziehen. Hier trage ich nach, was ich übersehen habe, dass dieselbe erklärung von MF 218, 19. 20 bereits von J. Grimm aufgestellt und später von Riezler in den forschungen zur deutschen geschichte X, 117 ff. ausführlicher in ganz ähnlicher weise wie von mir begründet ist. Was Schreyer a. a. o. s. 23 und Bartsch, Germ. XIX, 372 dagegen bemerken, kann

mich nicht irre machen. Die kürzung lebt für lebte lässt sich bei Hartmann reichlich durch ähnliche beispiele rechtfertigen. Warum die anknüpfung des nachsatzes nach mhd. ausdrucksweise auffallend und allzu gezwungen sein soll, vermag ich nicht einzusehen. Der einzige unterschied in der construction zwischen meiner und der andern auffassung besteht darin, dass bei der ersteren die subjecte des vorder- und nachsatzes nicht identisch, sondern verschieden und einander entgegengesetzt sind. Um beispiele für die verschiedenheit der subjecte zu finden, braucht man nnr in mhd. wb. den artikel unde durchzusehen. Für directen gegensatz ist mir kein beispiel zur hand. Aber warum sollte ein mhd. dichter nicht auch einen gedanken gefasst haben, bei dem ein solcher gegensatz bestand und wie hätte er diesen gedanken anders ausdrücken sollen? Dass der vordersatz nicht viel kürzer sein dürfe als der nachsatz, ist mir neu, und ebenso neu, dass die dichter sich bemüht haben sollen, ein mögliches misverständnis zu vermeiden. Woher kämen dann die vielen misverständnisse und verschiedenheiten der auffassung?

Weiter, wenn Wilmanns und Heinzel zwei verschiedene minneverhältnisse Hartmanns annehmen, so bestimmt sie dazu besonders das lied 214, 34 ff., in welchem der dichter einer dame seinen dienst anbietet. Ich habe aber in diesem bande s. 173 ff. zu erweisen gesucht, dass dies lied Walther von der Vogelweide gehört. Eine fernere nötigung zur annahme eines doppelten minnedienstes sieht Wilmanns in dem kreuzliede 209, 25 ff. Es hat allerdings den anschein, als ob Hartmann zu der zeit, wo er dasselbe dichtete, frei von minnebanden war. Deshalb legt sich Wilmanns die tatsachen so zurecht: das erste verhältnis habe sich kurz vor abfassung dieses liedes gelöst; dasselbe sei gedichtet, bald nachdem Hartmann das kreuz genommen, im november 1195; zwischen der kreuznahme und dem aufbruch im frühling 1197 sei das zweite verhältnis angeknüpft. Aber wenn es auch wirklich dieser kreuzzug gewesen wäre, an dem sich Hartmann beteiligte, so muss bemerkt werden, dass er auch in dem liede 218, 5 ff., welches erst beim wirklichen antritt der kreuzfahrt gedichtet sein kann, der geliebten mit keinem worte gedenkt und sich ausdrücklich

in gegensatz zu den minnesingern stellt.1) Entweder müssen wir auch aus diesem liede den schluss ziehen, dass der dichter frei war, oder wir sind auch nicht genötigt, dies aus 209, 25 ff. zu folgern. Heinzel nimmt nun auch abweichend von Wilmanns an, dass das zweite verhältnis erst nach dem kreuzzuge begonnen habe. Aber mit recht bemerkt Wilmanns, dass die lange trennung von der geliebten, nach welcher der dichter in dem liede 212, 13 das widersehen erwartet, am natürlichsten auf die kreuzfahrt bezogen wird. Absolut notwendig ist diese beziehung nicht, aber unendlish wahrscheinlicher als die meisten sonstigen combinationen über Hartmanns liebesverhältnisse, die daher nicht zum beweisé dagegen vorgebracht werden dürfen. Dass er sehr lange abwesend ist, und dass er dies schicksal mit sehr vielen anderen teilt, geht deutlich aus 212, 24 hervor. Die deutung, welche Heinzel 131 ff. gibt, kann daher unmöglich richtig sein. Eine schwierigkeit in z. 21 ff. kann ich durchaus nicht finden. Der sinn ist einfach: Wer seinen freund oft sieht, der muss auch wider seinen willen an ihn denken; wenn er das tut, so ist das daher noch kein beweis wahrer liebe. Ich aber und viele andere mit mir sind jetzt so lange ausgeblieben, dass ein weib wol gelegenheit hat ihre beständigkeit zu erweisen, nämlich dadurch, dass sie doch an uns denkt. Weiter hindert auch nichts das abschiedslied 214, 12 ff. auf den kreuzzug zu beziehen, im gegenteil liegt auch hier diese beziehung am nächsten. Dass nicht geradezu vom kreuzzuge die rede ist, beweist nichts. Man müste sonst etwa auch die strophen Albrechts von Johannsdorf 87, 29-90, 32 nicht auf den kreuzzug beziehen wollen.

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Es würde nicht schwer sein, noch weiter im einzelnen nachzuweisen, auf wie schwachen grundlagen die hypothesen von Heinzel und Wilmanns aufgebaut sind. Aber selbst wenn man ihre von mir bekämpften annahmen zugibt, ist es kaum möglich, die anordnung der lieder Hartmanns als eine stütze für die liederbüchertheorie zu benutzen. Die art, wie sich

1) Hierauf macht auch Schreyer s. 27 aufmerksam, dessen polemik gegen Heinzel und Wilmanns ich überhaupt durchaus beistimme, wenn ich mich auch seinen eigenen positiven aufstellungen meist nicht anschliessen kann.

beide die liederbücher entstanden denken, ist auch eine sehr verschiedene, woraus sich schon das subjective des ganzen verfahrens erkennen lässt. Heinzel legt gewicht darauf, dass die in beziehung zu einander stehenden lieder 206, 19 ff. und 207, 11 ff. in A neben einander und zwar in der richtigen reihenfolge stehen. Damit bringt er in zusammenhang, dass beide lieder auch in der quelle von BC enthalten waren. In BC stehen sie freilich nicht unmittelbar neben einander und das jüngere vor dem älteren. Dennoch nimmt Heinzel an, dass sie den ursprünglichen kern der sammlung gebildet haben, der dann durch einen redaktor umgeordnet und mit 205, 1 ff., 209, 5 ff. vermehrt sei. Der redaktor soll bei seinen umordnungen das princip gehabt haben, beziehungen zwischen den einzelnen liedern herzustellen. Diese werden alle auf das erste verhältnis bezogen. Wenn nun das alles fest stünde, so hätte man doch ursprünglich immer nur zwei lieder beisammen, und zwar solche, die gerade in einem solchen besonderen bezug zu einander stehen. Rührte diese zusammenstellung auch wirklich vom dichter her, so würde daraus immer noch nicht gefolgert werden können, dass es sitte der dichter gewesen sei, grössere liedergruppen zusammenzustellen. Aber kann nicht auch erst der sammler von A diese beiden lieder, deren bezug auf einander leicht zu erkennen war, zusammengestellt haben? Die vorgänge, welche Heinzel annimmt, um die sammlung BC auf denselben ausgangspunkt zurückzuführen, sind viel zu compliciert, als dass man sie als etwas ausgemachtes hinstellen dürfte. Und wenn hier dem redaktor das bestreben zugeschrieben wird, nach bestimmten beziehungen die strophen zu ordnen, so lässt sich überhaupt durchgängig annehmen, dass, wo solche beziehungen in benachbarten strophen sich finden, die zusammenstellung auf den sammler, nicht auf den dichter zurückzuführen ist, also wol auch in der hs. A. Für die letztere annahme spricht auch die unvollständigkeit, mit der in dieser hs. das zweite dieser lieder überliefert ist.

Den aufstellungen von Heinzel stehen die von Wilmanns gegenüber, denen man jedenfalls mindestens dieselbe, allerdings immer geringe wahrscheinlichkeit zugestehen muss. Danach hätten die töne 205, 1 ff., 208, 8 ff., 209, 5 ff. ursprünglich zusammen ein liederbuch gebildet, woran dann 206, 19 ff. erst

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