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überall durchschimmert. Dies wäre aber kaum mehr der fall, wenn zwischen diesem und unserem gedicht ein vermittelndes glied läge. Eine deutsche bearbeitung ist dadurch in allererster linie ausgeschlossen, eine lat. wäre eher denkbar, ist aber doch auch unwahrscheinlich. Wir müssen also annehmen, dass unser dichter die alten recensionen selbst beide vor sich gehabt hat, und zwar die rec. LM in einem codex der M jedenfalls sehr nahe gestanden hat, z. b. den von Pilatus entsanten boten ebenfalls Adrian nennt. Falls wir annehmen dürften, M selbst oder eine bis auf die fehler getreue abschrift davon habe ihm vorgelegen, so könnte das dort zu constatierende versehen in der benennung des kaiserlichen boten mitgewirkt haben bei der von Hesler eingeführten zweifachen sendung.

3. Quellen zweiter ordnung.

Ausser diesen schriften, an die unser gedicht in erster linie anknüpft, sind aber noch eine ganze reihe von quellen zweiten grades sicher für einzelheiten von bedeutung gewesen. Eigene erfindung kann dem verfasser mit sicherheit nur in den änderungen in der anordnung einzelner partien zugesprochen werden, z. b. bei Christi ankunft in der hölle, die dadurch dramatischer geworden ist, freilich auf kosten der klarheit.

Diese quellen zweiter ordnung näher zu bestimmen, ist aber in den meisten fällen so gut wie unmöglich. Die ganze ausgedehnte kirchliche literatur, legenden und predigten können in betracht kommen, und dabei muss im auge behalten werden, dass in vielen fällen eine geschriebene quelle gar nicht vorzuliegen braucht, da das meiste wohl als geistiges eigentum jedes gebildeten des 13. und 14. jh.'s betrachtet werden muss, entwachsen 'dem boden weitverzweigter tradition' (Seemüller, Seifried Helbling s. x).

Doch wird auf einiges noch näher einzugehen sein.

a) Legendarisches. Auf sonstige legenden, abgesehen von denen von Vespasian, Tiberius und Veronica, weisen hin die namen der heiligen drei könige: Kaspar, Melchior, Balthasar (v. 1387 f.), die kurze beschreibung der herschaft des Antichrists v. 3602-31 (3386-3415), vgl. Wülcker s. 50 anm. 126, endlich der bericht Seths über den zweig vom baum des lebens, worüber schon gehandelt wurde.

b) Theologisches.

Theologische gelehrsamkeit spielt sodann eine grosse rolle in unserem gedicht. Sie zeigt sich zum teil in der neigung auf bibelstellen hinzuweisen, auch wo die quellen dies nicht tun. Es sind dies die folgenden, die teilweise schon berührt sind: v. 233: Hiob cap. 40; v. 1631: Micha 6, 3. 4; v. 1914: Matth. 8, 20; v. 1760: Hosea 13, 14; v. 4754 (4536): Sacharja 12, 10, vielleicht angeregt durch Joh. 19, 37 oder Apok. 1, 7; v. 5047 (4829): Ps. 18, 26 ff.; v. 5016 (4798): Mar. 8. 36 f.

Ausserdem finden sich aber auch grössere theologische erörterungen, für die die vorlagen keine oder doch nur sehr dürftige grundlage boten. An erster stelle steht der grosse, von z zum grössten teil gestrichene excurs über die worte eli, eli lama. Die meisten commentatoren zu Marcus und Matthaeus, z. b. Paschasius Radbertus, Expositio in Matthaeum (Migne, Patrol. lat. 120, 956) und Anselmus Laudunensis, Enarrationes in Matthaeum (Migne 162, 1488) gehen über die stelle rasch hinweg, sich meist auf den hinweis auf Ps. 22, 2 beschränkend. Einen speciell dem 27. capitel des Matth. gewidmeten commentar gibt es nicht (vgl. Migne, Index 2,116 ff.). Ausführlicheres über dieses wort findet sich nur in Alvari Cordubensis Epistola I ad Aurelium Flavium Johannem (Migne 121, 414), bei Beda Venerabilis, In Marci evangelium liber IV (Migne 92, 290) und bei Ernaldus, Tractatus de septem verbis domini in cruce (Migne 189, 1677). Bestimmte anklänge an einen von diesen sind jedoch nicht vorhanden. Wir haben bei dieser partie vielleicht am meisten an einfluss der predigt zu denken.

Biblisches, theologisches und legendarisches findet sich gemeinsam verarbeitet namentlich auch im prolog. Gleich im anfang begegnen wir der wichtigen theologischen erörterung, dass gott der gleichzeitig den baum mit der verbotenen frucht und den menschen geschaffen, dessen fall vorher wusste (v. 1 -78). Jener baum trug beides: tod und leben. Wie der mensch durch ihn schuldig ward, so wird er erlöst durch Christi tod an demselben holze. Es begegnet uns also hier ein geläufiger zug der legende vom kreuzesholz, 1) der aber hier

1) Vgl. auch Alcuin, Carm. 190:

auch direct auf Descensus cap. 8 zurückgehen kann: qui per lignum et diabolum et mortem damnati fuistis, modo videte per lignum damnatum diabolum et mortem (vgl. Wülcker s. 45). Wider wird gottes allmacht betont: es wäre ihm wol möglich gewesen, den menschen so zu schaffen, dass er nicht schuldig geworden wäre. Deshalb erlöst er ihn auch wider; der teufel aber, der nicht aus erde geschaffen ist, sondern aus lûterer masse, und der durch seine hoffahrt fiel, findet keine gnade. Auch dies entspricht der anerkannten lehre der kirche, wie sie auch bei Honorius Augustodunensis ausgesprochen wird.') Mit einer bitte an den heiligen geist um beistand bei seinem werk 2) geht der dichter zum eigentlichen thema über.

c) Stellung zu verwanten deutschen dichtungen. geistlichen inhalts. Als quelle hat keines derselben unserem dichter vorgelegen; andererseits kann mit bestimmtheit an

Per tactum ligni paradisum clauserat Adam,

perque crucis lignum Christus reseravit Olympum.

1) Sie steht auch in der Sächsischen weltchronik (vgl. unten) und sonst an vielen stellen der geistlichen und weltlichen literatur, vgl. Augustinus, Contra Judaeos, Paganos et Arianos (Migne 42, 1117) cap.2: Quid est diabolus? Angelus per superbiam separatus a deo, qui non stetit in veritate, auctor mendacii, et a semet ipso deceptus, qui alterum decipere concupivit. Iste adversarius effectus humani generis, inventor mortis, superbiae institutor, radix malitiae, scelerum caput, princeps omnium vitiorum (vgl. v. 3255 [3041 ff.] du vindere der lugene, ein urhab der trugene, anegenge aller ruwen, ein meister der untruwen, des ewigen todes begin). Aus der deutschen literatur vgl. Millstädter sündenklage (Zs. fda. 25) v. 452: ubirmuot diust so getan, diu verliuset manegen man. diu valte von himele Lucifer mit menege; Kaiserchronik v. 8822 ff. der herest engel der under in was, sin name hiez lichtvaz; durch sinen ubirmuot muose er fallen unde die sine alle, die der ubirmuote waren gesellen, die buwent mit im die helle; Wolfram geht Parz. 463 darauf ein und noch deutlicher Willehalm 308, 14: sich heten mensch und engel brâht beidiu in den gotes haz: wie kumt daz nu daz mennisch baz dan der engel gedinget? mîn munt daz mære bringet. daz mennisch wart durch rât verlorn, der engel hat sich selb erkorn zer êwigen flüste mit siner âküste; vgl. auch W. Grimm, anm. zu Freidank 6, 3; Roethe, anm. zu Reinmar v. Zweter 192,7 und die reichlichen zusammenstellungen Singers in der Festgabe für Heinzel s. 381.

2) Derartiges auch sonst häufig, z. b. in Heslers Apokalypse v. 1 ff. herre got, schepfer, du were ie; der din begin begunde nie, din ende vorendet nimmer...; v. 136 seliger vater sende mir dinen heiligen geist...; vgl. auch Passional v. 1 ff. Urstende v. 1-52.

genommen werden, dass er der selbst drei umfangreiche werke schrieb, auch mit der deutschen dichtung seiner zeit bekannt war. Es ist demnach natürlich, dass er unbeschadet seiner durchaus originellen schreibweise doch in darstellungsart und zum teil auch im formelschatz auf gleichem boden steht mit der gesammten geistlichen dichtung des mittelalters. Welches oder wie wenig gewicht anklängen an diese deshalb zugemessen werden darf, darüber wurde schon oben gesprochen. Trotzdem müssen wenigstens einige der nächstliegenden erzeugnisse daraufhin betrachtet werden, ob nicht kenntnis derselben in reminiscenzen, vielleicht halb unbewusst, bei unserem dichter zu tage tritt.

Es handelt sich vor allem um die drei die inhaltlich am nächsten stehen: die Urstende, die Erlösung und das Passional. Das Passional, 1) dessen kenntnis am ehesten vorauszusetzen wäre, zeigt keine züge von irgend welcher beweiskraft, geht dagegen in allem wesentlichen andere wege im engen anschluss an die Legenda aurea (vgl. Schönbach, Anz. 2, 196). Es hat zwar die weissagung des Josephus wie bei uns, aber bereits die frage des kaisers, weshalb er den untergang der stadt nicht vorher gesagt habe, fehlt, ebenso auch der name Jotaphat, für den irgend eine spätere quelle als Josephus selbst (Ant. Jud. 'Iorάлara) mir nicht bekannt ist. Sämmtliche deutsche bearbeitungen, welche diese episode haben, nennen die stadt Joppe oder Jerusalem.

In zweiter linie kommt die Urstende von Konrad von Heimesfurt in betracht, die nächst unserem gedicht den stoff des Ev. Nic. am ausführlichsten verarbeitet hat (K. A. Hahn, Deutsche gedichte; vgl. auch Wülcker a. a. o. s. 34).

Auch hier erscheinen wesentliche unterschiede: Nicodemus tritt vor gericht als bestellter anwalt für Christus auf, die kreuzigung wird möglichst kurz, die himmelfahrt ausführlich erzählt. Aber andererseits erscheinen auch anklänge, die nicht für rein zufällig erklärt werden können. Dass die juden erst nach Jesu auferstehung das verschwinden Josephs von Arimathia erfahren, haben beide gedichte gemeinsam gegen Gesta 12, 1. 13, 1; ebenso wörtlich den gruss Adams bei

1) Hahns ausgabe 85, 35-102, 51. 266, 16-277, 3.

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Christi ankunft in der hölle: Urst. 127, 1241) EN 3316 (3102): ich sih die hant die mich geschuof, wofür der Descensus keinen anhalt bietet.

Unter diesen umständen gewinnen natürlich auch andere an sich weniger markante parallelstellen an bedeutung, namentlich wenn sie in gewisser menge auftreten. Ich stelle die folgenden deshalb hier zusammen 2):

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Die worte des schächers finden sich bei uns an der zweiten stelle v. 3659 (3441) mit ausnahme von so statt nu wörtlich gleich U 127, 64 herre, nu gedenche min,

so du chomest in daz rich din.

Zu U 104, 19 mit lobe und auch mit sange,
mit suzem antfange,

vergleiche EN 2628 (2420) ff.

sie vielen im ze fuzzen

mit lobe und mit gesange.

mit so heiligem antfange
ward nie kuniges kint ...

Aus der Erlösung (hg. v. K. Bartsch), die im grossen und ganzen viel verwantschaft mit unserem gedicht zeigt, wüsste ich jedoch nur eine stelle anzugeben, die auf engeren zusammenhang schliessen liesse, nämlich den hinweis auf Hosea 13, 14.

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o tot, ich werde din tot,
und du helle daz wizze,
ich werde noch din bizze.

oy dot, ich werden noch din tot, du helle solt ouch wizzen diz, daz ich sol werden noch din biz. Es kommt dabei namentlich auf den mittleren vers an, für

1) Auf diese stelle der Urstende ist wol auch zurückzuführen Erlösung v. 5047-49 wan ich sehe die selben hant | die mich und all die werlt geschuf | alda huop sich ein freuden ruof; vgl. auch Urst. 127, 27 do huop sich ein gemeiner ruof.

=

2) Parallelen wie U 105, 51 EN 615 stoz din swert wider în sind natürlich ohne bedeutung (vgl. Pass. 59, 81 stôz in dîn swert, lâ den strít).

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