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ZU HARTMANNS REDE VOM GLAUBEN.

Hartmanns Credo, das erste stück der untergegangenen Strassburg-Molsheimischen hs., ist seit Massmanns zu mannigfaltigem tadel herausfordernder edition immer ein stiefkind der forschung gewesen. Auch Reissenbergers dankenswerte arbeit (Hermannstadt 1871), die vor allem für die heimatsfrage wesentlich wurde, nimmt von einer genauen revision des textes abstand. Die so wünschenswerte neuausgabe hat das gedicht erst jetzt durch von der Leyen (Breslau 1897) erhalten. Auf die von ihm hergestellte textform beziehen sich die folgenden bemerkungen. Sie machen es sich nicht zur aufgabe, alle das gedicht angehenden formellen und sachlichen probleme und insbesondere die über sie vom herausgeber ausgeführten ansichten einer erneuten prüfung zu unterziehen, so strittig mir die letzteren in manchen punkten scheinen (ich nenne nur den versuchten nachweis dreier über einander lagernder sprachlicher schichten, die eine unerlässliche statistische analyse der rhythmik ganz bei seite lassende metrik, die sicher in wesentlichen punkten zu modificierende darstellung der formeltechnik). Ich beschränke mich auf eine behandlung der von von der Leyen angesetzten interpolationen und schliesse einzelne bemerkungen zum text des gedichtes an, der an vielen stellen noch immer der besserung bedarf.

1. Wenn man von Reissenbergers debattierung der frage absieht, ob die ganze partie 1680-3224 als ein besonderes gedicht 'Des heiligen geistes rat' auszuscheiden sei, die er übrigens im sinne der einheitlichkeit entscheidet, ist Schröder der einzige gewesen, der (Zs.fda. 33, 104 anm.) interpolationen und zwar in sehr mässigem umfange in Hartmanns Credo angenommen hat. Nach dem neuesten herausgeber (s. 33) sollen nicht weniger als 116 verse, wenn ich recht gezählt habe,

von einem 'prahlerisch auftretenden', 'täppischen anfänger' in den 'schwung' von Hartmanns perioden eingeflickt sein. In diesen nach meinem gefühl übertriebenen allgemeinen bezeichnungen scheint mir gleich ein hauptfehler in von der Leyens betrachtungsweise klar vorzuliegen. Er hat durch die lange beschäftigung mit seinem dichter mehr und mehr sich ein idealbild von seiner individualität construiert und diese construction ist, wie sich in seiner ganzen einleitung klar zeigt und wie es ja auch zu erwarten war, zu vollkommen, zu idealistisch geraten, als dass sie wahr sein könnte. Gewis war Hartmann nicht nur kein ungeschickter, sondern ein trefflicher, vom ernst seiner aufgabe innerlich durchdrungener, viele seiner dichtenden zeitgenossen vielleicht an darstellungsgabe überragender poet; aber ebenso gewis ist es übertrieben, ihn, den einfachen laienbruder, mit solchen lobesattributen auszustatten, wie sie ihm von der Leyen nicht gar sparsam zuteilt, und ihn dadurch geradezu zu einer phänomenalen erscheinung innerhalb einer zeit zu machen, die so hervorragende dichter sonst nicht gezeitigt hat und überhaupt einem so ausgeprägten individualismus wenig raum zur ausbildung gewährte. In einer solchen sonne findet man natürlich nun flecken: 'widersprüche', 'stilistisches und metrisches ungeschick', 'tautologien', 'not- und flickverse' oder wie man sie sonst nennen mag. Ich greife nur z. b. die tautologien heraus, die von der Leyen bei weitem nicht vollzählig in sein verzeichnis 'gleichlautender wendungen' (s. 59) aufgenommen hat: sie sind ein charakteristicum der ganzen frühmittelhochdeutschen dichtung, und ihr massenhaftes auftreten bei Hartmann, einerlei ob nach unserem modernen gefühl an passenden oder unpassenden stellen, nötigt nicht nur nicht zur annahme störender, ungeschickter einschiebsel, sondern beweist vielmehr gerade, dass Hartmann durchaus ein kind seiner zeit und keine ausnahmepersönlichkeit war. Jenes verzeichnete idealbild von Hartmanns dichterischer eigenart ist der psychologische grund für die annahme von interpolationen, die man immer findet, wenn man sie sucht, und auf deren entdeckung und nachweisung gerade in unserer wissenschaft schon viel scharfsinn nutzlos verbraucht worden ist. Geben wir jene ideale construction auf, so fällt auch die notwendigkeit dieser annahme.

Das ist, wie ich glaube, bei unserem gedichte der fall. Ich gehe nun die von von der Leyen beanstandeten stellen einzeln durch und versuche die von ihm für die ausscheidung geltend gemachten gründe zu entkräften, sowie gegengründe für die unentbehrlichkeit mancher stelle innerhalb des gedanklichen zusammenhangs darzulegen. Ich lege dabei die reihenfolge der verse, nicht die vom herausgeber in der einleitung beliebte anordnung der stellen zu grunde.

25-34 (s. 34). von der Leyen sagt: 'vers 25 und 34 besagen ganz dasselbe ... Der inhalt von vers 25-34 ist daher: ich will anfangen und gott um hilfe bitten; und da mir gott verheissen hat, er wolle mein gebet erhören, so will ich eben anfangen. Einen solchen zirkel macht Hartmann niemals'. Er hat also den zusammenhang der gedanken nicht erkannt. Dass 25 und 34 nicht dasselbe besagen, zeigen schon die einleitenden partikeln iedoh und so. Der ganze passus scheint mir inhaltlich unentbehrlich. Hartmann sagt: 'hätte ich die nötige weisheit (18), so wollte ich den glauben, an den sich viele wertvolle erwägungen anknüpfen lassen (23), in angemessener weise (bescheidenliche 20, vgl. 1629) auslegen. Der bescheidene laienbruder subintelligiert dabei: 'im besitz dieser weisheit bin ich aber nicht'. Trotzdem (iedoh) will ich die rede beginnen; gott wird, wie er selbst verheissen hat, mir helfen; in dieser hoffnung will ich denn (so) getrost ans werk gehen' (ich glaube in understân einen rest der sinnlichen grund bedeutung zu fühlen). Inhaltlich ist also alles in bester ordnung; denn dass Hartmann den so wichtigen gedanken seiner unzulänglichkeit, göttliche probleme würdig zu behandeln, ein paar mal hin- und herwendet, darf uns nicht wunder nehmen; von der Leyen freilich sieht darin eine wichtigtuerei'. Seine schlussbemerkung verstehe ich nicht, wenn sie sich nicht auf das glossierende daz sprichit (29) beziehen soll; doch vgl. 751. 1109. 2368. 2908. 2954. 3014. Die äusserlichen gründe von der Leyens fallen auf anhieb. Wande steht sonst immer zur erläuterung des vordersatzes, hier (33) zur begründung des nachsatzes; daraufhin zu athetieren heisst einen starren schematismus in eine lebendige, von grammatikergesetzen noch unbeeinflusste sprache hineintragen, was auch in der textbehandlung vielfach geschehen ist; der herausgeber unterbindet

dem dichter jede freiere beweglichkeit und varietät des ausdrucks. Reiche belege für wande im vordersatz stehen im Mhd. wb. 3, 501 a, wo auch die an unserer stelle vorliegende satzverbindung wande - so mehrfach bezeugt ist. Das vorkommen von hoffen war einer der lexikalischen beweise für Hartmanns mitteldeutsche heimat (Reissenberger s. 31). An unserer stelle (26) soll nun das oberdeutsche gedingen (wie auch 1511 dingen) in diesem sinne stehen. Das wort an sich ist nun weder dem mitteldeutschen überhaupt noch Hartmann im besondern fremd (vgl. s. 33 anm. 1; hier sind die übersetzungen zum teil recht sonderbar; z. b. war für 3128 auf grund von Mhd. wb. 1, 338 a eine andere bedeutung anzusetzen). Warum soll es gerade hier 'hoffen bedeuten? Kann man diese einzelne bedeutungsnüance überhaupt so isolieren, dass man einem dichter den stamm in verschiedenen bedeutungsvarietäten zugesteht, diese eine aber abspaltet? Wer hat endlich bewiesen, dass (ge)dingen und hoffen im gleichen sinne mitteldeutsch nicht neben einander bestehen konnten? 26. 27 können ganz gut 'an den himmlischen gott will ich wegen hilfe appellieren' oder 'hilfe will ich mir vom himmlischen gott ausbedingen' übersetzt werden.

77-80 (s. 41). Hier nimmt der herausgeber ausser der nicht weiter auffallenden widerholung (79-83) daran anstoss, dass tût (79) auf zestunt (78) sich zurück bezieht und daher 'angefickt' sei, während er tût (83) wegen des vorhergehenden getete für 'berechtigt' erklärt. Er hat also nicht an die syntaktische regel gedacht, dass tuon ein vorangegangenes verbum ersetzen kann und dann die construction dieses verbums annimmt (Paul, Mhd. gr. § 386). Consequenterweise müsste er dann auch die beiden andern bei Hartmann noch vorkommenden fälle dieses gebrauchs, wo tuon ein vorhergehendes geschehen aufnimmt (725. 954), für interpolationen ansehen.

99-104 (s. 38) sollen wegen der anaphorischen widerholung der anfangsworte vil michil ist (89. 104) unecht sein und 'sind ohnehin noch vers 98 und 84 allzu ähnlich'. Diese widerholung aber ist, zumal sie auch 312 sich findet, nicht nur zweifellos beabsichtigt, sondern geradezu formelhaft (vgl. Kraus zu Baumg. Joh. 55). Die formel fehlt in von der Leyens formelverzeichnis wie so manche wendung, die hineingehörte, während eine ganze zahl von andern verbindungen sich zu unrecht darin findet. Beiträge zur geschichte der deutschen sprache. XXIV.

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105. 106 (s. 40) 'unterbrechen störend die vielen parallelismen und anaphern, die Hartmann in dieser partie absichtlich häuft'. Kurz vorher war die anapher ein grund zur athetese, hier wird das princip plötzlich umgekehrt. Die verse sind schon deshalb unentbehrlich, weil 105 eine zweifellos absichtliche parallele zu 125 enthält, was schon Reissenberger (s. 10) gesehen hat.

201. 202 (s. 40) sollen wegen des anklangs an 105. 106 fallen und verwischen die juristische färbung, die 200 und 203 ohne einschiebsel haben'. Der erste grund erledigt sich von selbst; auf die 'juristische färbung' muss ich mit ein paar worten eingehen. Von der Leyen hat (s. 5) herausgefunden, dass sich Hartmann mehrfach in wendungen bewegt, 'die nach dem ausweis der wörterbücher in der weltlichen rechtssprache beliebt sind'. Beweisen sollen das die acht wörter (nicht wendungen) eichenen, termenunge, getelinc, misschellen, veichen, reiten, verplegen und ingetûme. Die belege der lexica stammen allerdings zum teil aus rechtsquellen, geben uns aber keinerlei berechtigung, in diesen wörtern sozusagen juristische termini zu sehen, die ein dichter wie Hartmann der rechtssprache entlehnt haben müsste. Eichenen kommt nur in der Wiener Genesis vor, die kein rechtsbuch ist; veichen kennen in Hartmanns sinne nur die Hohenfurter Benedictinerregel und der Williram, widerum keine rechtsbücher; ingetûme hat auch Wernher von Elmendorf; einzig termenunge ist nur aus dem Kaiserrecht belegt; die übrigen wörter sind überall zu finden. Wenn es nun aber mit der 'juristischen färbung' von Hartmanns sprache so steht, dann erledigt sich auch der zweite einwand gegen unsere verse leicht.

229-234 (s. 39). Der herausgeber nimmt daran anstoss, dass das zweimalige er (229. 230) im nebensatze (232) durch das substantiv got aufgenommen wird. Schon die parallele 1486 zeigt, dass wir es hier mit einer formelhaft stereotypierten wendung zu tun haben, bei deren anwendung der dichter sich nicht erinnerte, dass das viele zeilen vorher stehende subject vater (222) ebenfalls auf gott geht. Warum die aufzählung von himmel und erde, meer und höllengrund 'ungeschickt' sein soll, vermag ich nicht einzusehen. Zudem wird der gedankliche fortschritt durch die athetese bedenklich gestört. Ohne sie ist alles in ordnung: gott hat seinem sohne die gewalt

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