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IX. Die echtheitsfrage und die chronologie.

Die ansicht, das büchlein sei ein werk Hartmanns, hat erst Haupt aufgestellt. Sie ist aber nie allgemein anerkannt worden. Bech bestritt sie, ferner Bechstein (Tristan 12, s. 35), Schreyer und Kauffmann (H. v. A. s. 40 f.). Auch Bartsch hat sich dagegen ausgesprochen (Liederd.3 s. XLII unten). Dann habe ich H. v. A. s. 39 ff. versucht, die unechtheit mit neuen gründen darzutun. Trotzdem hält Vogt in seiner recension meiner schrift (Zs. fdph. 24, 244 f.) an Haupts meinung fest und Schönbach verteidigt sie, indem er die gründe einzeln zu widerlegen sucht, die man gegen Hartmanns verfasserschaft vorgebracht hat. 1)

Aber auch Vogts und Schönbachs bemerkungen überzeugen nicht davon, dass Haupt richtig gesehen habe, und sie können nicht überzeugen, weil keiner von beiden den hauptpunkt meines beweises widerlegt. Ja sonderbarer weise wird er von beiden gar nicht erwähnt und scheint von ihnen völlig übersehen worden zu sein. Was Schönbach bemängelt, sind meist nebensächliche dinge. Sie wiegen für sich allein auch nach meiner ansicht nicht schwer genug, die unechtheit zu sichern: es sind beweisgründe zweiten ranges, die nur im verein mit den hauptgründen etwas bedeuten.

Zunächst ist festzuhalten: das büchlein ist ohne den namen des verfassers überliefert. Zweifelt man wie Schönbach nicht daran, dass es Hartmann gedichtet, dann muss dies auch so bewiesen werden, dass keine zweifel mehr bleiben. Es nützt nicht einmal etwas zu zeigen, dass er es verfasst haben könnte.

Wie steht es nun mit diesem nachweis?

Dass es nichts für Hartmann beweist, dass das büchlein unter Hartmanns werken steht (was zudem nicht ganz richtig ist: H. v. A. s. 39 f.), dass es nicht gegen ihn zeugt, wenn sein name hier fehlt, ist selbstverständlich (Schönbach s. 345). Auch die wenigen abweichungen vom wortgebrauch des Auers, die ich im büchlein gefunden, bedeuten an sich nicht viel; ich erwähne sie in meiner arbeit deshalb zum schluss, um zu zeigen,

1) Neuerdings spricht sich Kraus, Zs. f. d. österr. gymn. 1898, s. 242, aus stilistischen gründen für die unechtheit aus.

dass ich ihnen allein keine bedeutung beilege. Die vorliebe für antithesen, pointen u. s. w. leitet Schönbach aus dem allgemeinen charakter des werkes ab: eine abhandlung rhetorischen stiles fordert in der tat eine besondere schreibweise. Und wenn Stahl, Reimbrechung bei H. v. A. s. 24 zeigt, dass die sätze des büchleins wesentlich länger sind als in den übrigen dichtungen, so kommt das vielleicht ebendaher: rhetorik zieht periodenbau nach sich. Auch diese gründe sind also nicht so überzeugend, dass sie allein etwas ausrichteten.

Nun freilich bezweifle ich eben, dass Hartmann auf der höhe seines könnens und seinem wesen nach je im stande war, ein so rhetorisches, unpoetisches, rein dialektisches werk zu schreiben und für poesie auszugeben. Ich vermisse eben das in dem liebesbrief, was Schönbach s. 349 den persönlichen stil des künstlers nennt. Schönbach findet (s. 350 ff.) keine spuren einer fremdartigen, mit Hartmanns persönlichkeit unvereinbaren individualität: ich finde im gegenteil nichts von Hartmanns art die grossen und kleinen entlehnungen ausgenommen. Schönbach hält das büchlein für ein ganz vorzügliches gedicht (s. 368): ich halte es für eine gut disponierte abhandlung und kein gedicht. Hier stehen sich eben die ansichten gegenüber. Streiten lässt sich darüber nicht wol. Auf die angeführten punkte einzugehen ist darum vergeblich. Ich wende mich also zu dem was objectiv klargelegt werden kann und deshalb eher erfolg verspricht.

Schönbach führt unter no. 5 an, die gegner der echtheit sagten, gar vieles befinde sich in dem werklein, das Hartmann nicht zugetraut werden dürfe (s. 350 f.). Bei dieser gelegenheit citiert er auch meine schrift öfters. Die bemerkungen die er s. 350 ff. daran knüpft und die ich dort selbst nachzulesen bitte, muss ich also auch auf mich beziehen. Dabei hat aber Schönbach eins, wie es scheint, völlig übersehen, und das ist um so wichtiger für die beurteilung meiner arbeit, als es eben die bedingung ist, unter der allein ich solche mehr ethischen bedenken gelten lasse. Er übersieht nämlich, dass ich an dem ton und inhalt des büchleins nur darum anstoss nehme, weil ich vorher die überzeugung ausgesprochen habe, dass der liebesbrief nach sämmtlichen dichtungen Hartmanns geschrieben ist. Es heisst auf s. 57: 'fällt das büchlein

überhaupt ans ende der werke des Auers, so kann er aus inneren und formellen gründen nicht der autor sein'. Ich behaupte keineswegs, dass Hartmann unmöglich je ein solches werk habe dichten können, ich behaupte nur, dass er nicht mehr dazu im stande war, nachdem er den Gregor und Arm. Heinr. verfasst hatte. Denn in diesen gedichten spricht sich, namentlich im A. H., eine so schroffe abwendung von dem weltlichen wesen, besonders dem minnewesen aus, dass man nicht annehmen darf, der dichter habe nach ihnen wider ein minneverhältnis angefangen, habe sich wider schrankenlos der welt hingegeben. Auch Schönbach tut das nicht: er stellt eben das büchlein vor Greg. und A. Heinr., in die nähe des Iwein und geht so der eigentlichen schwierigkeit aus dem wege. Aber er geht ihr eben nur aus dem wege und hebt sie nicht weg. Denn der nachweis, dass das II. büchlein nach sämmtlichen werken des Auers anzusetzen ist, bildet den kern meiner beweisführung; den hauptpunkt dieses nachweises aber hat Schönbach (und ebenso Vogt) weder widerlegt noch überhaupt angegriffen, ja nicht einmal beachtet. Wollte Schönbach wirklich dartun, dass meine ansicht unrichtig sei, dann musste er jenen widerlegen und positiv nachweisen, dass das büchlein vor den Gregor und A. H. fällt. Die bedeutung alles dessen, was ich über den charakter der dichtung und die starke benutzung von Hartmanns werken vorbringe, beruht durchweg auf der richtigkeit jenes ansatzes.

Jener hauptpunkt ist folgender (s. 43-45). Paul hat gezeigt, dass die widerholungen in den nicht echten werken Hartmanns nicht absichtlich, sondern zufällig sind.') Bei ähnlichen situationen und gedanken griff der dichter absichtslos zu ausdrücken die er schon früher benutzt oder geprägt hatte. Das tut jeder dichter: man beobachtet es bei alten dichtern ebenso wie bei Goethe und Schiller. Es ist also auch für Hartmann nicht auffallend. Wie umfangreich oder übereinstimmend solche selbstwiderholungen sein können, ist nicht zu sagen. Das hat individuelle gründe, über die sich kaum rechten lässt. Aber eins ist bei den widerholungen des büchleins übersehen worden und wird trotz meines hinweises von

1) Eine ausnahme s. unten s. 31 f.

Vogt und Schönbach noch immer übersehen, dass sich für die meisten und augenfälligen stellen ein bestimmtes princip der entlehnung nachweisen lässt (s. 43). Unter diesen stellen sind wider mehrere im einklang mit jenem princip, also in ganz bestimmten sinne überarbeitet. Zu diesen neu stilisierten stellen kommt jetzt auch Greg. 505 -507, wie oben s. 17 nachgewiesen ist. Der grund zu entlehnen und zu ändern ist aber, antithetische wendungen zu bekommen, und dies streben hängt deutlich mit der rhetorischen, dialektischen art des ganzen gedichtes zusammen. Es ist mithin nicht zufällig.

Hieraus folgt allein schon mit sicherheit, dass der unbekannte verfasser des büchleins sämmtliche werke Hartmanns genau kannte als er dichtete. Aus dem inhalt und charakter des werkes folgt dann weiter ebenso sicher, dass Hartmann nicht der dichter ist. Vgl. H. v. A. s. 47.

Wenn nun der verfasser die gewohnheit hat, stellen aus Hartmanns dichtungen als citate und gleichsam proben seiner literaturkenntnis einzuflechten, so ist doch höchst wahrscheinlich, dass er auch dann entlehnt, wenn stellen seines gedichtes mit solchen anderer dichtungen als denen Hartmanns übereinstimmen. In betracht kommen Gottfrieds Tristan, Burkard v. Hohenfels (H. v. A. s. 60 fussnote), Wigalois, Freidank und Krone. Vgl. oben abschnitt VIII. Das büchlein fällt dann nach diesen werken.

Der andere grund den ich vorgebracht habe, beruht auf der beobachtung, dass die verstechnik Hartmanns in den verschiedenen werken verschieden ist. Da man zunächst annehmen muss, dass sich der dichter in dieser beziehung immer mehr vervollkommnet, so hat das im versbau vollendetere gedicht immer als das jüngere zu gelten.

Die frage nach dem werte des büchleins in rein technischer hinsicht hängt darum auf das engste zusammen mit der frage, wie die dichtungen Hartmanns chronologisch aufeinander folgen. Ein excurs meiner arbeit (s. 46 ff.) geht darum auf dies problem etwas ein. Dem ganzen zweck meiner schrift nach steht die frage nach dem verhältnis des büchleins zu den dichtungen Hartmanns natürlich im vordergrunde. Auf das verhältnis der letzteren unter einander kommt es weniger an, obgleich ich

die dort gefundene chronologie noch immer für die wahrscheinlichste halte.

Sieht man von allen formalen kriterien ab, so stehen folgende stellen zur verfügung, die reihenfolge der werke Hartmanns zu erschliessen.

Iw. 2792 ff. und vielleicht auch 2572 ff. (Naumann, Zs. fda. 22, 41). Man folgert daraus mit recht, dass Hartmann hier bei seinen zuhörern den inhalt des Erec als bekannt voraussetzt. Den hatten sie aber offenbar aus seiner eigenen bearbeitung kennen gelernt. Neuerdings bestreitet es Piquet in seiner Étude sur Hartmann d'Aue 1898 (s. 217 ff.) und setzt den Erec nach dem Iwein an. Er meint, Hartmann zeige im Erec grösseres geschick und grössere selbständigkeit in der bearbeitung als im Iwein. Aber man kann die bekannte tatsache, dass sich der Iwein enger an das französische original anschliesst als der Erec, auch so erklären, dass Hartmann dort als an dem meisterwerk des Franzosen nicht so viel zu ändern brauchte oder wagte als am Erec. Wenn er dann am original des Gregor wider mehr änderte, so lag das gewis an dessen mängeln. Ferner behauptet Piquet, bei parallelen stünden die verse im Erec alle mal weniger gut im zusammenhang als im Iwein. Bewiesen hat er das aber nicht.

Auch formale kriterien gibt es, die den Erec mit sicherheit als die älteste der erzählungen Hartmanns erweisen. Ich will sie gleich hier zusammenstellen. Im Erec stehen weitaus die meisten fremdwörter. Später hat der dichter sich ihrer entwöhnt. Vgl. H. v. A. s. 54 und Piquet. Worte wie balt, degen, ellen, îsengewant, îsenwât, kneht (= ritter), magedîn, rant (=schilt), schaft, snel, snelheit u. ä. fast nur im Erec, vereinzelt noch im Iwein.') Es sind ausdrücke eines älteren poetischen stiles, die Hartmann mit der zeit aufgiebt. Das erste büchlein tritt übrigens in dieser beziehung nahe zum Erec. Vgl. unten die tabelle. Schlagend ist der gebrauch des rührenden reimes.2) I. büchl. 1644 verse: 16 rühr. reime, Erec 10135 v.: 110 r. r., Iwein 8166 v.: 27 r. r., Gregor 4006 v.: 21 r. r., Arm. Heinr. 1524 v.: 8 r. r. Der grammatische reim des Iwein 7151 -7160 ist als den rührenden gleichartig natürlich mitzuzählen.

1) Vos, Diction and rime-technic s. 9 ff.

2) Ebda. s. 60 ff.

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