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Aber der dichter verfällt nicht in die eintönigkeit fortgesetzter liebesversicherungen oder unaufhörlicher klagen. Er erreicht seinen zweck durch einen besonderen kunstgriff. Um die dame von der festigkeit seiner liebe und treue zu überzeugen, schildert er den zustand, in dem sich sein gemüt seit der trennung befindet und sein leid. Er zeigt wie die unterbrechung des glücklichen verhältnisses auf ihn wirkt: wie er leidet, wie er versucht der pein zu entgehen, wie ihm das nicht gelingt. Nach allen seiten erörtert er seine stimmungen: wie fest muss seine liebe sein, wenn sie dennoch stand hält soll und wird sich die leserin sagen. Unmittelbare liebesversicherungen und mahnungen fehlen dabei nicht, aber sie werden doch mehr gelegentlich gegeben und ermüden darum nicht. Ausserdem dienen sie besonders als schlusspointen der teile.

Schon in der weise sein thema anzugreifen zeigt sich der dichter als geschickten schriftsteller. Noch mehr in der anordnung der gedanken. Die schilderung seines grossen unglücks und seines seelenzustandes gibt er nämlich in form einer kunstgerecht disponierten abhandlung. Das ist schon Hartm. v. Aue s. 59 erkannt, aber nicht so ausgeführt, wie es die sache verdient. Denn eben der logische aufbau ist das interessante an dem gedicht. Schönbach, der im anschluss an meinen hinweis wenigstens etwas genauer darauf eingeht, urteilt ganz richtig (s. 366): 'die schrift ist ein dialektisches kunststück; wir besitzen in der gesammten mhd. literatur kein zweites werk dieses umfangs, das in so festgeschlossener argumentation zu überzeugen sucht'.

Das thema wird nämlich in zwei hauptteilen abgehandelt. Der erste A reicht von v. 53-450, der andere B von 451-796. Beide teile sind also fast gleich lang.

A schildert das leid und den gemütszustand des liebenden sozusagen positiv. Drei teile jeder mit zwei unterteilen sind erkennbar. I) Hätte ich doch nie das glück der liebe erlangt, denn die liebe ist die ursache meiner qual: 1) mein glückliches minneverhältnis ist mir durch seine zerstörung ein unglück, 2) meine treue liebe eben durch ihre beständigkeit ein ewiger schmerz. II) Zwar kommen mir, wie natürlich, die gedanken das verhältnis zu lösen, aber sie können nie zur tat

führen: denn 1) so leichtherzig mich über meine liebe hinwegzusetzen, hindert mich die hoffnung auf einen glücklichen ausgang und mein ehrgefühl, 2) und die einsicht, dass meine dame mir keinen anlass bietet, dergleichen zu tun. II) Also besteht das verhältnis zu meiner pein weiter und 1) bringt mir neben ehre viel schmach, 2) und verkehrt meine natürliche denkweise ganz in ihr gegenteil. In eine unmittelbare

erklärung der treue läuft der teil A aus.

In B wählt der verfasser ein anderes mittel, die ungewöhnliche stärke seines liebesleides anschaulich zu machen. Es ist mehr negativ. Er weist nach, dass gegen seinen schmerz keines der mittel hilft, die man dagegen empfiehlt, ja dass er selbst die eigene pein selbstquälerisch noch vermehre. I) Gegen das leid vermag meine kraft nichts: 1) weder der entschluss zu verzichten, 2) noch liebesrausch mit anderen damen, 3) noch der wille zur freude. II) Die erfahrungen der kundigen werden an meinem fall zu schanden: 1) weder folgt bei mir auf leid freude, 2) noch habe ich mir bei der wahl meines glückes glück erwählt. III) Durch zweifel an der geliebten verderbe ich mir jegliche hoffnungsvolle stimmung: ich denke immer an die alten erfahrungen 1) 'aus den augen, aus dem sinn', 2) die weiber sind veränderlich, 3) das werben eines mannes ist gefährlich und widerstand dagegen auf die dauer schwer. In einer mahnung zur treue klingt dieser teil aus. Wie der verfasser in A zuletzt bewies, dass ihm keine andere wahl als beständigkeit bleiben könne, so fügt er auch hier gleich die gründe bei, mit denen sich die dame die notwendigkeit treu zu bleiben klar machen möge.

Dem hauptstück A + B geht eine einleitung voraus, die in ihrem ersten teil die gedanken von A vorbereitet, im zweiten auf die von B hindeutet.

Den schluss bilden die verse 797-810.

Dem ganzen angehängt ist das geleit, welches das thema, den zweck der darlegung deutlich angibt.

Eine disposition wird es erleichtern, die technik des verfassers kennen zu lernen und zugleich in das verständnis des inhaltes einzudringen.

Disposition des büchleins.

Einleitung: Klageruf über das herzeleid durch liebe. 1-52 a) 1-32: das leid habe ich selbst über mich gebracht b) 33-52: aber selbst mir heraushelfen kann ich nicht. Hauptstück:

A Darlegung des leides (positiv).

53-450

I 53-170: ich habe leid gerade von dem was mir freude und glück bringen sollte.

1. 53–136: ein glückliches minneverhältnis ist mir durch huote zum unglück geworden, unter dem ich schwer leide.

a) 53-89: die wisen und auch ich hielten ein geziemendes minneverhältnis für das ideal des ritterlichen lebens (53-78): darum gieng ich ein solches ein (79—89).

b) 90-136: aber das gegenteil ist eingetroffen durch die huote (90-102).

Also glück bringt mir unglück; glücklich darum, wem nie glück zu teil ward (103—136)!

2. 137-170: gerade meine treue schafft mir pein. a) 137-144: treue und beständigkeit soll das schönste glück sein.

b) 145-170: das gegenteil ist wahr. Sie bringt nur kummer.

Muss ich immer von der geliebten fern sein, dann

wehe mir!

II 171-342: meine pein erweckt gedanken an auflösung
des verhältnisses: sie können nicht zur tat führen.
1. 171-270: leichtherzig wie ein tor zu sein hindert
mich hoffnung, ehrgefühl und mein vorteil.

a) 171-240: der vernünftige hat es schlecht,
der narr gut (171—211);

ich stehe zwischen beiden, möchte aber zuweilen lieber ein narr sein (212-240). b) 241-270: das würde geschehen, wenn mich nicht hoffnung (241-248), ehrgefühl (249 -260) und mein vorteil (261-270) abhielten,

2. 271-342: grund zur auflösung gibt mir die dame nicht.

a) 271-286: anblick fremden glückes (271— 278) und die lockere auffassung anderer von der minne (279-286) könnten mich verleiten. b) 287-342: hätte ich grund, so löste ich es auf. Aber ich habe keinen: sie ist ohne falsch.

Auch sie soll aber geduldig sein und meinen schmerz teilen (302—342)!

III 343-406: also dauert das verhältnis zu meiner qual weiter.

1. 343-380: ich werde zum spott der leute, weil ich fast verrückt geworden bin.

a) 343-360: mein verhältnis bringt mir gewis ehre.

b) 361-380: aber auch schande.

2. 381-406: meine ganze denkweise wird verkehrt. a) 381-395: der glückliche fürchtet den tod, b) 396-406: ich wünsche ihn.

Abschluss: die sachlage macht es notwendig, treu zu bleiben.

Gründe: a) von zwei übeln wähle das kleinere: also lieber treu und selig, als untreu

und verdammt (406-426).

B) leid ist als gegensatz zur freude nötig (427-450).

B Die stärke des leides (negativ): nichts kann es lindern, ich selbst mehre es.

451-796

I 451-580: eigene kraft vermag nichts dagegen.
1. 451-506: ich kann nicht verzichten.

a) 451-463: man verzichte auf das was man
nicht festhalten kann.

b) 464-476: sonst konnte ich es. Jetzt nicht. 2. 507-540: ich kann die liebe nicht übertäuben. a) 507-527: liebe vergisst man durch liebe. b) 528-540: bei mir schlägt das mittel nicht an. 3. 541-580: ich kann mich nicht bezwingen.

a) 541-557: ein starker mann muss sich beherschen können.

b) 558-580 ich werde den liebesgram nicht los. Weicht die huote nicht, dann endet nur der tod meinen gram (571-580).

II 581-643: alle erfahrungen werden an meinem fall zu schanden.

1. 581-614: keine freude auf leid.

a) 581-590: freude folgt auf leid; bei schaden

ist auch nutzen.

b) 591-614: bei mir ist es anders.

2. 615-643: ich habe selbst zum unglück gewählt. a) 615-626: wer teilt und wählt, kann nie

unglück haben; und doch geschieht es. b) 627-643: ich habe unglück dabei gehabt. Offenbar ist alles im leben zufall und glückssache (636-643)!

III 644-752: ich peinige mich selbst mit zweifeln an der geliebten.

1. 644-673: sie ist vielleicht unbeständig.

a) 644-665: wenn sie nur beständig ist: b) 666-673: aber aus den augen, aus dem sinn'. 2. 674-696: sie ist vielleicht leichtsinnig.

a) 674-685: wahre liebe vergeht nicht; b) 686-696: wenn sie aber leichtsinnig ist? 3. 697-752: die männer sind gefährlich.

a) 697-726: ehrgefühl und zurückgezogenheit werden eine untreue hindern.

b) 727-752: manneswerbung ist gefährlich und widerstand auf die dauer schwer.

Abschluss: 753-796: aber sie muss ja mit mir zusammenhalten, denn

a) 753-786: die unbeständige ist gott und menschen verhasst; die brave wird geliebt. P) 787-796: es gibt nicht so viel treue männer wie ich einer bin.

Schluss: 797-810: ich bin also treu, sie sei es auch. Dann bleiben wir vereint.

Geleit. 811–826.

a) 811-820: anrede an das büchlein.

B) 821-826: heileswunsch an die geliebte.

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