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EINE BERICHTIGUNG.

Immer hoffte ich noch ein paar falsche angaben, die mir in meinem aufsatz über 'Eine populäre synonymik des 16. jahrhunderts' (Philolog. studien, festgabe für Sievers s. 401 ff.) aus der feder geflossen sind, bei gelegenheit einer andern, das gleiche thema streifenden arbeit richtig stellen zu können. Nachdem aber sich mir dieser zeitpunkt weiter, als ich wünschte, hinausgeschoben hat, ist es mir wol gestattet, an diesem platze von zwei freundlichen berichtigungen gebrauch zu machen, die ich gleich nach erscheinen des aufsatzes Schnorr von Carolsfeld und Edward Schröder verdankte.

Unrichtig hatte ich (1. c. s. 433 anm. 3) aus Schnorrs von Carolsfeld beschreibung des autographon Melbers herausgelesen, dass Schnorr v. C. zwei schreiber für die hs. annehme. Auch der Dresdner handschriftenkatalog spricht nur von einer hand.

Weiter hat Edward Schröder die ihm in seiner abhandlung über Jacob Schöpper in der identification Melbers von Geroltzhofen (darüber meine abhandlung s. 433 anm. 3) begegneten irrtümer schon selbst nach dem erscheinen von Töpke's register zur Heidelberger matrikel im Anz. fda. 17, 344 berichtigt.

HALLE a. S. im januar 1899.

JOHN MEIER.

BEITRÆGE ZUR VORGERMANISCHEN

LAUTGESCHICHTE.

I.

Zur erläuterung des germanischen ai.

Man hat längst beobachtet, dass nicht wenige germ. wörter in der ersten silbe, namentlich in der nähe der liquidae oder der nasale, einen vocal haben, der urgerm. ai (oi), ei oder i voraussetzt, während germ. wörter, die mit jenen anscheinend nahe verwant sind, oder wörter anderer indog. sprachen, die jenen, wie es scheint, wenigstens zum teil entsprechen, einen kurzen oder langen a-, o- oder e-vocal zeigen, z. b. ahd. feili neben dem gleichbedeutenden fâli, an. fălr. Diese erscheinung ist namentlich von Joh. Schmidt in seiner schrift 'Zur geschichte des indog. vocalismus' eingehend und anregend behandelt und durch ein reichhaltiges material erläutert worden. Manches haben Herm. Möller in Kuhns zs. 24, 427. ff. Scherer, Amelung u. a. besprochen. Noreen (Abriss d. urgerm. lautl. s. 211-215) hat die erscheinung durch viele beispiele beleuchtet.

Man hat dies germ. ai mehrfach aus der epenthese eines y() erklären wollen. Allein die hierauf bezüglichen untersuchungen haben zu keinem überzeugenden oder allgemein anerkannten ergebnisse geführt. Kluge in seiner trefflichen 'Vorgeschichte der altgerm. dialekte' hat an der epenthese festgehalten (Pauls Grundr. 11, 355); allein in der zweiten bearbeitung (12, 411) schiebt er ein zweifelndes 'wol' ein. Er muss einräumen: 'die stricte regel für die germ. epenthese ist noch nicht gefunden'. Brugmann (Grundr. 12, 834) sagt: 'für i-epenthese im germanischen gibt es kein irgend zuverlässiges beispiel'. Ahd. reihhen, das längst mit recchen, got.

...

Beiträge zur geschichte der deutschen sprache. XXIV.

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uf-rakjan zusammengestellt worden ist und worin Amelung und Möller, obgleich nicht in derselben weise, epenthese annahmen, vermittelt Brugmann durch ein ursprüngliches *reig (12,504) mit rakjan; allein sonst geht er auf die frage nicht ein.

Solmsen (Kuhns zs. 29, 108 anm. 1) leugnet ebenfalls im urgerm. 'epenthese, von der weder das urslav. noch das urgerm. etwas weiss'.

Auch Fick in seinem Vergleichenden wb. hat das problem nicht gelöst. Streitberg in seiner Urgerm. gramm. bespricht die frage fast nicht. Ich werde im folgenden eine neue erklärung einiger hierher gehörigen erscheinungen versuchen.

Das vorgermanische hat nach meiner vermutung ein reduciertes, vielleicht gemurmeltes (einen schwa-laut mit i-timbre) gehabt. Obgleich ich diesen laut im folgenden reduciertes i nenne, behaupte ich damit nicht, dass derselbe überall aus einem vollen durch reduction entstanden sei. Vielmehr scheint mir das reducierte i regelmässig aus ǝ entstanden. Ich bezeichne den laut graphisch durch ein kleines i unter der zeile. Als die bezeichnung einer älteren form desselben lautes wende ich daneben ofta an. Ich vermute, dass das vorgerm. daneben andere schwa-vocale hatte.

Nicht selten setzt germ. ai nach meiner vermutung eine zweisilbige form des vorgerm. mit zwei vocalen voraus, die durch einen consonanten getrennt waren. Der erste war ein kurzes indog. o oder a; der zweite war das aus a entstandene reducierte i, dem in mehreren wörtern aind. i, gr. ă entspricht.

Ich werde zuerst die einzelnen wörter, in welchen ai nach meiner vermutung aus vorgerm. Ŏ oder à und dem reducierten ? entstanden ist, anführen und die urformen derselben annäherungsweise zu bestimmen suchen. Sodann werde ich die bedingungen und die voraussetzungen des lautüberganges im allgemeinen besprechen.

Die sammlung der belege ist nicht vollständig. Mehrere wörter, in denen ich den genannten lautübergang vermute, bespreche ich hier nicht, weil ich bei ihnen in anderen beziehungen zweifel hege, die ich nicht entfernen kann.

1. Got. *hraiw in hraiwa-dubo 'turteltaube'; an. hræ n. (dat. hrævi) 'leiche, aas (eines tieres oder eines menschen)'. Es bezeichnet die leiche namentlich als das fleisch eines toten körpers, das die raubtiere und raubvögel lockt. Es wird oft im pl. angewendet, wo von éinem menschen die rede ist, und kann im pl. das lat. carnes widergeben. Ags. hrá, hráw, hrá, hrów, hréaw n. m. 'leiche, aas'; selten und uneigentlich von einem lebenden körper angewendet. As. ahd. hrêo n., mhd. rê n. m. 'leiche' (auch in abgeleiteten bedeutungen: grab, totenbahre u. s. w.).

Mit ir. cré 'leib, körper' (des menschgewordenen Christus) hat germ. hraiw- gewis nichts zu tun. Die bedeutung des ir. crí weicht von der ursprünglichen bedeutung des germ. hraiwab. Der vocal des ir. crí ist mit dem des germ. hraiw- jedenfalls nicht identisch. Ir. crí lässt sich dagegen wol mit lat. corpus verbinden (Stokes, Kuhns zs. 36, 275).

Auch ksl. črevo 'intestinum', aus *červo, ist vom germ. hraiw-, wie bereits J. Schmidt bewiesen hat, verschieden.

Man hat germ. hraiw- oft mit dem aind. kravya-m 'rohes fleisch, aas' zusammengestellt; so z. b. J. Schmidt, Vocal. 2, 475. Dies passt der bedeutung nach trefflich. Allein ein mit aind. kravya-m identisches wort *krow-yo-m müsste got. *hrawi, gen. *hraujis, an. *hrey, ags. *hréz, *hríz, ahd. *hrewi, *hrouwi gelautet haben; vgl. z. b. got. hawi, an. hey, ags. héz, híz, ahd. hewi, houwi. Indog. *krewyo-m hätte got. *hriwi lauten müssen.

In der vedensprache heisst kravíš- n. 'rohes fleisch, aas'; diesem entspricht gr. xpias, jedoch mit verschiedener betonung. Neben aind. kravíš erscheint ein stamm kravi- in ákravihasta-s 'nicht mit blutigen händen versehen'. Dem aind. kravi- entspricht gr. xoća (J. Schmidt, Plur. der neutra 337 f.).

Nach meiner vermutung wurden vorgerm. or, (und ar), ol; (ali), om, (ami), on; (an;), ow; (aw;) im germ. zu air (vor consonanten öfter rai), ail (lai), aim (mai), ain (nai), aiw (wai). Hiernach erkläre ich germ. hraiw- aus vorgerm. *krow;-, *krowə-, vgl. aind. kravi-, gr. xoia.

Stokes führt cymr. crau 'blut' auf einen st. krowo- zurück. kravi- steht zu aind. krūrá- 'roh' im ablautsverhältnisse. kravigehört zu den von de Saussure erläuterten zweisilbigen aind. wurzelformen, in denen das i der zweiten silbe, wie man an

nimmt, einem indog. a entspricht; z. b. tári-tum, vámi-tum u.s. W. Manche solche zweisilbige wurzelformen haben im gr. und lat. in der ersten silbe: orópɛoa (neben lat. sterno), zouéo, zoouados neben xoεμεtico, doλzós; lat. domitum, molitum.

Daher ist eine vorgerm. zweisilbige stammform *krow, *krowǝ- unbedenklich.

*krow, gieng, wie ich voraussetze, in *kroiw-, germ. hrainohne folgenden vocal über. Dies hraiw- gieng im germ. in die flexion teils der -o- (a-)stämme, teils der -i-stämme über: got. hraiwa-dubo, allein u. a. an. hræ aus *hraiwi.

Im ahd. findet sich der nom. acc. pl. rêwir: hierin erscheint ein -s-stamm wie in aind. kravíš, gr. xpias. Vorgerm. *krow,smüsste im germ. zu *hraiws-, *hraiwz- werden. Ahd. réwir, aus urgerm. *hraiwizo, hat daher das i in der zweiten silbe durch den einfluss der -es/os-stämme erhalten. Vgl. gr. dépos neben dépas; aind. tamas neben tamisra-; aind. tyájas neben gr. oéẞas u.s. W.

Der bedeutung wegen beachte man anorw. hrádýri, hrékvikindi animal carnivorum, fuglar slíta hræ ok eta, vgl. aind. kravyād- 'fleisch-, cadaver verzehrend'.

Verwant mit germ. hraiw- ist also ahd. ró (râwêr) ‘roh (crudus)', as. hrâ, nl. raauw, ags. hréaw, an. hrár; st. hrawaund hrăwa- (an. acc. hrán aus *hrawana).

Im anorw. findet sich hror, hrer n. 'leiche'. Dies wird Guðr. 1, 5 und 1, 11 hrer, 1, 12 hror geschrieben; in einer hs. der Ynglinga saga hrer, in anderen hreyr, s. die ausgabe von F. Jónsson cap. 16. 17. 23.')

hrør erkläre ich nicht aus *hrewuz, sondern aus *hroza, *hruza. Das wort ist nach dieser erklärung von einem dem ags. hréosan 'fallen' entsprechenden verbum abgeleitet. Vgl. z. b. fror, frer von frjósa und in betreff der bedeutung 'cadaver', лτмμα 'leichnam', nord. full 'körper eines geschlachteten tieres'. Für diese auffassung spricht ags. gehror 'ruin (exterminium)'; ferner anorw. hrorna und hredask (aus *hrorask) 'hinfällig werden', hrørlegr 'hinfällig'.

1) In hreyr ist also ey bezeichnung des kurzen e. Daher darf hreyr nicht mit Noreen aus *hraiwiz erklärt werden.

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