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ZUR GESCHICHTE DER ADJECTIVA

AUF -ISCH.

I.

Die entwicklung des bösen sinnes.

1. Durch unsere sprache geht seit beginn der neuen zeit ein starker zug vom objectiven zum subjectiven. Das individuum hat gelernt, zu den dingen der aussenwelt stellung zu nehmen im grossen wie im kleinen, in reformation und revolutionen haben sich die völker der neuen zeit das recht der freien meinung erkämpft, in dem namen den der moderne mensch den dingen gibt, heftet er ihnen das urteil an, das er über sie hat. Da er aber nicht lauter neue wörter schafft, um diesem streben zu genügen, so verschiebt sich ihm die bedeutung der vorhandenen: glück ist ihm nicht mehr die art, wie etwas ausschlägt, sondern der ausschlag zum guten (der alte sinn noch bei Luther, z. b. Vom auffrürischen geist 3 und Müntzer, Schutzrede 19 des neudrucks,1) beide 1524), und wie glück sind viele voces mediae des mittelalters behandelt worden, z. b. pris, das unserm 'renommee' im guten wie im bösen sinne entspricht, oder schulde, das so gut nhd. 'verdienst' wie nhd. 'schuld' umfasst. Das erste beispiel zeigt uns zugleich, wie die durch die subjectivierung entstandenen lücken des wortschatzes gefüllt werden: durch heranziehung von fremdworten. Höchst bezeichnend aber für die entwicklung unsrer sprache und für das übergewicht des subjectiven triebes ist es, dass diese fremden ersatzwörter, sobald sie einwurzeln, gleichfalls subjectiv gefärbt werden: bei renommee, interessant, qualität hat sich eine entwicklung zum

1) Die belege sind nur dann ausführlich angeführt wo nichts anderes angegeben ist, nach band und seite - wenn sie sich in den wörterbüchern noch nicht finden.

guten, bei mechanisch, schablone, schematisch zum bösen sinne vollzogen. Daneben geht die entwicklung innerhalb des alten sprachgutes immer weiter: gesellschaft und stand treten seit dem ende des vorigen jh.'s im prägnanten sinne auf, familie und welt erst in diesem (Burdach scheint mir in Reimars und Walthers verse einen zu modernen sinn zu legen, wenn er, Reinmar der alte und Walther von der vogelweide s. 9, deren werlt mit 'gesellschaft' übersetzt: nirgends fordert das mhd. collective werlt diesen gefühlston). Wie sehr der zug zum subjectiven die nhd. sprache beherscht, zeigt sich auch darin, wie schwer es der wissenschaft, die die dinge objectiv fasst, fällt, deutsch zu sprechen, und wie unmöglich es der alltagssprache ist, wissenschaftliche ausdrücke unverändert aufzunehmen. Man denke an bedeutungsverschiebungen, wie sie absolut, ästhetisch, dilemma, exact, indifferent, kritisch, moralisch, originell, religiös, speculation, wahlverwant erfahren haben, sobald sie in die gemeinsprache aufgenommen wurden. Noch eine beobachtung möge die ausdehnung unserer bewegung zeigen: von den beispielen, mit denen Bechstein, Germ. 8, 330 ff. den pessimistischen zug in unserer sprache beweisen will, ist mehr als die hälfte subjectiv gefärbt worden und hat bloss dadurch ihren bösen sinn bekommen: tyrann, pfaffe, unverschämt u. a. sind mit hass erfüllt worden, buhle, wollust, geil, demokrat, aristokrat, komödiant, literat, schulmeister, tölpel, bauer, knecht, dirne, wicht, mensch, armselig, erbärmlich, elend, pöbel, dumm, naiv mit verachtung.

So liessen sich noch hunderte von beispielen für diese entwicklung vom objectiven zum subjectiven anführen, sowol für den fall dass die alte vox media zu einem lobe, wie dafür dass sie zu einem tadel geworden ist. Einen pessimistischen zug unserer sprache darf man darin nicht sehen wollen, wie es Bechstein a. a. o. mit einseitiger hervorhebung der fälle der letzten art getan hat, aber allerdings zeigt sich ein übergewicht dieser fälle. Den grund dafür muss man wol in neigung und bedürfnis der alltagssprache suchen, die eben zum tadel mehr affect braucht als zum lobe, und auch daran darf man wol denken, dass die höhezeit dieser entwicklung, das 16. jh., durch ein hinabsteigen der literatur, ein versenken in die tiefen eines politisch und religiös bis zur leidenschaft erregten, im kampfe

beredten, mit lob und zustimmung kargen volkslebens bezeichnet wird.

2. Durch jenen umsturz im sprachleben wurde ein ganz neuer wortschatz zu tage gefördert und (was für uns allein controlierbar ist) zur literaturfähigkeit erhoben, der bisher tief unter allem schrifttum gestanden hatte: mit ihm eine klasse von adjectiven, deren entwicklung uns hier näher beschäftigen soll: die adjectiva auf isch. Vielleicht gerade weil ihre bildung zu jener zeit weit um sich gegriffen hat, haben sie, soweit ihnen ein gefühlswert beigelegt worden ist, durchweg eine entwicklung zum bösen genommen. Freilich nicht ausnahmslos. Zwar zum lobe gewordene adjectiva wie deutsch und hübsch sind nur scheinbare ausnahmen, denn sie wurden zur zeit der subjectivierung vom sprachgefühl nicht mehr als adjectiva auf isch erkannt, aber auch andre durchbrechen die regel: zunächst fremde adjectiva, die schon mit einem lobe ins deutsche aufgenommen sind, so ätherisch, franz. éthéré, erst zu ende des vorigen jh.'s ins deutsche aufgenommen oder doch allgemeiner geworden, vgl. Hildebrand im DWb. unter genie 10 f. Zachariae, Poet. schriften 1765, 1, 130, 1754 von Schönaich im Neologischen wörterbuch verspottet, nach Klopstock und Schiller bei Jean Paul, z. b. Werke, Berlin 1840, 3, 26. 42 und Seume, Spaziergang nach Syrakus 13, 150 (1803). balsamisch, franz. balsamique, ebenfalls bei Schönaich, Seume und späteren, doch auch schon in Stielers wörterbuch (1691). So recht ein anakreontisches wort, schon ironisch bei Zachariae, Poet. schriften 1765, 1, 250: ein balsamisches theer tränkt ietzt die durstigen räder. exemplarisch 'exemplaris'. Lobend bei Grimmelshausen, Simpl. 663.1) Courage 14. Keuscher Joseph 11; vgl. Anz. fda. 4, 173. musikalisch 'musicalis', Anz. fda. 4, 176. Germ. 29, 387. politisch 'politicus, politique', Germ. 28, 395. 29, 389. Zs. fdu. 10, 777 ff. Anz. fda. 4, 181.

Diesen als adjectiva übernommenen fremdworten schliessen sich solche an, die erst im deutschen zu fremden substantiven mit lobendem sinne gebildet worden worden sind, so gravitätisch

1) Der Simplicissimus wird nach seiten der ausgabe A angeführt, weil danach die stellen bei Keller, Kögel und Kurz leicht zu finden sind, Grimmelshausens andere werke nach buch und capitel.

zu gravitas, oft bei Christ. Weise und Grimmelshausen. Fischart kann doch nicht umhin, in das wort einen tadel zu legen: im Ausspruch des esels v. 26 entstellt er es zu grobitetisch (s. auch Hauffen, Caspar Scheidt 22). Auch bei Serz, Teutsche idiotismen, provinzialismen, volksausdrücke u. s. w., Nürnberg 1797, wird das wort tadelnd verwendet: er kommt ganz gravitätisch, magnifice se infert. Jetzt hat es wol immer ironischen klang.

Deutsche adjectiva auf -isch können ein lob erhalten

a) wenn sie übersetzungen von solchen fremdworten sind; so das junge dichterisch zu poetisch; haushältisch und haushälterisch zu ökonomisch; heldisch neuerdings zu heroisch; malerisch zu pittoresque (nicht vor Stieler zu belegen); rednerisch und schönrednerisch zu rhetorisch; reiterisch und ritterisch zu cavalier und chevaleresque, beide bei Stieler, reuterisch mit lob auch in Grimmelshausens Courage 3, wo das DWb. seltsamerweise tadelnde bedeutung annimmt, und in der Deutschen grammatik des Laurentius Albertus 71 d. n., dagegen mit tadel: eyn zornig, vnchristlich, bitter hertz, vnd gar eyn hitzig, reüterisch geblüt, Ickelschamer, Clag etlicher brüder 43 d. n. (Rothenburg 1525); ohne gefühlston: die andern zween machten (d. i. statteten) sich reuterisch aus, allein der amptschreiber von Zossen ... konte nicht zu fusse gehn (also die beiden reuterisch ausgestatteten tun das), der setzt sich auff einen pawrwagen Barth. Krüger, Hans Clawerts werckliche historien 35 d.n. (Berlin 1587); retterisch für sauveur bei Stieler; staatsmännisch für politique und weltmännisch für cavalier, wol nicht vor Goethes Dichtung und wahrheit 15. buch (1814);

b) als verneinungen von tadelnden adjectiven auf isch. Die meisten bildungen dieser art sind künstlich und selten: unmüssiggängerisch, unschlächterisch, untyrannisch und unzänkisch bei Stieler, unweidmännisch in Zachariaes Poet. schriften 1765, 1, 284, vnpfäffisch in Fischarts Bienenkorb 204a, und manches mit un- beginnende adjectiv in Campes Wörterbuch. Alt und verbreitet ist allein unparteisch: Lexer, Mhd. wb. DWb. unter kreppisch. Murner, An den adel 5. H. R. Manuel, Weinspiel (1548) v. 3511. Faustbuch des christlich meinenden, vorr. (auch Scheible, Kloster 2, 76). Scheidt, Grobianus v. 1902. Goldast, Reichshändel (1614) titel, vorr. 2. Simpl. 350. 353. Der schlesisch-lausitzische ausdruck der unparteiische für 'dieb'

gehört wol zu partei in dem sinne 'streifcorps zum plündern und fouragieren', bezeichnet also scherzhaft den der nimmt ohne einer solchen partei anzugehören. Eine unhaltbare erklärung bringt K. G. Anton in seinem Verzeichnis oberlausitzischer wörter (Görlitz 1825—48) 14, 6, doch auch er fasst den ausdruck als scherz auf. Beispiele genug von solchen die der ausdruck nach unsrer auffassung zunächst getroffen hätte, stehen im DWb. unter gart (garde, stipis collectio sive potius extorsio Frisch), garten (garden, exire praedatum Schottel) und gartbruder (gardebruder miles vagabundus, praedo mendicus

Stieler);

=

c) wenn das wort von dem sie abgeleitet sind, nachträglich seinen tadelnden sinn zum lobe wendet; so neckisch, schelmisch (in der bedeutung zu heiteren possen geneigt' zuerst und hauptsächlich bei Mitteldeutschen, vgl. ausser den nachweisen des DWb. Gryphius, Peter Squenz 25. Horrib. 66. Hayneccius, Hans Pfriem v. 2360 [Leipzig 1582]. Weise, Erznarren 203. Grimmelshausen, Simpl. 117. 205. 439. 507. 717. Keuscher Joseph 15); schalkisch (nur md. zu belegen); närrisch s. unter 21.

3. Die geschichte unserer adjectiva hat bisher mehr die lexikographen als die grammatiker beschäftigt, sie ist mehr analytisch als synthetisch behandelt worden. Jakob Grimm hat in der Deutschen grammatik 2, 375 ff. über ihre lautliche gestalt und ihre verbreitung, Wilmanns in der Wortbildungslehre 467 ff. über die gesetze ihrer bildung, Kluge in der Nominalen stammbildungslehre § 210 f. über ihre älteste geschichte gehandelt, aber die entwicklung ihrer bedeutung ist noch nicht im zusammenhang dargestellt worden. Einen ansatz dazu enthält Bechsteins erwähnter aufsatz. Das material im einzelnen findet sich in unseren älteren und neueren wörterbüchern, bei Schade, Müller und Zarncke, Lexer, Maaler, Stieler, Frisch, Adelung, Grimm, Kluge und Paul, dann aber auch in den wörterbüchern der md. und nd. mundarten. Schliesslich wurde, soweit es nötig und möglich war, auf die quellen selbst zurückgegangen.

4. Im allgemeinen ist die entwicklung der adjectiva auf -isch folgenden weg gegangen: von haus aus bezeichnen sie die herkunft. Hatte das wort von dem sie abgeleitet wurden, einen lobenden oder tadelnden sinn, so teilten sie ihn. So

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