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UEBER DEN GOTISCHEN DAT. PLUR. NAHTAM.

Nach der ansicht der meisten autoren haben wir bei den consonantstämmen im got. die endung -um im dat. pl. zu erwarten. Diese endung finden wir bewahrt in den verwantschaftswörtern auf -r, in mênópum, bajópum und bei denjenigen consonantstämmen welche dank diesem dativ auf -um und anderen ein lautgesetzliches u enthaltenden endungen (acc. sg. -u; acc. pl. -uns) zur u-declination übergetreten sind. Solche nomina sind bekanntlich fotus (gr. лove, lat. pes, aisl. fótr), tunpus (gr. odovs, lat. dens, aisl. tonn) und wol auch handus (aisl. hond, pl. hendr). Baúrgs, alhs, spaúrds, brusts, dulps, waihts, miluks, mitaps haben sich alle mehr oder weniger der i-declination genähert und haben im dat. pl. -im.') Die endung -am, wol der a-declination entlehnt, haben die participia praesentis und das masc. reiks, welches sich auch im gen. sg. mit der form reikis den mascc. auf -a anschliesst. Das wort nahts steht aber mit seiner dativendung am unter den got. femininis absolut vereinzelt, und es wird deshalb vergeblich sein, die betreffende form durch annahme von anlehnung an andere paradigmen erklären zu wollen.

Joh. Schmidt, meines wissens der erste welcher diese eigentümliche form zu erklären versuchte (KZ. 26, 18), findet in got. nahtam den rest eines alten n-stammes und betrachtet das betreffende wort als ein beispiel des wechsels zwischen - und -n- in verschiedenen indog. neutralen substantiven.

1) Die angaben der grammatiker über die declination der zur letztgenannten gruppe gehörenden substantive müssen jedoch mit einiger reserve aufgenommen werden, weil ihre pluralformen bei Ulfilas sehr spärlich vertreten sind. Nach Schulzes stellenverzeichnis sind nur von baúrgs alle pluralcasus überliefert, ausser baúrgim ist spaúrdim der einzige dat. pl., von miluks und dulps sind gar keine pluralformen da.

Den r-stamm haben wir sowol in gr. vúxtop, als auch in lat. noctur-nu-s bewahrt; den neutralen n-stamm sucht Schmidt in skr. naktábhis, got. nahtam und in der got. compositionsform nahta- in nahta-mats.

Was zunächst die compositionsform nahta- betrifft, so ist ihre beweiskraft so gut wie gar keine. Die von Braune in seiner Got. gramm. s. 39 aufgeführten beispiele zeigen, dass in den nominalcompositis der a-vocal in der compositionsfuge keineswegs an stämme gebunden ist, wo er lautgesetzlich hingehört. Nahta-mats muss wol in derselben weise beurteilt werden, wie brópra-lubó und garda-waldands. Ich gebe allerdings zu, dass Schmidt nicht ganz unberechtigt war, für die compositionsform nahta- eine specialerklärung zu suchen, so lange er in dem daneben gestellten nahtam eine uralte form erblicken zu müssen glaubte. B. Kahle') hat indessen darauf aufmerksam gemacht, dass die form nahtam sehr wol auf got. boden entstanden sein kann, und zwar durch den einfluss des sinnverwanten dagam. Bei erneuter behandlung der frage hat J. Schmidt 2) die meinung Kahles nicht einmal erwähnt; seinem beispiele folgen Braune, Streitberg und Wrede, von denen die beiden erstgenannten keine erklärung geben, während Wrede mit Schmidts darstellung einverstanden ist.

Die ungünstige aufnahme, welche Kahles vermutung gefunden hat, beruht m. e. auf der knappheit seiner beweisführung. Kahle bringt allerdings mehrere schöne analogien aus verwanten sprachen, wie z. b. ahd. gen. sg. nahtes und dat. sg. nahte neben der regelmässigen gen. - dat. - form naht, aber die beweise welche aus dem got. geschöpft werden können, scheinen ihm entgangen zu sein.

In Schulzes Glossar finden wir als belegstellen für die form nahtam angegeben Marc. 5, 5. Luc. 2, 37. 1. Tim. 5, 5. Luc. 18, 7. Marc. 5, 5 steht nahtam jah dagam, gr. vvztòs xaì ýμégas; Luc. 2, 37 nahtam jah dagam, gr. vízta zaì quéqav; 1. Tim. 5, 5 nahtam jah dagam, gr. vvxtòs xaì quégas; Luc. 18, 7 dagam jah nahtam, gr. ἡμέρας καὶ νυκτός.

Die form nahtam ist also nur in der verbindung nahtam

1) Zur entwickelung der consonantischen declination im germ. s. 35. 2) Die pluralbildung der indog. neutra s. 212. 253 f.

jah dagam bez. dagam jah nahtam überliefert. Die bedeutung ist in allen fällen dieselbe und zwar ohne unterbrechung'. An eine mechanische übersetzung aus dem griech. ist nicht zu denken, da wir im grundtexte ganz andere und dazu wechselnde casusformen antreffen (bald den gen., bald den acc.). Nur die reihenfolge der beiden dative ist beweglich und richtet sich nach dem griech. vorbild.

Folglich haben wir es im got. nahtam jah dagam bez. dagam jah nahtam mit einer stereotypen wortfügung von stereotyper adverbialer bedeutung zu tun. Wenn man auf grund der genannten belegstellen bisher erschlossen hat, dass der dat. pl. von nahts nahtam gelautet habe, so ist diese schlussfolgerung entschieden übereilt gewesen. Auf grund der ahd. adverbialform nahtes hat niemand den gen. nahtes angesetzt, weil der wirkliche gen. naht zufällig belegt ist. So lange wir im got. die form nahtam nur in der oben genannten verbindung vorfinden, müssen wir den in das paradigma von nahts gehörenden dat. pl. als unbelegt betrachten.

J. Schmidts ansetzung eines alten stammes naktan hat also nunmehr keine andere stütze als skr. naktabhis. Aber auch diese stütze ist trüglich, denn wie mein freund Lidén bemerkt, erklärt sich diese form am einfachsten durch annahme von beeinflussung durch das sinnverwante áhabhis.

UPSALA.

HUGO PIPPING.

ZUR HEIMAT DER VOLCAE.

Müllenhoff hat bekanntlich im zweiten teile der Deutschen altertumskunde aus den schon in M. W. Dunckers Origines Germanicae vollständig gesammelten berichten über die wohnsitze der Volcae zu erweisen versucht, dass die heimat dieses volkes bis gegen das 4. jh. 'an der Weser abwärts' und dann im Maintale gelegen habe (2,279). Diese ansicht ist von Much als unrichtig erwiesen, aber noch verfehlter scheint mir seine an ihrer statt aufgestellte hypothese, dass Mähren die heimat der Volcae gewesen sei.

An den zwei ersten Keltenzügen hatten die Volcae keinen anteil; erst der dritte, der galatische, führte sie in den horizont der Griechen und Römer hinein. Nach dessen ablauf finden wir das volk zersplittert in drei oder vier weit auseinander liegenden gegenden wohnhaft. Erstens in Narbonensis zwischen Rhône und Pyrenäen, wo sie zuerst bei Hannibals Alpenzuge erwähnt werden, aber schon anfangs des 3. jh.'s angekommen sein müssen (Duncker s. 33). Dann in Kleinasien, wo ein teil des völkerschwarmes, der seit 281 die thrakischgriechische halbinsel durchzogen hatte, neue wohnsitze gefunden hatte. Und drittens an den Ost-Alpen und (oder) an der Hercynia silva.

...

Justin berichtet (32, 3): Namque Galli bello adversus Delphos infeliciter gesto, pars in Asiam pars in Thraciam extorres fugerant. Inde per eadem vestigia qua venerant antiquam patriam repetivere. Ex his manus quaedam in confluente Danubii et Savi consedit Scordiscosque se appellari voluit. Tectosages autem, cum in antiquam patriam Tolosam venissent..... Ex gente Tectosagorum non mediocris populus praedae dulcedine Illyricum repetivit spoliatisque Istris in Pannonia consedit

Beiträge zur geschichte der deutschen sprache. XXIV.

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Der letzte teil des berichtes steht vereinzelt da: kein anderer autor weiss etwas von Tectosages in Pannonien. Aber die notiz wird dadurch noch nicht verwerflich. Sowol der geschichtsschreibung wie der sage galt das tolosanische als die heimat des ganzen volkes der Volcae, und zugleich leitete die erstere das tolosanische gold vom Brennuszuge nach Delphi her. Daraus erklärt sich die fassung des berichts Justins, dass der in Pannonien angesiedelte teil erst von Narbonensis nach Griechenland, dann zurück nach Tolosa und dann wider nach Illyrien gezogen sei. Nach ausmerzung dieses augenscheinlichen von der tradition betreffend Tolosa veranlassten irrtumes bleibt die an sich nicht unwahrscheinliche nachricht übrig, dass die Tectosages ausser in Narbonensis und in Galatien, auch zum teil in Pannonien in der nähe der Istri, d. h. im obern Sautale, sich niedergelassen hatten.

Wir finden aber das volk bei Caesar noch an einer vierten stelle, nämlich an der Hercynia silva, ansässig. Dieser sagt (BG. 6, 24): Ac fuit antea tempus, cum Germanos Galli virtute superarent, ultro bella inferrent, propter hominum multitudinem agrique inopiam trans Rhenum colonias mitterent. Itaque ea quae fertilissima Germaniae sunt loca circa Hercyniam silvam, quam Eratostheni et quibusdam Graecis fama notam esse video, quam illi Orcyniam appellant, Volcae Tectosages occupaverunt atque ibi consederunt; quae gens ad hoc tempus his sedibus sese continet summamque habet iustitiae et bellicae laudis opinionem. Schon Ben. Niese hat diese nachricht mit der Justins verbunden (Zs.fda. 42, 142), aber nur um beide gänzlich zu verwerfen. Nach ihm soll durch die Tectosages Caesars und Justins ursprünglich wol nur die herkunft der pannonischen Kelten erklärt werden', und diese Volcae am hercynischen walde ganz und gar der fabel zuzuweisen sein'. Es ist aber schwerlich einzusehen, wie 'die wanderungssage' dazu kommen konnte, in Pannonien die existenz eines zweiges der Volcae Tectosages zu fingieren, mit dem zwecke, die herkunft anderer pannonischer Keltenstämme zu erklären.

Müllenhoff meinte mit recht, Caesar habe, der sage und der tradition folgend, die Tectosages an der Hercynia für eine colonie ihrer stammesgenossen an der Cevenna gehalten (2,276). und habe die sage vom Sigovesuszuge im sinne gehabt (204),

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