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GOTHISCHE SPRACHLEHRE.

Wie jede Sprachlehre hat es auch die gothifche mit Wortbildung und Satzbildung zu thun, die beide durch die Wortbiegung vermittelt werden. Grundlage der Wortbildung ist die Lautlehre, die in der Schrift vor Augen tritt. Hier foll nur Lautlehre und Wortbiegung abgehandelt werden.

I. Lautlehre.

Die gothifche Sprache befitzt 5 einfache und 4 doppelte Selbftlaute und 15 (16) Mitlaute, und zwar von letzteren 4 klingende oder flüssige und 12 (13) ftumme, und zwar von diefen 4 Gaumen laute, 4 (5) Zungenlaute und 4 Lippenlaute. Alle diefe Laute werden durch folgendes ABC dargestellt.

1. Von der Schrift.

Das gothifche ABC, wie es Ulfilas geftaltet hat (J. d. Einleitung) umfafst 24 (25) Buchstaben, welche die Benennungen der ihnen vorausgegangenen Runenfchrift behielten, wie fie, mit den angelfächfifchen und nordischen Runen ftimmend, in der Wiener-Salzburgischen Handschrift (Salisb. n. 140, sonst LXXI), wenn schon verderbt, aufbewahrt und von W. und J. Grimm, Munch, Kirchhoff, Zacher, Weinhold etc. mehr oder minder ausführlich erörtert worden find. Das Mc. 5, 18 gebrauchte jôta zeugt nicht gegen diefe Anficht, noch weniger etwa bi in Mt. 11, 2.

Die Ordnung des neuen gothischen ABC ergibt sich aus dem Zahlenwerthe, welchen Ulfilas feinen einzelnen Buchstaben nach Vorgange des griechifchen Alphabetes beilegte.

Nach diefem Allen geftaltet fich das gothifche ABC folgendermaƒsen:

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Es ift hier nicht des Ortes zu untersuchen, wann, wie und wie weit in unvordenklichen Zeiten das ursprüngliche Gemeingut der germanifchen Welt, das Runen - ABC (von anfänglich 15, 16 oder 18 Zeichen), mit dem semitischgriechischen Alphabete Zufammenhang erhalten habe; eben so wenig wo, wann und wie das f. g. deutfchangel fächfifche und das nordische Runen-ABC sich schieden und selbständig weiter entfalteten. Das aber haben die neueren Untersuchungen zu Tage gebracht, dafs Ulfilas bei der Geftaltung des gothischen ABC für sein Bibelwerk und bei aller ihm nahgelegten Berücksichtigung des griechifchen Alphabetes die gröfsere Anzahl der früheren gothifchen Runen beibehalten konnte und beibehielt, wobei ihm felbft die Schreibung und Geftaltung des gg und der Doppellaute ai, au schon vorlag. Nur dafs, weil nach damaligen Schriftstoffen und -Mitteln (maimbrana, svartizl, ráus) das ursprüngliche vreitan der Runen bereits ein mêljan geworden war, feine Schrift nach dem griechischen Vorbilde fich von felbft mehr breitete, rundete (B, A, g, n, q, & u. f. w.), öffnete (K, F, 4, Q; U, y) und er folchen Buchstaben, die fich nun leicht zu nahe traten, bestimmte Unterscheidungsstriche beigab (λ, A; K, R; u, ч). Für den Zahlwerth feiner Buchstaben, gemäss dem griechischen, nahm er das zoллα (ч) und das σαμлı (↑ in der Wiener Handschrift; in Esra 2, 36 aufgelöft niun hunda) hinzu.

Diefer Zahlwerth der gothischen Buchstaben, welcher ihre neue Reihenfolgs bestimmt, ergibt fich aus vielen Textftellen des A. und N. Bundes und der Skeireins, weiter aus den Abtheilungszahlen an den Seitenrändern und in den untern Bogenhallen der Silbernen Handschrift für die Gleichstellen der andern Evangelien, ferner in den J. g. Cuftoden ihrer Lagen (Quaternionen), nicht minder aus den beiden gothifchen Urkunden, endlich und recht eigentlich aus dem Kalender oder Martyrologium (für 1-30).

Die Zahlenbuchstaben werden durch Punkte oder Häkchen vor und hinter, fo wie durch Queerstriche ober und unter den Buchstaben von der Umgebung ausgezeichnet. Die zwifchen zweien folchen Punkten und Einem und demselben Queerftriche stehenden oder zusammengefassten Buchstaben bilden Eine Zahl, z. B. IB. Darnach find die aus dem Alten Bunde (aber nicht nur aus 1 Mof. 5) entnommenen Zahlen der genannten Wiener Handschrift zu beurtheilen (f. Einleitung).

Was die Schreibung der Buchstaben als folcher betrifft, so erhält | im Anfange eines Wortes oder einer Silbe (nach i oder anderem Selbstlaut) einen Doppelpunkt (1), z. B. Mariïns, Êfaiïn, fáiïth (2 C. 9, 6), Seinaïs, Baíthsaïda, afdáuïdái, stáuïda, fáuïl, táuï; doch liest man auch Akaikus, Gaius (ïudaivisks steht anders) ganz wie Laudikeia, Kafarnaum und hvauh (1 C. 14, 1), svau (J. 18, 22), sau (J. 9, 2. 19), gauláubjands (Mt. 9, 28), gauhvafèhvi (Mc. 8, 23), gaunlèdjan (2 C. 8, 9) u. f. w.

Ulfilas unterfcheidet eben fo wenig die von der Sprachlehre jetzt aus einander gehaltenen ái, áu und aí, aú, von denen später die Rede fein wird.

Die gothifche Schrift, wie fie Ulfilas feftstellte, mufs mit dem kirchlichen Gebrauche bald ins Leben gedrungen gewefen fein oder wenigftens muss viel in ihr gefchrieben worden fein, wenn auch vorzugsweise von Geistlichen, doch auch in weltlichen Dingen, da fich nicht nur in den Mailänder, Römer und Wolfenbüttler Handfchriften fehr verfchiedene Hände und Handhabungen, selbst eine geläufge Schrägfchrift kundgeben, fondern die Randanmerkungen in denselben, fo wie die 5 Unterschriften der beiden ravennatischen Urkunden (in Neapel und von Arezzo) eine wirkliche Curfivfchrift gewähren, in welcher fich namentlich gewisse Buchstaben sehr verfchleifen und verfchlingen (z. B. u. andere). auch ein bequemeres s (E. E.) sich zeigt.

4.9.9

Die Wortabtheilung ist in den verfchiedenen Handschriften faft durchgehends genau und klar (filbengemäss), nur der Raumenge einige Male nachgebend. Sehr felten erscheinen Trennungs- oder Bindezeichen am Ausgange oder Anfange der Zeile, wie jai-nar (Sk. 3, 1), vel-nais (1 Tm. 1, 1); Doppelstriche aufwärts ☛ (Cl. 4, 7) oder abwärts 3 (Phl. 4, 12), nur als Einschaltung einer vergeffenen Silbe, wofür auch ↓ (Sk. 4, 26) vorkommt. Anführungszeichen für beigebrachte Bibelstellen (s oder ss) laufen am Rande hinab, fo weit die eingeflochtenen Stellen reichen, deren Anfang (in der Sk.) auch noch durch und deren Ende durch bemerklich gemacht wird. Die Zeichen und oder auch ein dicker Punkt deuten auf Randanmerkungen (1 C. 13, 3. 15, 35; E. 1, 19. 2, 10. G. 2, 5. 8. 1 Tim. 1, 5); mehrere Punkte über und Striche durch Wörter oder Silben follen diefelben als verfchrieben tilgen. Kleine und B über den Zeilen follen zwei Wörter in ihrer Stellung gegenfeitig austauschen. Abbruch einer nicht vollständig angeführten Stelle (x. T. d.) bezeichnet, am Ende der Zeile, ein >

(Sk. 8, 20).

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Als Unterfcheidungszeichen zwifchen der ununterbrochen fortlaufenden Schrift kommen nur und vor, jenes für kleinere, diefes für grössere Ruhepunkte, von den Schreibern öfter wohl ohne Noth, felbft finnfiörend gebraucht, mitunter aber auch aus Vorficht felbft da verwendet, wo Wörter nicht verbunden gedacht werden follten (z. B. 2 C. 4, 4: guth this áivis...). Gröfsere Abschnitte oder Abfütze beginnen auch mit gröfseren Anfangsbuchstaben und auch noch befonderen Zeichen oder

Als Abkürzungszeichen kommen vor

oder (für n) und

oder (für

m), meist am Ende der enger auslaufenden Zeilen, aber aus demfelben Grunde auch mitten im Worte (kvithands, nasjāds, gava djands Mc. 8, 43, mi znan Sk. 6, 3 neben minzna). Oft lafsen die Schreiber fie aus (daher namentlich Verwechfelungen der ähnlichen Hauptwörter in -ei und -eins), oft verwechfeln fie diefelben (vgl. Mt. 8, 14 u. f. w.).

Eine Anzahl Wort abkürzungen find stehend; nicht nur die Namen der Evangelisten in den Bogenhallen der Upfaler Handschrift (igh, ank) oder in den Ueberschriften der Briefe (ñ¡уs an die Ephefer) und Unterschriften (KANSSAIM), fondern auch in den Texten felbft (Iкns: Joh. 18, 15. ohne Ueberftrich) und für Aemter (ARN in der Neap. Urk, AIISKS im Kalender, ANANSANM 2 C. 11, 5. ohne Strich). Bezeichnend find die Abkürzungen гTIN für galgin (Cl. 2, 14) und die stehenden für Iêfus, Xriftus, fowie guth, frauja in allen ihren Beugungsfällen (is, G. inis, D. ïna, 4. in; xs, G. xans. D. xañ, 4. xn; 54, 6. rps, D. гa, 4. TV; FA, G. EINS, D. FIN, A. FAN). Diefe felben Wörter werden ausgefchrieben, wenn fie nicht Gott und den Herrn, fondern Andere des Namens etc. bezeichnen, fo ïesns (Cl. 3, 11. Esr. 2, 36. 40), Franga (Mt. 6, 24. 27, 63. L. 16, 13. 19, 33. J. 13, 16. 15, 15. Cl. 4, 1. 3, 22), raamra-xristgns (Mc. 13, 22), raamra-rnap (falsche Götter), rnap (Götzen : J. 10, 22). Wird ïesns, wie oben angegeben ist, abgekürzt, so verliert das ï feine beiden Punkte, daher is und is sehr oft verwechselt werden (gleich Inooùs und autós).

Die Namen der Evangeliften Magpains und mAKKNS werden in den Bo

genhallen des filbernen Codex fiets so abgekürzt : Mund 用

Aufser den bisher aufgeführten Kürzungen kommen noch vor die Buchft abenverfchlingungen F, d. i. ht (Mt. 6, 13. Cl. 4, 4 und auch wohl 2 C. 1, 4.

1 Th. 5, 5 B. T. 1, 9) und &, d. i. thr (L. 3, 1); ferner die Anlehnungen No, Ŋ, là, is u. f. w.

Nicht felten mufs ein Buchstabe ohne andeutenden Strich darüber (vgl. vairthize faive Neap. Urk.), befonders s doppelt gelten, aus welchem Grundsatze fich viele Textesftellen heilen, auch wo umgekehrt fülschlich zweis gefchrieben find. In andern Fällen ist die Doppelschreibung geradezu unbegründet, z. B. nasseináis (1 Th. 5, 8), faírrinôth (G. 5, 15), áinnôhun (Phl. 4, 18), aggilláu (2 C. 11, 14), allh (L. 2, 46), kannt (1 C.7, 16;) neben kant (2 Tm. 1, 18 etc.) und rant (J. 16, 30), ïddveit (1 Tm. 3, 7), Gaddarènus (Mc. 5, 1. L. 8, 26. 37), Lazzarus (L. 16, 23), Ïasson (R. 16, 21); eben fo der Mangel anderwärts: frakuni (R. 14, 3), branjan (J. 15, 6), fulnan (Cl. 2, 21. Es. 3, 19. A. etc.), vifèdun (E. 2, 43), tvadjè (1 Tm. 5, 19), manhun (1 Tm. 5, 22), áinôhun etc.; auch garunjô, garuns, urruns, runs, brunsts, ansts, manleika (1 C. 15, 49: mannleika). Die Schreibungen alatharba, alabrunsts, alamans (wie Alaricus) neben allvaldands etc. und manafèths, manamaúrthrja, unmanariggvs, manaulja, manags, auch wohl manleika (s. vorher) find anders zu beurtheilen.

-2. Von den Lauten.

1. Die Selbftlaute.

Von den Selbstlauten der gothifchen Sprache gehen die drei reinen Grundlaute a, i, u. durch den ganzen Gliedbau der Sprache und bilden (wie einft die Vorderreihen der kämpfenden Kimbern fich an einander ketteten) die wundervollste durch den Ablaut verzweigte, wurzelhafte Verwandtschaft aller Redetheile (nicht des Zeitwortes allein, wenn auch diefes vorzugsweife) und der Begriffe. Af u. uf, and u. und, ïth u. ath-than, in u. ana, fra u. fri, fram u. fruma, frumists; ïftuma u. aftuma, iggvis u. uggvis, dags u. dògs, haban u. hôbáins, nahan u. ganôhs, ganaúha etc. find fo gut mit einander in Bezug gesetzt, als z. B. bindan, band, bandi, bundans, gabundi, bandvô etc.

An Selbstlautern befitzt die gothifche Sprache 5 einfache (a, i, u, ê, d; in Fremdwörtern auch y) und 4 Doppelfelbstlaute (ái, áu, ei, iu), von denen die beiden letztern, gleich è und ô, leicht für blofse Länge zu i und u genommen werden könnten. Von den 5 einfachen Selbstlauten find a, i, u im Gothifchen ursprünglich kurz, ê und ô entschieden lang.

a. Einfache Selbstlaute.

▲, dem griechischen a entsprechend, ift und bleibt in allen Wörtern, was die Fremdwörter am besten beurkunden, entschieden kurz. Die ihm entsprechende Länge ift nach einer Seite è (lag, lègum; fat, fètum; vas, vêsum), nach der andern 6 (fidur-, ahtáu-dôgs; giba, gibis, -0, -ôm; Rumôneis; gahobáins, ganôhs; bôta, foth; frathis, froths; lat. fagus, d. puocha; gall. bracca, d. bruoch etc.). Zwifchen zwei aa in fremden Wörtern tritt gern ein h (Aharon, Abraham, Nahassôn, Mahath; wie Iohannès, Bethlahaím oder deutscher Baíthlaháim). In Isak ist ein a gewichen, in Gabaa (Esdr. 2, 25; vgl. 35) verblieben, wie in gaarman; vgl. faei, fvau, hvauh, Ièfua, friathva, fiathva, fium, fáian, váian, láian, báuan, tráuan, tháiei u. f. w. Fehlerhaft fteht es Esr. 2, 11. 22. 25. 28. Ueber getrenntes a-u ist S. 772. gehandelt worden.

1, dem griech. I oder i entsprechend, ift gleichfalls evtfchieden kurz, steht aber doch zuweilen für ɛl, n, 1, v, fo wie für gothisch ei (digan, vigan; vgl. gabigs u. -eigs, barniski u. barniskei), für è (spidists, azitizò, svignitha, birusjòs, snivum,

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