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Gefchichtliche Einleitung.

Kaifer Julian, den im Jahre 360 Deutsche felbft in deutscher Weife auf den Schild, d. h. auf den Thron erhoben hatten (Amm. Marcell. 20, 4. Zofim. 3, 10), verglich die Klänge deutscher Rede oder deutschen Gefanges mit dem rauhen Gekrächze wilder Vögel, und noch Adelung und mit ihm Andere haben es jenem nachgefagt, während die Klangwellen vor ihnen felber noch dahinrollten und Tacitus unfere Väter geiftig wie fittlich fo hoch ftellte. Bei aller Unwahrfcheinlichkeit eines folchen angedeuteten Misverhältnisses zwischen inwohnendem Geifte und Geift ausstrahlender Sprache an fich würden wir aber wirklich über das Wefen der letzteren in ihren Urklängen kein klares, kein richtiges Urtheil haben, wenn uns nicht auf faft wunderbare Weife die im Ganzen nicht unbedeutenden Trümmer eines Werkes erhalten worden wären, das noch vor der grofsen Abfchwächung der Laute in und nach der Völkerwanderung in reichem und reinem Ebenmafse die Tiefe und das ursprüngliche Leben der Muttersprache aufzudecken vollkommen geeignet ift. Dies ift die Ueberfetzung der heiligen Schrift Alten und Neuen Bundes in die gothifche Sprache durch den Bifchof Wulfila oder, wie die Griechen, welche das deutsche w nicht ausfprechen konnten, ihn nannten Ulfilas. Er felbft konnte freilich nicht ahnen, dafs während er in Liebe und Treue feinem Stamme die Quellen des Chriftenthumes zu unmittelbarem Selbstschöpfen zu erfchliefsen beabsichtigte, er auch den fernsten Nachkommen zugleich eine ungeahnte Herrlichkeit der Anschauung und Erkenntnifs ihrer Muttersprache hinterlassen würde. Denn einzig und allein durch die erhaltenen Bruchstücke jener über alles Lob erhabenen Arbeit ift, im Zufammenhange und Zusammenhalte mit den übrigen Denkmälern deutscher oder germanischer Ursprache im Altnordifchen, Altfächfifchen, Angelfächfifchen, Althochdeutschen u. f. w. der grofse wiffenschaftliche Aufbau möglich geworden, den wir durch Jakob Grimm's Lebensarbeit jetzt überblicken und anstaunen; ja, nur auf der Grundlage des Gothifchen, verbunden mit den bei Römern und Griechen zerstreuten Mofaiktrümmern einzeln und nur zu fparfam überlieferter Wörter und Wurzelklänge der Muttersprache konnte die junge und doch schon so erstarkte Wiffenfchaft der vergleichenden Sprachforschung sich aufrichten, von deren Zinnen wir jetzt schon auf die Urzeit der fprachverwandten Völker mit ganz andern Augen als früher hinblicken, wenn wir auch H. Leo's jüngsten Verfuch noch für mehr als gewagt halten wollen. In feiner Gefchichte der deutschen Sprache wie in feiner Sprachlehre hat J. Grimm die Fülle und die Kraft des deutschen Sprachgeiftes, die tiefen und felbständigen, alle Redetheile durchdringenden Gesetze der Wortbildung (durch Ablaut u. f. w.) genügend dargelegt: es konnte daher nicht die Abficht diefer Einleitung, die ganz Andrem bestimmt ift, fein, weder jenes erneut zu beweifen, noch

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eine asiatische oder auch nur skandinavische Urwanderungsgefchichte deutscher Menschheit und insbefondere der Gothen auszuführen; nicht einmal die nah gelegte und gleichfalls noch nicht voll gelöfte Unterfuchung über das gothische oder gemeingermanische Runen-ABC (f. S. 772), ob dasfelbe urfprünglich aus 15, 16 oder 18 Urzeichen bestanden habe, ob es aus Afien stamme und auf welche Weife erlangt, auf welchem Wege mitgebracht fei, ob ferner es bei der Trennung um die Oftfee in zwei verfchiedenen Richtungen fich ausgebildet habe oder endlich ob die gothifchen Runen, wie wohl gemeint worden, etwa um Pisistratus Zeit zum ersten Male dem griechisch-phönicifchen Alphabete entnommen worden oder unmittelbar aus der phönicifch-femitifchen Schrift gefloffen feien das Alles hier wieder aufzunehmen, mufste uns fern

bleiben.

Wir haben es hier lediglich mit dem Lebens- und Liebeswerke des gothischen Bifchofs zu thun, der dadurch wie wenige in der Weltgefchichte zum wahren Wohlthäter feines Volkes geworden ift und dem die uns vorliegenden Ueberbleibfel der gothifchen Bibelübersetzung nach den Andeutungen griechifcher Kirchenschriftsteller zuzufchreiben fernerhin wohl Niemand mehr Anstand nehmen wird. Dafs die Gothen, die eine geraume Zeit hindurch von der Oftfee bis zum Pontus, vom Pontus bis zu den Säulen des Herkules fich ausdehnten, unter Ermanarich ein grofses Reich bildeten und in Wahrheit die römische Welt beherrschten, darnach in den Küstenländern des mittelländifchen Meeres fich verbluteten und verloren, das thut Ulfilas Verdienste keinen Abbruch. Sein nicht kurzes, nur der Bildung der Gothen gewidmetes Leben fiel in die bewegteste Zeit dieses in den damaligen Weltkampf und in die grofse deutsche Völkerwanderung nicht nur hineingeriffenen, fondern den Sturmreigen anführenden Volkes; eine Zeit, die nicht nur an äufseren Wehen, fondern auch an inneren, geiftigen, kirchlichen Wirren der Chriftenheit und der Griechenwelt überreich war. Die Unruhe wie der Nothdrang des äufseren Lebens, der inwohnende Thattrieb des einheitlichen nordifchen Menfchengefchlechtes, das die Welt erneuen und befreien follte, führte das felbe von den friedlichen Ufern der Oftfee über die Donau vielmals bis vor die Thore von Conftantinopel, zu den blutgetränkten Geftaden des Schwarzen- wie des Mittelmeeres, bis tief nach Alien, in und über Italien und Frankreich aber bis nach Spanien und Afrika, überall aber trugen fie Ulfilas Bibel mit fich.

Schon vor jenem allgemeinen Völkeraufbruche im zweiten und dritten Jahrhundert hatten im Lande der Skythen und Geten, wie die unzweifelhaft deutschen Namen Offa(s) und Geldo (gleich dem Comes Africae Gildo im J. 338 und den angelfächfifchen Gilda's u. Offa's) in den zu Abrudbanyà aufgefundenen römischen Wachstafeln des Jahres 167 n. Chr. beurkunden, Deutsche und wahrscheinlich Gothen gefeffen und waren vielleicht auch schon hier mit dem Chriftenthume bekannt geworden. Nicht fern von hier hatte fchon Catualda den entdeutfchten Marbod vertrieben, und an den Donauufern entbrannte im J. 168 der fo viele deutsche Völker umfaffende f. g. Markomannenkrieg (Dio Caff. 71, 12. Jul. Capitolin. Marc. 14, 22. Victor epiton. Amm. Marc. 31, 5). Um das Jahr 200 nennt Tertullian (adverf. Judaeos), da wo er die Völker aufzählt, zu denen das Chriftenthum bereits gedrungen fei, aufser Sarmaten und Daciern auch Germanen und Skythen, unter welchem Namen bei den

Griechen damals faft immer Gothen gemeint find, die zuerft unter Caracalla auf feinem Zuge nach dem Morgenlande (211-217) wieder genannt werden (Spartian. Caracall. 10. Get. 6). Der h. Athanafius in feiner Apologie des Christenthumes (de incarnat. verbi 50. 51) in den Jahren 319-321 konnte die Gothen nicht nur bereits bekehrt nennen, fondern rühmte fogar ihr Märtyrerthum für das felbe, wie auch der h. Chryfoftomus im J. 398 oder 399 Gott laut pries, dafs Barbaren (er meint Gothen), mitten unter den Griechen in der Gemeinde aufftünden und den Gekreuzigten in ihrer Muttersprache verkündigten. Schon unter Conftantin dem Grossen, der mit den Gothen fiegreich kämpfte (321. 332. 336), mit ihnen Frieden schloss und fie kluger Weife in's römische Heer aufnahm (Anonym. Valefii; Zofim. 2, 21; Eunop. 10, 4; Chron. Hieron., Jornand. 13), hatte das Chriftenthum bei ihnen so tiefe Wurzel geschlagen und, wie die Kirchenschriftsteller (Socrat. 1, 18. Euseb. Constant. 4, 5) fagen, in die unbeugfamen Gemüther bereits folchen Frieden getragen, dass sie nach Jesaia ihre Schwerter in Pflugscharen, ihre Spiesse in Sicheln verwandelt hätten; und bald gewann (wir werden hören, durch wen) das neue Leben unter ihnen folche Gestalt und Ordnung, dass schon auf der Kirchenversammlung zu Nicäa im J. 325 ein gothischer Geiftlicher Theophilos (Gudilubs, Gudiláibs?) das Glaubensbekenntnifs als „epifcopus Gothiae" (Socrat. 2, 41) oder „Gothiae metropolis“ oder „De Gothis Theophilus Bosphoritanus" (Labbei Collect. Concil.) mit unterzeichnete.

Wie schon Julius Cäfar, Augustus, Caligula etc. deutsche Hülfstruppen und Leibwachen fich zugelegt hatten, fo auch 213 Caracalla, unter welchem die Gothen um Dacien herumfchwärmten. Unter Severus (230) mufsten denfelben bereits Jahrgelder gezahlt werden (Petri Patricii excerpta de legatt.) und bald, unter Maximinus und Balbinus, entzündete sich in Mösien ein verheerender Krieg (Jul. Capitolin. vit. Max. et Balb.), der unter den Gordianen fortbrennt, unter Philippus aber schon bis Marcianopel frifst (Jorn. 16) und im J. 251 dem nachfolgenden Kaifer Decius fammt feinem Sohne gegen den Gothen Kniva in den Sümpfen der Donau das Leben koftet (Jorn. 18. Amm. Marcell. 31, 13. Zofim. 1, 23). Sein Nachfolger Trebonius Gallus aber mufste den Gothen wiederholt Jahrgelder zahlen, dafs fie nicht weiter in das römifche Gebiet einfielen (Zofim. 1, 23. 24). Schon um 237-240 waren in Möfien unter dem Dux Moefiae Tullius Menophilus (fein Name erinnert an den griechischen Vater jenes Offas im J. 167 in denselben Donaugegenden) Gothen zwar noch als Hülfstruppen (Foederati) der Römer oder Griechen; aber die wilden Züge der Unzufriedenen zu Waffer und zu Lande werden immer verheerender. Kühn fetzen fie 253 auf Schiffen über den Pontus und erobern Pithyus und 258 Trapezunt (Zofim. 1, 31-33. Gregor. Caefar.); andre Schwärme erfcheinen 259 vor Byzanz, nehmen Chalcedon und plündern Kleinafien (Zof. 1. 34. 35). Unter Gallienus, der im Weften auch mit Alamannen und Franken zu kämpfen hat, verwüften fie fogar Ephefus (Zofim. 1, 32), Cycicus, Athen, Argos, Sparta, Illyrien (Treb. Pollio Claud. 8. Gallien. 6. 13. Zofim. 1, 39. Orof. 7, 22. Syncelli Cosmogr.); unter Claudius (269) ziehen sie zu Waffer vom Dniefter aus nach Creta, Cypern, Rhodus und den Küstenländern, zu Lande gegen Theffalonich, bis fie der Kaiser, der fich darum Gothicus nannte, bei Naiffus zerstreute (Treb. Poll. Claud. 6-12., Zofim. 1, 42-46. Aurel. de Caef. 34). Aber er erkrankte und starb (Zofim. 1,

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