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seinen eigenen Vorstand. Diese Ortsvorsteher führten häufig den Titel Demogeronten oder Archonten. An andern Orten aber hießen sie Geronten oder auch Proestos. Sie waren die Einnehmer der Lokaleinkünfte, die Verwalter des Gemeindevermögens sowie des Gemeindewesens überhaupt. Bei Civilstreitigkeiten hatten sie als Schiedsrichter zu entscheiden. Auch stand die Ortsund Feldpolizei unter ihnen.

Nebst diesen Vorstehern der Städte, Burgen und Dörfer vertraten noch zwei Primaten und ein Schazmeister das Interesse des griechischen Volkes. Der eine Primat war ein Grieche und wurde insgemein der Primat ohne allen Beisaß genannt, der andere war ein Türke und führte den Namen Ayan. Der Primat und der Schahmeister mußten sich stets in der Nähe des Waiwoden aufhalten, denn sie bildeten den Provinzialraih, in welchem die Execution der Befehle des Paschas sowohl, wie sämmtliche Angelegenheiten der Provinz überhaupt berathen zu werden pflegten. Namentlich durften ohne die Zustimmung dieses Provinzialrathes keine Steuern, weder für die Bedürfnisse des ganzen Landes, noch auch nur für die Lokalbedürfnisse ausgeschrieben werden. Verschieden von diesem Provinzialrathe waren die Provinzialversammlungen, bestehend aus den erwähnten Ortsvorständen sämmtlicher Städte, Burgen und Dörfer. Auch ihre Zustimmung war nothwendig zur Gültigkeit der Steuern; auch lag ihnen ob, die bewilligten Steuern unter die einzelnen Gemeinden und Familien, nach dem Maaßstabe der Mittel einer jeden Gemeinde zu vertheilen. Zuweilen wurden auch Civilstreitigkeiten in diesen Provinzialversammlungen abgeurtheilt. Der Primate war vor Allen der natürliche Vertheidiger und Ver. treter eines jeden verfolgten und unterdrückten Griechen. Dies galt bei Civil- und Straffachen. Wollte ein Grieche einen Contrakt abschließen, so ward ein Primate beigezogen und von ihm die Urkunde mitunterschrieben. Demselben wurde auch beim Vormundschaftswesen ein nicht unbedeutender Einfluß eingeräumt. Insbesondere sollte der Primate dem Griechen seinen Schuß angedeihen lassen, wenn dieser vor dem Kadi einen Civilprozeß mit einem Türken hatte. Noch mehr aber war dieses bei Strafprozessen

den Fall, denn der Kadi sollte kein Strafverfahren gegen einen Griechen außer der Gegenwart eines Primaten einleiten und verhandeln. Bei wichtigen Strafprocessen mußten außer dem Primaten auch noch der Ayan und der Waiwode beigezogen wer den, und jeder von ihnen sollte der Protector des Beschuldigten sein. Doch den Haupteinfluß übte auch hiebei der Primate, indem er sogar noch das Recht hatte, von dem gesprochenen Urtheile an den Pascha zu appelliren. Nicht minder bedeutend war der Einfluß des Primaten auf die Provinzialverwaltung. Denn er war unter anderem berechtigt, sich dem Vollzuge eines jeden Befehles des Waiwoden in allen den Fällen zu widersehen, wenn derselbe für zu drückend oder zu lästig für das griechische Volk erachtet wurde. Entstand eine Meinungsverschiedenheit oder ein sonstiger Zwiespalt zwischen dem Waiwoden und dem Primaten, so hatte der Primate das Recht, die Ortsvorstände sämmtlicher Städte, Burgen und Dörfer zu einer Provinzialversammlung zu berufen, und diesen den streitigen Punkt zur Entscheidung vorzulegen. Konnte dieselbe indessen nicht zum Ziele gelangen, so hatte sie mittelst des Organes des Kadi an den Pascha, als an den höchsten Verwaltungsbeamten Bericht zu erstatten.

Nicht minder groß war der Einfluß der geistlichen Primaten in weltlichen Dingen. Schon nach dem neueren römischen Rechte, welches ja auch in Griechenland galt, hatte die Geistlichkeit eine schiedsrichterliche Gewalt in Civilsachen erhalten. Diese Gewalt fonnte unter der türkischen Herrschaft, unter welcher die griechische Religion ein Hauptanhaltspunkt zur Erhaltung_griechischer Nationalität geworden ist, nicht anders als steigen. Daher übten die griechischen Bischöfe bis zum Patriarchen hinauf allenthalben zum Theil neben, theils mit den Primaten, eine Art Gerichtsbarkeit bei Civilstreitigkeiten unter den Griechen, jedoch immer nur als Schiedsrichter aus. Die Ehe- und Testamentsstreitigkeiten zogen sie den Bestimmungen des kanonischen Rechtes gemäß, und mit ausdrücklicher Erlaubniß des Sultans, ganz vor ihr Forum. In dieser Beziehung waren sie daher nicht bloße Schiedsrichter, und die Appellation von ihrem Urtheile ging an die Synode und

an den Patriarchen in Constantinopel. In vielen Theilen Griechenlands kamen die Bischöfe sogar in den ausschließlichen Besitz aller Civilgerichtsbarkeit, jedoch immer nur als Schiedsrichter, so daß neben ihnen andere griechische Richter gar nicht bestanden. Dies war namentlich der Fall in Nauplia, auf einem großen Theile der Inseln und in einigen Gegenden von Lakonien. Ihr Hauptbestreben ging dahin, die Partheien zu vergleichen und auf diese Weise zu verhindern; daß die Sache nicht vor den Kadi gelangte. Denn nirgends hatten die Bischöfe das Recht erlangt, in legter Instanz solche Streitigkeiten zu schlichten. Vielmehr war es allenthalben erlaubt, von ihnen an die türkischen Gerichte zu appelliren, oder, was seiner Wirkung nach dasselbe war, die Klage vor dem geistlichen Gerichte liegen zu lassen und sich an den türkischen Richter zu wenden. Außer der Gerichtsbarkeit übten aber die Bischöfe auch noch auf andere weltliche Angelegenheiten einen großen überwiegenden Einfluß. In allen wichtigen Angelegenheiten des Lebens pflegte nämlich jeder Grieche sich an seinen Bischof um Rath und Beistand zu wenden. Wollte der Grieche einen Verkauf oder einen sonstigen Contrakt abschließen, so wendete er sich an seinen Bischof, ließ von ihm die Urkunde abfaffen und zur größeren Beglaubigung mit unterschreiben. Sollte ein Minderjähriger einen Vormund haben, die Vormundschaft über die gesegliche Zeit verlängert, Rechnung von dem Vormund gestellt, oder sonstiger Rath in Vormundschaftsangelegenheiten ertheilt werden, so wendete man sich an seinen Bischof. Wegen Abfassung von Testamenten ging man zum Kanzler oder Notar des Bischofs. Keine Handlung von irgend einer Wichtigkeit ward vorgenommen ohne vorherige Berathung mit dem Bischofe. Und in der Noth, an wen anders hätte man sich wenden sollen? - Fand fich ferner von Seiten des griechischen Volkes eine gegründete Beschwerde, sei es gegen einen einzelnen Primaten, oder gegen ein Mitglied des: Provinzialrathes oder gegen den Waiwoden selbst, so wendete man sich damit an den Bischof, welcher die angebrachte Beschwerde im ersten Falle dem Waiwoden empfahl, im legten aber dem Pascha selbst. Kurz, die Bischöfe waren die Rathgeber, Beschüßer,

ja sogar die wahren Beherrscher des griechischen Volkes zur Zeit seiner Unterdrückung. Sogar neue Gewohnheitsrechte sind von ihnen ausgegangen. Ihr ganzer großer Einfluß, ihre ganze Gewalt beruhte jedoch auf freiwilliger Unterwerfung des griechis schen Volkes.

S. 29.

Der oberste Justiz- und Verwaltungsbeamte im Paschalik war der Pascha selbst. Ihm zur Seite stand, da er als Türke der griechischen Sprache unfundig war, ein griechischer Dolmetscher, welcher, indem alle Geschäfte durch seine Hände an den Pascha gelangten, und durch ihn alle Geschäfte besorgt wurden, der wahre Verwalter des Paschaliks gewesen ist. Dieser Dolmetscher wurde auf den Vorschlag des Pfortendolmetschers in Constantinopel von der türkischen Regierung ernannt. Und auch in ihm fand jeder Grieche wieder einen mächtigen Beschüßer und Ver treter. Außer diesem Interpreten stand dem Pascha auch noch ein Rath zur Seite, welcher das griechische Volk im ganzen Pas schalik repräsentirte. Derselbe bestand aus den griechischen Primaten und türkischen Ayanen, deren jede Provinz zwei zu wählen und an die Residenz des Paschas zu senden hatte. Dem versammelten Rathe pflegten alle die das griechische Volk interessiren- \ den Angelegenheiten des Paschaliks zur Berathung vorgelegt, und namentlich auch die Vertheilung der Auflagen, welche der. Pascha zu erheben gedachte, überlassen zu werden. Durch diese Vertretung, so unvollkommen sie war, und durch die Aufstellung eigener Gerichte, so mangelhaft sie sein mochten, wurde doch eine gewisse Art von Selbstständigkeit, und in fedem Falle griechische Sitten und Gewohnheitsrechte, überhaupt griechische Nationalität erhalten, ohne welche der spätere Freiheitskainpf wenigstens erschwert, wo nicht ganz unmöglich gemacht worden wäre. Und jemehr die Unbestimmtheit der Stellung der Pascha's und anderer Statthalter, sowie der Mangel an Aufsicht in vielen Provinzen Bedrückungen und Gewaltthätigkeiten veranlaßte oder vermehrte, desto fester und fester schlossen sich die an einem Orte zusammenwohnenden Griechen an einander an.

Auf die angegebene Weise standen denn zwei unter sich wesentlich verschiedene, den entschiedensten Gegensaß bildende Nationen neben einander; die osmanische als die herrschende, die griechische dagegen als die unterjochte Nation.

Vierter Abschnitt.

Allgemeiner Aufschwung der griechischen Nation zur nationalen, politischen, wissenschaftlichen und religiö skirchlichen Wiedergeburt, am Ende des achtzehnten und am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts.

S. 30.

Die Griechen hatten, obwohl unterjocht, ihre Nationalität nie verloren; immer belebte sie die Hoffnung, daß ihre Geschicke sich eines Tages noch ändern würden. Sie waren mit jenen Göttern zu vergleichen, die, der alten Sage nach, einst vom Olympos verbannt und zu Schäfern und Handwerkern heruntergebracht worden; sie waren in Knechtschaft gesunken, aber doch frei von Alters her und aus dem Blute der alten Helden entsprossen; sie waren dem Schiffbruche entronnen, weil sie den Anker ihrer Hoffnung am Felsen der Religion Jesu, die nach Gottes Verheißungen eine ewige Dauer haben wird, befestigt hatten. So aber war es mit den Türken, ihren Unterdrückern, nicht. Das Türkenreich, durch Gewaltthat gegründet und zusammengehalten durch Mißhandlung der Ueberwundenen, und alle Kraft nur aus der Ungerechtigkeit und dem Schrecken schöpfend, dieses Türkenreich mußte wohl den Gang aller Plagen nehmen, die, je älter sie werden, desto mehr sich erschöpfen. Seine Gewaltherrschaft mußte sich ab, und längst würde es unter den Trümmern um seinen Thron her sein Grab gefunden haben, wenn nicht die Eifersucht der chriftlichen Mächte es noch aufrecht erhalten.

Zwar wurde das Volk der Griechen viele Jahrhunderte lang durch der Türken eisernen Despotismus darniedergehalten; aber die Grundfehler einer solchen Verfassung eröffneten ihm doch zulegt selbst den Weg zur Freiheit. Nicht lange dauerte die Glanz

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