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Erstes Capitel.

Die Ueberschrift. I. 1-3.

Das zur Erklärung vorliegende Buch trägt eine doppelte Ueberschrift. Die eine lautet nach den Handschriften: „Offenbarung des Johannes" oder „Offenbarung des Johannes, des Theologen" oder „Offenbarung des Johannes, des Theologen und Evangelisten;" fie stammt nicht vom Verfasser der Apokalypse, sondern aus späterer Zeit; auch steht der Beisaz „des Theologen" in keinem speziellen innern Ver= hältnisse gerade zur Offenbarung, sondern ist dem Apostel gegeben worden wegen seiner tiefen Erkenntniß der Gottheit Christi und wegen des Strebens, durch lebendiges und geschriebenes Wort den Weltheiland als den mit dem Vater und dem heiligen Geiste von Ewigkeit wesensgleichen Logos klar und lichtvoll zu verkünden.1) Die eigentliche Ueberschrift aber, dem Johannes zugehörig, umfaßt die drei ersten Verse und nimmt Bezug auf den Inhalt und Zweck des Buches, damit die Aufmerksamkeit der Leser oder Zuhörer gefesselt werde. Gleiches ist der Fall im Eingange der alttestamentlichen Weissagungen und der Sprüchwörter.

1. Offenbarung Jesu Chrifti, die Gott ihm gab, seinen Knechten zu zeigen, was in Bälde geschehen soll, und er that sie kund durch Sendung seines Engels

1) Origen. hom. 2. in divers. Epiphan. haer. 51. Cyrill. Hieros. catech. XII. 1. Athanas. in Synops. Euseb. chron. bei Angelo Mai: Scriptorum veterum nova collectio. I. sect. II. p. 21. Victor bei Mai XII. sect. II. p. 661. Niceph. hist. II. 3. Dionys. Are op. eccles. hierarch. 4.

seinem Knechte Johannes, 2. der bezeuget hat das Wort Gottes und das Zeugniß von Jesu Christo, was er alles gesehen. 3. Selig, der da liest oder die da hören die Worte der Weissagung, und bewahren das in ihr Geschriebene; denn die Zeit ist nahe.

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Die Offenbarung als das Enthüllen göttlicher Nathschlüsse, 2) die im Verlauf der Jahrhunderte ausgeführt werden sollen, ist durch den Genitiv: Jesu Christi" als eine solche bezeichnet, die von Jesus Christus herkommt. Ihm hat sie Gott gegeben. Wie verstehe ich das? Ist nicht Christus wahrer Gott, desselben Wesens mit dem Vater von Ewigkeit? Wußte er nicht kraft der Alwissenheit seiner göttlichen Natur ebenso genau als der Vater, welchen Gang die Weltgeschichte nehmen, welche Schicksale die Kirche erfahren würde? Wozu bedurfte es einer Offenbarung von Gott an Jesum? Man darf nicht sagen: diese Offenbarung sei eben keine in der Zeit enthüllte, sondern Christus habe sie als Logos des Vaters von Ewigkeit dagegen sprechen die Worte: die Gott ihm gab. Es genügt auch nicht zu behaupten: Offenbarung als das Entschleiertwerden dessen, was früher verhüllt gewesen, habe nur Bezug auf den Johannes und die übrigen Gläubigen, mit Bezug auf Jesum sei es das ewige Vorauswissen des göttlichen Logos. Auch hier steht das Wörtlein gab entgegen, welches ja augenscheinlich dieses Wissen als ein solches kennt lich macht, das Jesus einmal nicht gehabt, als ein Bekanntmachen von Dingen, die früher unbekannt waren, mit einem Worte als Offenbarung. Wir haben also, um vorliegende Stelle richtig zu verstehen, weniger die Allwissenheit des Logos an sich, als vielmehr das Verhältniß des Menschen Jesus zum Logos und durch den Logos zu Gott dem Vater in Betracht zu ziehen. Johannes selbst belehrt uns hierüber und läßt den Einklang erkennen, in welchem die Apokalypse mit seinem Evangelium und den Briefen steht. Bald wird hervorgehoben des Sohnes gleiche Wesenheit mit dem Vater, bald des Sohnes Abhängigkeit vom Vater in der Erniedrigung der Knechtsgestalt. Joh. 5, 26: Gleichwie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohne verliehen, das Leben in sich selbst zu haben. 6, 21:

2) Siehe die Einleitung. § 1.

Gleichwie der Vater die Todten erweckt, so belebt auch der Sohn, welche er will. 5, 17: Mein Vater wirket bis auf diese Stunde, und so wirke auch ich.“ Dagegen 7, 16: „Meine Lehre ist nicht mein, sondern dessen, der mich gesandt hat. 14, 10: Die Worte, die ich zu euch rede, rede ich nicht von mir selbst; sondern der Vater, der in mir wohnt, er thut die Werke. 17, 7. 8: Nun wissen sie, daß Alles, was du mir gegeben, von dir ist; denn die Worte, die du mir gegeben, habe ich ihnen gegeben." Demnach ist auch die Kunde der zukünftigen Kirchenschicksale dem Menschen Jesus durch den hypostatisch mit ihm verbundenen Logos von Gott dem Vater zugekommen, 3)

3) Aber wann? Die Antwort auf diese Frage ist zunächst freilich für unsere Stelle von wenig Belang, aber zur Erklärung von 5, 9 und Markus 13, 22 von Wichtigkeit. Viele Theologen der alten und neuen Schule behaupten: Jesus habe die Kunde über die Schicksale der Kirche im Augenblicke der Empfängniß erhalten, wie denn überhaupt der menschliche Geist Jesu wegen der hypostatischen Einigung mit dem Logos das vollendete göttliche Wissen schon vom Momente der Menschwerdung an gehabt. Während man also der Leiblichkeit Jesu alle Gefeße der menschlichen Natur zugesteht, nicht blos zum Schein, sondern in Wahrheit den Erlöser körperlich wachsen und sich entwickeln läßt: leugnet man jede Entwickelung, jeden wirklichen innern Fortschritt des menschlichen Geistes Jesu, weil es die hypostatische Union so verlange. Wird aber so die menschliche Natur Jesu verstanden? Gewinnt man so eine genügende Einsicht in das gottmenschliche Erlösungswerk? Erklärt man so die Worte des Evangelisten: „und der Knabe nahm zu wie an Alter, so an Weisheit?" Soll damit blos ein allmähliches Heraustreten der vollkommenen göttlichen Weisheit gegenüber den Menschen behauptet sein, die der Knabe Jesus als Mensch schon im Mutterleibe und in der Krippe zu Bethlehem gehabt? Oder meint der heilige Lukas nicht vielmehr ein stufenmäßiges Durchleuchtetwerden des Menschengeistes Jesu vom Logos gemäß den Gefeßen des Menschengeistes und gemäß dem Plane der Erlösung? Wie erklärt sich Markus 13, 22: „von dem Lage (der lehten weltrichterlichen Entscheidung) weiß Niemand, auch nicht die Engel des Himmels, auch nicht der Sohn (nämlich der Menschensohn), sondern nur der Vater ?" Ift darin, wie freilich Augustin und Gregor als eregetischen Nothbehelf annehmen, eine Mental-Reservation enthalten, als wolle Jesus sagen: „ich weiß (auch als Mensch) die Stunde wohl, aber es ist euch jezt nicht dienlich, sie zu wissen?" Ich will mich hier in den alten Streit nicht tiefer einlassen, der in neuester Zeit durch die Schrift des Gisbert Lieber in Betreff des Wachsthums Jesu in der Weisheit (Mainz 1850) wieder aufgenommen worden. Nur vom Standpunkte der Eregese will ich meine Ansicht kurz darlegen, motivirter Belehrung allezeit zugänglich. Die hypostatische Union verlangt nicht mit zwingender Nothwendigkeit, daß Alles, was dem einen Factor der Lebensgemeinschaft eignet, auch dem andern eignen müsse von dem Augenblicke, in welchem diese Lebensgemeinschaft eintritt. Man entnehme vom synthetischen Menschen die Analogie. Die hypofta

Offenbarung über die Kirche und das Ende der Weltgeschichte hatte Christus schon in seinem irdischen Leben ertheilt, so viel damals zu wissen nothwendig war. Als aber das hinströmende Blut der Märtyrer die junge Saat des Evangeliums zu ersticken drohte, bedurfte es einer ganz besonders kräftigen Tröftung und Glaubensstärkung. Deshalb erscheint der verklärte Heiland dem Johannes in der Vision und entschleiert die Jahrhunderte der Zukunft, die auch dem mensch lichen Geistesauge des Herrn vermöge der vollendeten Einkehr in die ewige Glorie des Logos vom Vater geoffenbart ist. Weil nämlich das für die Sünden der Welt geschlachtete Gotteslamm, der Löwe vom Stamme Juda überwunden hat, ist es würdig, die Siegel des Schickfalsbuches zu lösen.“ — Die Offenbarung ist von Gott Jesu gegeben worden, um den Knechten des Heilandes zu zeigen, was in kurzer Zeit geschehen soll. Knechte werden die Gläubigen genannt, weil sie Chriftus durch sein Blut als Leibeigenthum sich erkauft, und weil

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tische Union vernichtet keineswegs die Eigenthümlichkeit der beiden Lebensfactoren im Menschen und ihre Gefeße. Also glaube ich mit Ambrosius und Athanasius einen wirklichen, aber wegen des Verbandes mit dem Logos beschleunigten Fortschritt des menschlichen Geistes Iefu. Ich bin ferner der Meinung, daß die hypostatische Union während des irdischen Wandels Jesu mit steter Rücksicht auf den Zweck der Erlösung aufzufassen sei. Es wohnte im Heilande die Fülle der Gottheit wesenhaft (Col. 2, 9.) er hatte als Logos Alles mit dem Vater gemein, er wußte als Logos Alles; auch war der menschliche Geist Jesu frei von allen Mängeln der Intelligenz, die wir als die Folge der Sünde beklagen, und welche dem Erlösungswerk hätten hinderlich sein können. Aber der Logos durchleuchtete den Menschengeist Jesu nach dem Bedürfnisse der Erlösung. Jedesmal, wenn es über den Plan der Erlösung hinauslag, hat sich Jesus als Gottessohn den Menschen nicht kund gethan; was der Zweck der Erlösung nicht forderte, wußte Jesus als Mensch nicht; es verblieb dem Vater, dem Logos und dem heiligen Geist, so weit sie den Menschen sich nicht geoffenbart, sondern sofern sie als die verborgene Gottheit aufzufassen find. Vollkommener, als in der Krippe zu Bethlehem, war jedenfalls das menschliche Wissen Jesu nach der Versuchung. Am vollkommensten aber, als der Herr das Kreuzesopfer im liebenden Gehorsam zum Vater dargebracht und zum Lohne dafür mit seiner Menschheit in die Himmelsglorie des ewigen Logos aufgenommen ward, wodurch die absolute Allwissenheit des Logos auch die relative Allwiffenheit des Menschengeistes in Jesu herbeiführte. So nur kann ich Jesum als gottmenschlichen Lehrer recht verstehen und sein Erlösungswerk meiner Betrachtung nahe bringen; so nur kann ich mir Offenb. 5, 9 erklären, wo gesagt wird: das Lamm sei deshalb würdig, die Siegel von dem Buche der Zukunft zu lösen und seinen Inhalt der Christenheit kund zu thun weil es geschlachtet worden zur Sühne der Welt.

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sie ihrerseits das Joch des Herrn auf sich genommen haben. 4) Die Worte: was geschehen soll" halten manche Ausleger für gleichbedeutend mit: „was geschehen wird," als habe Johannes mit dem „soll" blos die zuverläßige Gewißheit des Geschehens ausgedrückt. Es ist aber nicht Ursache, von der wörtlichen Fassung der Rede abzugehen; denn nach dem Plane der göttlichen Fürsehung müssen die vorausgesagten Ereignisse kommen: die freudigen zum Trøfte der Bedrängten und zur Beschämung der Sünder, die traurigen, damit die Kirche wachse, indem sie Verfolgung leidet. Wie die Weinstöcke, sagt Justin, durch das Beschneiden reichlichere Frucht tragen, so wächst die Kirche durch die Verfolgung. So oft wir von euch geerntet werden, spricht Tertullian zu den Heiden, so oft nehmen wir zu an Zahl; der Same ist das Blut der Märtyrer; und denselben Gedanken kleidet Chrysostomus in die Worte: So wie die bewässerten Pflanzen mehr wach sen, so blühet auch unser Glaube mehr, wenn er bekämpft wird; ja auch die bewässerten Gärten grünen nicht so wie die Kirche, wenn sie mit dem Blute der Märtyrer getränkt wird. Die Kirche soll aber auch Drangsale leiden, damit die göttliche Macht in Beschirmung derselben stärker hervortrete. Es soll an der Kirche erfüllt werden, was der alttestamentliche Prophstenmund über Jerusalem geweissagt: „und geschehen wird es, an jenem Tage seße ich Jerusalem zum Laststeine allen Völkern. Wer da versuchen wird, ihn von der Stelle zu heben, wird von ihm zerschmettert werden." Die Kirche soll endlich auch Leidenstage erfahren wegen der frommen und tugendhaften Gläubigen, damit sie ob der Menge ihrer Verdienste sich nicht stolz überheben und den Gewinn des Himmels nicht für zu leicht erachten. Wie haben wir aber die kurze Zeit zu verstehen, binnen welcher zur Thatsache wird, was die Visionen vorbilden? Will man sagen: es dürfe an die Rathschlüsse Gottes, vor dem tausend Jahre wie ein Tag sind, kein menschliches Zeitmaaß angelegt werden; der Heiland selbst verknüpfe im Evangelium die Zerstörung Jerusalems mit dem Ende der Welt durch das Wörtchen bald, indem er weissagt: „bald aber nach der

4) Wir dürfen deshalb nicht Anstand nehmen, das griechische dovlos mit dem kräftigen, echt deutschen Worte Knecht zu überseßen; denn ein Knecht Christi zu sein, bleibt doch die einzig wahre Freiheit. Zudem nennen die Griechen unsern Diener night δοῦλος, fenbern ὑπερέτης.

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