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Dagegen nun erklärt der Vf.,,,die Antinomie sei der Beweisgrund, dafs das Ding an sich ästhetisch unerkennbar sei" (I. S. 140). „Das Ding an sich wird als wirklich gedacht vermöge eines Schlusses, aber nicht vermöge eines Erfahrungsschlusses. . . . Um einzusehen, dafs diese Schlufs operation zulässig ist, brauchen wir nur zu erwägen, dafs das Schliefsen eine Funktion eben desselben Intellekts ist, welcher durch ,Urteil die Wirklichkeit und den Zusammenhang der Welt feststellt, und dafs daher das Schliefsen' ein ebenso taugliches Erkenntnisinstrument ist, wie das Erfahrungsurteil (?).. Es wird keinem besonnenen Menschen einfallen, daran zu zweifeln, dafs ich fremdes Bewusstsein (fremde Empfindung) nur durch Schlufs folgerung... erkenne, und es wird keinem vernünftigen Menschen einfallen, die Richtigkeit dieser Schlufsfolgerung in Frage zu stellen. Dies aber hat seinen einfachen Grund darin, dafs die Schlufsfolgerung ein ebenso taugliches Erkenntnisinstrument ist, wie die unmittelbare Wahrnehmung und das auf diese gegründete Urteil" (I. S. 141 f.). Sinne unseres Realismus ist das richtig; im Sinne Kants wohl nicht. Denn ist das Denken, wie Kant annimmt, rein formal und gestaltet sich dasselbe nur durch Anschauung zu realer Erkenntnis, ist aber alles menschliche Anschauen sinnlich, 80 ist das darüber hinausgehende Schliefsen eben nicht mehr Erkennen. Der Standpunkt Kants ist also, wie uns scheint, in der Auffassung des Vfs. verlassen.

Im

Gleichwohl nimmt derselbe an, Kant habe so lehren müssen. ,,Als immanent nämlich und als Erscheinung konnte Kant die Welt nur auffassen, wenn er das Ding an sich als transcendente Ursache der immanenten Welt hypostasierte. Fafste er sie ohne diese Hypothese als Erscheinung auf, so verlor diejenige Realität ihre Wirklichkeit, welche der Grund ist, dafs wir die Wirklichkeit selbst auch nur denken und vom Unwirklichen unterscheiden können. In der Vorstellung nämlich, dafs jede Erscheinung des empirischen Universums immanent ist, liegt die Vorstellung, dafs alle Erscheinungen in kausaler Koordination stehen, d. h. dafs die sichtbare Kausalität nur eine Kausalität der Ordnung, nicht eine solche der Creatio oder Schöpfung sei. Hieraus aber folgt, dafs die Erscheinung niemals Realursache der Erscheinung, sondern nur ihr notwendiger Vorläufer sei und weiter, dafs alle diese Erscheinungen den Charakter von successiv auftretenden Endwirkungen einer transcendenten Ursache haben müssen.",,Daher war es unmöglich, die Welt als organisch immanent zu denken, ohne die Hypothese des

Dinges an sich. Nun aber ergibt sich, dafs es notwendig war, sie als immanent zu denken, weil ohne dies die Phänomene des apriorischen Wissens naturgesetzlich unerklärlich gewesen wären. Denn dafs wir über den Verlauf des Weltprozesses gewisse allgemeine Regeln (Kausal-, Substantial-, Kooperativ-Gesetz) im voraus mit Sicherheit voraussagen können, ist naturgesetzlich nur erklärbar, wenn die Welterscheinung und der Intellekt, welcher diese Aussagen macht, eben demselben grofsen Organismus (der machina vitalis) angehören. Diese Annahme erklärt allein die Accommodation der Erscheinungen an das A priori des Intellekts; ohne sie verfallen wir rettungslos einer prästabilierten Harmonie, dem Schrecken des gewissenhaften Naturforschers, und ebenso rettungslos verfallen wir dem Schrecken des Zweifels an der Sicherheit unserer fundamentalen Erkenntnisgrundsätze (der Mathematik, der Algebra und der Gesetze der exakten Dynamik). Demnach macht die Hypothese, dafs die Welt immanent ist, unser apriorisches Wissen nicht nur erklärlich, sondern setzt auch seine apodiktische Richtigkeit aufser Zweifel. Sie macht dasjenige unzweifelhaft, was uns unzweifelhaft ist und was uns unzweifelhaft sein mufs, wenn wir nicht auf die albernsten Abwege geraten und dem traurigsten Aberglauben oder Aberwitz verfallen wollen. Das ewige Kausalgesetz als problematisch denken heifst unsere Vernunft aus dem Kreise der wirksamen Naturelemente verbannen. Dieses Gesetz aber auf transorganische Realitäten anwendbar machen, bedeutet soviel als das Naturgesetz selbst aus der Natur hinausweisen; es kann, sofern das Naturgesetz selbst nicht für übernatürlich erklärt werden soll, nur eine einzige Lösung für seine absolut apriorische Geltung geben, nämlich die, dafs der Intellekt, welchem das Naturgesetz als ewige Norm vorschwebt, demselben Organismus angehöre, welchem auch die Natur angehört, nämlich dem Organismus vitalis; nur in diesem Falle ist es durch Naturgesetz selbst erklärt, dafs sich die Natur dem Naturgesetz accommodiert.

Hieraus folgt:

1. Da das Naturgesetz selbst nur dann natürlich ist und selbst dem Naturgesetz unterliegt, wenn die Welt immanent ist, so ist die Hypothese des Kant, dafs sie immanent ist, richtig.

2. Da die Welt nur immanent sein kann, wennn sie eine transcendente Ursache hat (denn wenn sie immanent ist, so ist sie durch und durch nichts als fortgesetzte Wirkung, welche demnach eine transcendente Ursache haben mufs), so gibt es ein Ding an sich'. Es ergibt sich also, dafs das System des

Kant das Dasein des ,Ding an sich vollständig beweist, gerade wie die Bewegungen des Planetensystems beweisen, dafs die Sonne sein Fixstern ist. Es ergibt sich ferner, dafs die Idee der Vernunft es erst möglich macht, dafs wir den transcendentalen Standpunkt einnehmen. Sie liefert uns den Fixstern

im Ding an sich" (I. S. 143 f.).

Wie es sich immer mit diesem Beweise verhalten mag, so ist soviel klar, dafs dieses ,,Ding an sich" eine sehr verschiedene Auffassung zuläfst und chamäleonartig in den buntesten Farben schillert. Man kann an den Occasionalismus, an den objektiven Idealismus Berkeleys, noch mehr aber an die eine Substanz des Spinoza denken, da in allem Geschehen nur Sprengstücke einer ursprünglichen Einheit zur Erscheinung gelangen sollen. Was geht aus dem allen hervor? Dafs das Kantsche System gleichsam auf eine Messerschneide gestellt ist und, falls es nicht im Sinne Fichtes als subjektiv rationalistischer Idealismus oder mit der positivistischen Psychologie als purer Phänomenalismus1 gedeutet wird, in die dogmatischen Vorstellungen seiner Vorgänger zurückführt.

Wie verhält sich nun dieses ,,Ding an sich", dessen zunächstliegende Deutung die der einen, in den Menschengeistern (die nach dem Vf. nicht Seelen, sondern aktuell fortdauernde Bewufstseine sind, I. S. 19) eine vernunftmäfsig geordnete Erscheinungswelt bewirkenden Substanz zu sein scheint, zu dem persönlichen Gott, den Kant vom Standpunkt des kategorischen Imperativs postuliert? Der Vf. gibt hierauf die Antwort im Schlufskapitel seines Werkes: das Dasein Gottes als Postulat der reinen Vernunft (II. S. 149 ff.). Die Rolle, die hier dem persönlichea Gott und ein solcher kann allein, wie Kant sagt, uns interessieren oder wenn wir uns, wie wir glauben, im Sinne des Vfs. ausdrücken können, der Persönlichkeit des Weltgrundes eingeräumt wird, ist eine wenn möglich noch kläglichere, als sie im Systeme Kants spielt. Der persönliche Gott tritt hier noch mehr hinter die Bedeutung des souveränen Sittengesetzes zurück.

Nach der Ansicht des Vfs. ist es überhaupt unsittlich, zu glauben nur in dem einen Falle, der die Existenz eines persönlichen, Sittlichkeit und Glückseligkeit in Einklang setzenden höchsten Wesens betrifft, ist es erlaubt, keineswegs aber geboten, zu glauben. „Wer das Bedürfnis (die Neigung) hat, Gott zu glauben, dem ist es vom Sittengesetz erlaubt, ihn zu glauben. . . . Was aber eine Erlaubnis zum Glauben, erteilt von der höchsten praktischen Instanz,

1 Vgl. Gutberlet, Der Kampf um die Seele. S. 121 ff.

nämlich dem wahrhaftigen Sitten gesetz, bedeutet, das braucht nicht dargelegt zu werden. Diese Erlaubnis des Gottesglaubens besagt, dafs wir in diesem Glauben der Wahrheit so nahe gekommen sind, wie es bei den beschränkten Mitteln unserer Erkenntnis überhaupt möglich ist, dafs wir also, wenn wir den vernünftigen Gott glauben, wenigstens die Analogie dessen, was über Sittengesetz und Natur steht und beide verbindet, getroffen und das Dasein der höchsten Kraft, welche die immanente und transcendente Natur beherrscht, mittelst der geringen Kräfte unseres Intellekts als einer uns in allen Beziehungen überlegenen Kraft festgestellt haben"1 (II. S. 157).

Wie wenig ernst jenes Stehen über dem Sittengesetz zu nehmen ist, beweist die weitere, fast unglaubliche Bemerkung: Gott erlaubt uns, ihn zu denken. Aber er hat kein Interesse, dafs wir seiner denken, sondern nur das Interesse der Befolgung seines Gesetzes" (a. a. O.). Wie können wir aber sein Gesetz befolgen, ohne es als sein Gesetz zu erkennen? Ist es aber Gott gleichgültig, ob wir das Gesetz als sein Gesetz befolgen, wenn wir es nur überhaupt befolgen, so steht das Gesetz höher als Gott, und Fichte ist im Recht, wenn er die unpersönliche, gesetzgebende Vernunft höher stellt als den höchst problematischen Gott Kants und des Vfs. Nein! Ist Gott höchste Ursache, so ist er auch höchstes Ziel, und es käme einer Selbstvernichtung Gottes gleich, wenn er auf das souveräne Recht und den höchsten Anspruch auf den Willen, den Glauben, die Unterwerfung, die Verehrung durch das vernünftige Geschöpf verzichten würde.

In dieser Umarbeitung des Kantschen Systems bleiben Fundament, Aufbau und krönende Bedachung bestehen, die innere Anordnung, Verteilung der Gemächer u. s. w. vermögen an dem Urteil über Wert und Haltbarkeit des Gebäudes selbst nichts zu ändern. Dieses Urteil kann demnach wie das durch den geschichtlichen Gang allein schon über Kants System selbst gefällte nur ein verdammendes sein.

Dieses Gesamturteil soll uns nicht hindern, Ausführungen im einzelnen unseren Beifall zu schenken; so sind z. B. die Vorstellungen von einer Projektion des Netzhautbildes und der excentrischen Lokalisation der Empfindung auf eine nicht nur höchst ergötzliche, sondern auch wenigstens teilweise zutreffende Art zurückgewiesen (I. S. 39 ff.).

Das gesamte Citat vom Vf. unterstrichen.

DR. FRANZ v. P. MORGOTT ALS THOMIST.

EIN BEITRAG ZUR THEOLOGIEGESCHICHTE DES XIX. JAHRHUNDERTS.

Von MARTIN GRABMANN.

Einer nach dem anderen von den grofsen Männern, die in schweren Zeiten das grofse Werk der Restauration des Thomismus begonnen und mit Energie fortgeführt, wird durch den Tod der Sache des hl. Thomas entrissen. Konstantin von Schäzler († 1880), der tiefe Dogmatiker, und Joseph Kleutgen († 1883), der „Fürst der Philosophen", wie ihn Leo XIII. genannt hat,1 haben bald nach Erlafs der Encyklika: „Aeterni Patris" ihr thatenreiches Leben beschlossen. Im letzten Decennium des 19. Jahrhunderts sind bald nacheinander die drei grofsen Thomistenkardinäle Jos. Pecci, Thomas Zigliara und Zeferino Gonzalez dieser Zeitlichkeit entrückt worden, während in Deutschland 1895 Prof. Dr. Stöckl aus diesem Leben schied. Ihm war schon 1893 der um die thomistische Philosophie hochverdiente Regens Dr. Schneid in die Ewigkeit vorausgegangen. Jetzt ist nun auch der Dritte, der in Eichstätt mit Stöckl und Schneid für die Interessen des hl. Thomas gewirkt hat, Domdekan Prof. Dr. Franz v. P. Morgott, nicht mehr am Leben. Nach kurzer Krankheit ist derselbe am 3. Februar 1900 im Herrn entschlafen.

Der Tod Dr. Morgotts ist für den Thomismus Deutschlands ein schwerer Verlust. War ja die langjährige akademische Lehrthätigkeit und die schriftstellerische Thätigkeit desselben der Förderung des Thomismus mit Liebe und Begeisterung geweiht. Der Verstorbene hatte eine ungemein ideale Vorstellung von der Aufgabe eines Thomisten in unserer Zeit, und er setzte seine Kraft ein, dieses Ideal zu verwirklichen. Wenn deswegen in den folgenden Zeilen die Feder eines dankbaren Schülers, dem der verstorbene Lehrer mit besonderer Liebe den Weg zum hi. Thomas gezeigt hat, es versucht, ein Geistesbild des grofsen Verehrers und Kenners des hl. Thomas zu entwerfen, so soll hiermit einerseits dem seligen, unvergesslichen Lehrer ein bescheidenes monumentum pietatis gesetzt und andererseits zugleich

1 Katholik 1883, I, S. 523.

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