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geneigten Menschen sagt Erwerb um des Erwerbes willen besser zu, als Arbeit um der Arbeit willen.

Der Vf. geht dann über zu einer weiteren Haupterscheinung des modernen sozialen Lebens, der Entstehung einer Klasse von Gebildeten. Unleugbar besteht ein Zusammenhang mit dem Protestantismus, der auch im Kultus ausschließlich oder einseitig das Gewicht auf das ,,Wort" legt. Was die Wissenschaft betrifft, so gesteht der Vf. zu, es könne keine Rede davon sein, daß der Protestantismus dem modernen Gedanken der Freiheit der Wissenschaft, des Denkens, der Presse offenen Weg bereitet hätte (S. 49). Hat doch der Protestantismus in aller Realwissenschaft einen ebenso sklavischen Anschluß an die profanen Autoritäten des Altertums verlangt, wie in der Theologie an die sakrosankte Autorität der Bibel" (S. 50).

In den aus der Renaissance hervorgehenden wissenschaftlichen Bestrebungen unterscheide sich der Protestantismus in nichts von dem gleichzeitigen Katholizismus. Die großen Entdeckungen des Zeitalters, die neue Mathematik und Physik gehen aus der Renaissance hervor, deren Platonismus auch einen Kepler in Konflikt mit der kirchlichen Behörde brachte (S. 51).

Mit dem behaupteten Übergewicht der protestantischen Völker in den Wissenschaften (a. a. O.) verhält es sich unseres Erachtens wie mit dem größeren Reichtum derselben er besteht nur in der Quantität; denn gerade in der Wissenschaft der Wissenschaften, der Philosophie, ist nur ein stufenweiser Verfall zu konstatieren. Ein näheres Eingehen müssen wir uns versagen; nur an die Wunden sei erinnert, die in Deutschland die Säkularisation den Katholiken geschlagen. Indem der Protestantismus die Religion in die Kirchen, auf die Kanzel und das Gesangbuch, sowie auf den Sonntag einschränkte, gab sie das Leben den profanen Weltmächten vollkommen frei. Ob jedoch die Völker, die durch ihren Handel, ihre Industrie, ihre Eroberungen hervorragen, die geistig und sittlich höher stehenden sind, ist eine andere Frage.

Dem Vf. weiter zu folgen, unterlassen wir.

Um jedoch noch mehr zu zeigen, in welche Widersprüche er sich verwickle, setzen wir zum Schlusse noch den Satz hierher: „Schiller hat in seiner ästhetischen Ethik nicht mit Unrecht einen Kerngedanken der luthe

rischen Rechtfertigungslehre zu behaupten gemeint, und Goethe hat in der Religion seiner drei Ehrfurchten der Metaphysik des Leidens, des Sündengefühls, des Erlösungstrostes und der gotterfüllten Persönlichkeit den Raum neben Naturpoesie und neben rationeller Humanitätsethik zu geben gesucht, ein Beweis, wie tief die deutsche Metaphysik (welche? die Kantsche, die keine ist, oder die Hegels, die Logik ist?) im Luthertum wurzelt, aber auch wie schwer dieses Luthertum mit der modernen Welt sich zusammenfügt"1 (S. 53). Luthertum liegt eben der Widerspruch, also ein Element der Zersetzung, das am offenkundigsten im Entwicklungsprozeß der Philosophie sich offenbarte.

DER AKT DES GLAUBENS.

Kritische Bemerkungen zu Scheeben, Handbuch der kath.
Dogmatik, I. Bd., II. Teil, sechstes Hauptstück,
I: Der christlich-katholische Glaube.

VON P. GREGOR VON HOLTUM o. S. B.

Von allen neuern Dogmatikern hat sich Scheeben wohl am eingehendsten mit der Untersuchung des ,,christlichkatholischen Glaubens" befaßt und dadurch allein schon ein wahres Verdienst sich erworben. Hat doch diese Untersuchung tief einschneidende Bedeutung für verschiedene Disziplinen der Theologie (dieses Wort hier im weitesten Sinne genommen), für die Apologetik denn sie stellt es sich zur Aufgabe, zum Glaubensakte den noch nicht Gläubigen zu führen, und kann daher der Klarheit über das Ziel gewiß nicht entraten, für die Dogmatik selber, die, wie sich im Laufe der Untersuchung herausstellen wird, Klarheit über das ihr eigene Objekt nur

1 Von uns unterstrichen.

gewinnen kann durch eine eindringende Untersuchung des Glaubensaktes für die Moral, die bekanntermaßen Erörterungen pflegt „de excellentia et necessitate fidei" (Lehmkuhl Th. M. Ed. 3. theol. m. spec. p. I tr. I c. I § 2 et 3), für die Mystik und wissenschaftliche Askese, wie von selbst erhellt. Aber auch durch die Tiefe, Allseitigkeit und Weihe seiner Untersuchungen hat er höchst anregend für Wissenschaft und Förderung des christlichen Glaubenslebens, insofern dasselbe selber durchaus abhängig ist von einer gesunden und tiefen theologischen Forschung, zweifelsohne gewirkt. Was endlich die Resultate dieser Untersuchungen anbelangt, so glaube ich, daß sie der Hauptsache nach gesichert sind, und daß es nur eines Weiterbauens auf dem von ihm gelegten Fundamente sowie einer Berichtigung in sekundären Punkten bedarf, um Scheebens Lehre zu vollenden.

Einen Versuch hierzu stellen die nachfolgenden Zeilen dar; sie umfassen das sechste Hauptstück von Scheeben mit Ausnahme des § 43: „Das Verhältnis des Glaubens zur kirchlichen Vorlage des Wortes Gottes."

Grundlegend für die ganze Theorie Scheebens vom Glauben ist jene von ihm gegebene Definition desselben, kraft deren Glaube ganz allgemein, aber im eigentlichen Sinne gefaßt, die Annahme einer Wahrheit auf das Zeugnis einer anderen Intelligenz hin ist, wenn diese Annahme eine willige Entgegennahme der uns gemachten Mitteilung ist, d. h. wenn sie hervorgeht und getragen wird von dem Bestreben, der Person, die uns die Mitteilung macht, als einem vernünftig-sittlichen Wesen mit entsprechender Achtung und Wertschätzung entgegenzukommen, sich an sie anzuschließen und in einen geistigen Wechselverkehr mit ihr zu treten" (n. 631).

Dieser Definition kann wohl nichts Stichhaltiges entgegengestellt werden. Zwar glauben auch die Dämonen (nach Jak. 2, 19: et daemones credunt et contremiscunt), aber sie glauben coacti ex signorum evidentia (Vgl. Thom. 2. 2. qu. 5. a. 2); es fehlt also der assensus imperatus a voluntate wegen Mangels der Freiheit, und deshalb ist der Begriff des Glaubens nicht in eindeutiger Weise erfüllt: man hat einen terminus analogus am Begriff Glauben; wenn auch zutrifft, was Thomas a. a. O. sagt:

per hoc ratio fidei non tollitur, cum habeat obiectum in se non evidens, so kann doch Thomas nur den generisch gefaßten Glauben für den Glauben der Dämonen behaupten, da doch coacte credere und ex voluntatis imperio credere nicht dieselbe differentia specifica darstellen können.

Eine andere Schwierigkeit erhebt Scheeben selbst gegen seine Definition; er bemerkt, daß der Fall denkbar sei, daß jemand auf das Zeugnis einer anderen Intelligenz hin eine in sich nicht einleuchtende Wahrheit annehme, ohne irgend welche Achtung gegen die Person des Zeugen, selbst bezüglich seiner Wahrhaftigkeit, zu haben, weil nämlich bekannt ist und sicher feststeht, daß der Zeuge aus unedlen Beweggründen die Wahrheit sagen wolle oder müsse. Es scheint also, daß zum Glauben die erwähnte Wertschätzung oder Achtung nicht nötig sei. Aber gut bemerkt Scheeben, daß, wenn der Zeugende einfach als Kanal dient, durch welchen zufällig eine Wahrheit, die man nicht selbst erfährt, zugänglich wird, eine solche Annahme den Namen Glauben nicht verdient und bloß abusive so genannt wird.

Und wenn endlich auch der Fall denkbar wäre, daß das Zeugnis einer äußeren Auktorität nicht in der Form der Auktorität, sondern in der Form eines indirekten Beweises das Fürwahrhalten verursachen könnte, so hätten wir doch wiederum nicht einen im gesellschaftlichen Verkehr üblichen Glauben, sondern eine ganz außerordentliche Erscheinung menschlichen Denkens.

Kann man so mit Scheeben einverstanden sein, wenn er den Anschluß an eine fremde Intelligenz aus Achtung so sehr beim Glauben betont, so dürften doch seine Aufstellungen über den zum Glauben genügenden Mangel

Einsicht berechtigten Schwierigkeiten begegnen. Scheeben nennt Glauben allerdings im weiteren, also nicht eigentlichen Sinne „jede nicht auf vollster, lichter Einsicht oder auf Schauen beruhende Überzeugung im Gegensatze zum vollkommenen Wissen" (n. 622). Man könnte nun diese Definition hingehen lassen, eben weil sie sich auf den Glauben im weiteren Sinne bezieht, wenn diese Definition des Glaubens im weiteren Sinne nicht auch die Definition des Glaubens im eigentlichen Sinne, also auch des christlichen Glaubens beeinflußte. Und in der Tat hat denn auch bei Scheeben diese Rückwirkung

sich eingestellt, wie aus dem ersichtlich, was er n. 713 bez. des Objektes des Glaubens bemerkt: „Die nur mittelbar durch Schlußfolgerung erkannten, daher nur im weiteren Sinne geschauten oder einfach gewußten Gegenstände (obiecta scita) lassen schon deshalb den göttlichen Glauben zu, weil die Sicherheit der Folgerungen und die Gewißheit des Wissenden eine höhere Garantie und eine Verstärkung derselben durch Anschluß an das unfehlbare, intuitive Wissen Gottes nicht überflüssig macht. A fortiori können diejenigen Dinge, die wir schlußweise bloß aus ihren äußeren Wirkungen erkennen (wie die Natur und die Eigenschaften Gottes), Gegenstand des Glaubens sein, weil sie so, wie sie in sich selbst sind, immer unsichtbar bleiben, und wir durch den Anschluß an das unmittelbare Wissen Gottes ihnen näher treten und sie unmittelbarer in sich selbst ergreifen, als durch unser mittelbares Wissen." Daß diese Lehre Scheebens, die bekanntlich der Lehre des Aquinaten nicht entspricht, unrichtig ist, wird sich später noch klar herausstellen; sie hat aber ihre Wurzeln in der Anschauung Scheebens vom vollkommenen Wissen, das, auf vollster, lichter Einsicht beruhend, jene Erkenntnis, die eine vollste und lichte Einsicht nicht darstellt, Glauben im weiteren Sinne sein läßt, „ohne daß darum die eigene Einsicht aufhören müßte, der Grund des Fürwahrhaltens zu sein" (!). Man fragt sich unwillkürlich, ob hier nicht ein Spielen mit Worten und Begriffen vorliegt. „,Insbesonderealso fährt Sch. fort nennt man so a) die Überzeugung von übersinnlichen Wahrheiten, denen die sinnliche (Evidenz oder Anschaulichkeit), sei es die der sinnlichen Erfahrung, sei es die der Phantasie, fehlt; b) die Überzeugung von dem Dasein und der Beschaffenheit der Ursachen, die man aus ihren Wirkungen, worunter sie gewissermaßen verhüllt sind, erkennt das gleiche gilt von den Zwecken oder Finalursachen, die man aus und in der Anlage der Dinge, deren Zweck sie sind, erkennt; c) die Überzeugung von abgeleiteten Wahrheiten, deren Gründe und Zusammenhang man gewissermaßen instinktmäßig durchschaut (sic!), ohne sich reflex und distinkt darüber Rechenschaft geben zu können.“ Das sind offenbar schiefe oder direkt unrichtige Aufstellungen; wenige Worte werden das nachweisen.

Nach a hätte also der Mathematiker nur Glauben im weiteren Sinne, aber kein vollkommenes Wissen, desgleichen

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