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vielen und vielen Stellen vor und nach dem Jahre 415 Christo allein die Freiheit von allen persönlichen Sünden zuschreibt, schließen zu wollen, er habe in diese allgemeine Sündhaftigkeit auch Maria einbezogen (weil wir ja wissen, daß er in dem Augenblick, als ihre heilige Person ausdrücklich in die Debatte gezogen wurde, sie sofort ausnahm), ebensowenig sind wir befugt, anzunehmen, er hätte ihre Seele nicht auch vom Traduzianismus ausgenommen, wenn davon ausdrücklich gehandelt worden wäre. Und hätte er es selbst in diesem Augenblicke nicht getan, so würde sich daraus erst das Vorhandensein der conditio nascendi, nicht aber die tatsächliche Befleckung durch die Erbsünde für die Gottesmutter ergeben.

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Noch weniger Berechtigung dürfte dem Einwand zuzuerkennen sein, der aus der Tatsache, daß der hl. Augustin sich gegen die Annahme einer Heiligung des Propheten Jeremias und des hl. Johannes des Täufers im Mutterschoße ablehnend verhält, schließen will, daß der große Lehrer auch eine Heiligung Mariens vor ihrer Geburt nicht befürwortet hätte.2 Johannes der Täufer und Jeremias können doch nicht in eine Linie mit der Gottesmutter gestellt werden. Auch Augustin kam dies gar nicht in den Sinn. Ihr sprach er eine Sündenreinheit zu, die er einzig mit der Berufung auf die Gottesmutterschaft zu motivieren imstande war. Jene beiden Heiligen waren von Pelagius als Männer angeführt worden, welche ohne Sünde durchs Leben gegangen waren, und bei beiden hat Augustin diese Vorstellung abgewiesen. Nur der heiligsten Jungfrau hat er dieses Vorrecht zuerkannt. Sowenig wir nun daraus, daß der berühmte Kirchenlehrer keinen noch so großen Heiligen außer der Gottesmutter das Vorrecht völliger Freiheit von persönlichen Sünden zuerkannte, schließen dürfen, er hätte dasselbe auch Maria verweigert, ebensowenig dürfen wir daraus, daß er selbst einem Johannes und Jeremias das Privilegium der Heiligung vor der Geburt absprach, folgern, daß nach seiner Lehre auch der Gottesmutter dasselbe nicht zukomme.

Nicht glücklicher ist der weitere Beweisversuch, welcher sich auf den Mangel eines Festes der Empfängnis oder

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1 S. Aug. Serm. 289 n. 5. Mg. 1. 38, 1311. S. 291 n. 1. Mg. 1. 38, 1316. S. 292 n. 1. Mg. 1. 38, 1320. S. 293 n. 12. Mg. 1. 38, 1335.- Epist. 187 c. 10-12 n. 32-37. Mg. 1. 33, 844-847. 2 Friedrich S. 231.

Jahrbuch für Philosophie etc. XXII.

Geburt Mariens zur Zeit des hl. Augustin aufbaut. „Wiederholt erwähnt Augustinus in seinen Predigten, daß die Kirche den Todestag gar vieler Diener Gottes feiere, hingegen kenne die Liturgie eine Feier von nur zwei dies natales: den Geburtstag Christi und den des Täufers. ist ein Erbstück der Tradition, daß der 24. Juni als Geburtstag des Johannes gilt und festlich begangen wird. Den Grund und die Bedeutung dieser Festfeier sieht der hl. Lehrer vor allem in den wunderbaren Begleiterscheinungen der Geburt des Täufers, in seiner Vorzugsstellung vor Patriarchen und Propheten, daß er schon im Mutterschoß den Herrn verkünden durfte, nicht aber in einer Heiligung des Johannes vor dessen Eintritt in dieses Leben. 1 Von einer Geburtsfeier Marias weiß Augustinus nichts zu melden. Glaubt man aber, daß dieser große Geist die Berechtigung der Geburtsfeier eines Johannes, den er nicht vor seiner zeitlichen Geburt als geheiligt erachtete, berechtigt gefunden hätte, wenn er überzeugt gewesen, daß Maria schon vor ihrer zeitlichen Geburt geheiligt worden und ungeachtet dessen ihr dies natalis in der Kirche ohne Feier geblieben wäre? Er, der selber berichtet, daß in dem Christentum seiner Zeit eine Tradition bezüglich des Lebens Marias lebendig war, hätte diesen Mangel der Liturgie zum mindesten nicht unerwähnt gelassen.“2 Darauf ist folgendes zu erwidern: Wenn nach den Angaben des Heiligen die Feier des Geburtstages des Täufers auf eine Tradition zurückgeht, welcher der 24. Juni als Datum dieses Ereignisses galt, und ihren Grund und ihre Bedeutung in den wunderbaren Begleiterscheinungen der Geburt des Täufers hatte, dann folgt aus dem Mangel eines Festes der Geburt Mariä nur, daß die damals noch vorhandene Tradition über das Leben der Gottesmutter keine zuverlässigen Angaben über den Tag ihrer Geburt und über wunderbare Begleiterscheinungen derselben enthielt. Anderseits beweist gerade der Umstand, daß Augustinus von einer Heiligung des Täufers im Schoße seiner Mutter nichts wissen will, daß nach seiner Auffassung eine Festfeier der Geburt und eine Heiligung vor der Geburt gar nichts miteinander zu schaffen haben. Überhaupt sei gegenüber allen diesen Argumenten ex silentio darauf

1 Die Belegstellen s. in den bereits zitierten Festreden (Serm. 287 bis 293) des Heiligen auf den Geburtstag des hl. Johannes.

2 Friedrich S. 231-232.

hingewiesen, daß dieselben in unserer Frage sehr wenig beweisen, da sich der hl. Augustin mit offenbarer Absicht eine Reserve auferlegte, die wir heutzutage allerdings nicht mehr beobachten, weshalb es uns oft scheint, der heilige Lehrer hätte da oder dort ganz gewiß von der unbefleckten Empfängnis Mariens reden müssen, wenn er dieselbe festgehalten hätte. In seinem Kampfe gegen den Pelagianismus gezwungen, wieder und wieder zu betonen, daß alle Menschen durch Herkunft und eigene Tat Sünder seien, drängte er naturgemäß die Ausnahme von diesem Gesetz in den Hintergrund und sprach von ihr nur, wo er davon sprechen mußte. Oft und oft erklärt er, daß alle Menschen Sünden auf sich haben, und ein einziges Mal sagt er uns, vom Gegner selbst dazu aufgefordert und genötigt, daß Maria ganz frei war von jeder Sünde.

Noch eine Stelle aus dem hl. Augustin könnte Bedenken erregen bezüglich seiner Lehre über die Empfängnis Mariens, nicht zwar an sich, sondern hauptsächlich wegen ihrer Ähnlichkeit mit einem vom Hl. Stuhle verurteilten Satze des Michael Bajus, in welchem die unbefleckte Empfängnis geleugnet wurde. Man braucht indessen nur beide Texte miteinander zu vergleichen, um zu sehen, daß sie durchaus nicht dasselbe besagen, und daß Bajus wenn auch vielleicht in der Wahl des Ausdruckes vom hl. Augustin abhängig, doch der Sache nach etwas behauptet hat, was nicht in den Worten des großen Lehrers liegt.

Augustinus:

„Maria ex Adam mortua propter peccatum, Adam mortuus propter peccatum et caro Domini ex Maria mortua est propter delenda peccata."1

Bajus:

,,Nemo praeter Christum est absque peccato originali. Hinc beata Virgo mortua est propter peccatum ex Adam contractum omnesque eius afflictiones in hac vita fuerunt ultiones peccati actualis vel originalis."2

1 S. Aug. Enarr. in Ps. 34 n. 3. Mg. 1. 36, 335. In der oben zitierten Form gaben die Löwener und die Mauriner Ausgabe den Text nach der Mehrzahl der Handschriften. Varianten sind: Er. „Maria ex Adam, Adam mortuus propter peccatum Adae, Adam mortuus est propter peccatum." Vat. u. Colb. ,,Maria ex Adam, Adam mortuus propter peccatum." Flor. Maria ex Adam primo, Adam secundus ortus ex Maria propter delenda peccata." Prop. Baii damn. 73. Denz. n. 953.

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Es läßt sich nicht bestreiten, daß in den Worten des hl. Augustin der leibliche Tod Mariens als eine Folge der Sünde hingestellt wird. Wenn aber Bajus lehrte, Mariens Tod sei die Folge einer ihr persönlich anhaftenden Schuld, die sie sich durch ihren Geschlechtszusammenhang mit Adam zugezogen habe, so behauptete er damit mehr, als der hl. Augustin ausgesprochen hatte, nach dessen Worten Maria nur auf Grund ihrer Abstammung von Adam wegen dessen Sünde gestorben ist. Man braucht, um den Unterschied zwischen beiden Auffassungen klar zu sehen, nur zu beachten, welche Stellung die beiden Auktoren den Worten „ex Adam" geben. Der hl. Augustin faßt dieselben als nähere Bestimmung zu „Maria“ oder „mortua" auf, während Bajus sie auf „peccatum" bezieht. Noch deutlicher wird dieser Sachverhalt, wenn man im Texte des hl. Augustin selbst den Parallelismus der beiden Glieder ,,Maria ex Adam mortua" und „Caro Domini ex Maria mortua" beachtet. Man wird daher auch in diesen Worten schwerlich eine Leugnung der unbefleckten Empfängnis Mariens erblicken können.

Wir sind zu Ende. Anmaßung wäre es, zu denken, daß durch vorstehende Zeilen jahrhundertealte Zweifel gelöst seien. Das eine aber dürfte unsere Abhandlung sich wohl schmeicheln erreicht zu haben, zu zeigen, daß nicht bloß zuungunsten, sondern auch zugunsten des heiligen Lehrers von Hippo berechtigterweise gezweifelt werden darf.

Der Syllabus Papst Pius' X.

Von Dr. M. Gloßner.

Der von liberaler Seite, kaum erschienen, als rückschrittlich und kulturfeindlich bekämpfte, ja als staatsgefährlich denunzierte Syllabus1 liegt nunmehr im Wortlaut vor. Für den Theologen enthält derselbe nichts Neues oder Überraschendes. Die Irrtümer, die er verwirft, und die exegetischen und dogmatischen Lehren, die er indirekt aufstellt, sind die jedem katholischen Theologen längst bekannten, beziehungsweise, was die Lehren betrifft, die in der katholischen Kirche immer verteidigten. Seine Bedeutung aber liegt darin, daß gewisse spekulative Anschauungen und exegetische Theorien in Deutschland durch Schell und seine Anhänger, in Frankreich durch Loisy und andere mit einer Zuversicht und Aufdringlichkeit vertreten wurden und werden, denen gegenüber die lehramtliche Autorität der Kirche nicht schweigen konnte.

Ein kurzer Überblick mag vorläufig genügen, um den Leser die Tragweite dieses neuen Syllabus ermessen zu lassen. Für die Stellungnahme des Jahrbuchs erscheint vor allem die These 64 von Bedeutung. Sie lautet: „Der Fortschritt der Wissenschaften erfordert, daß die Begriffe der christlichen Doktrin hinsichtlich Gottes, der Schöpfung, der Offenbarung, der Person des fleischgewordenen Wortes, der Erlösung reformiert werden."

Daß mit dieser These die Schellschen Lehren von einer göttlichen Selbstverwirklichung, also sein Gottes- und Trinitätsbegriff, ferner seine Auffassung der Schöpfung und Menschwerdung getroffen werden, steht außer Frage. Gleichwohl werden diese und damit im Zusammenhang stehende, die Sünde und eschatologische Fragen betreffende Auffassungen von liberaler Seite als das Bedeutungs- und Wertvollste an Schell hingestellt und damit der Vorwurf gegen die kirchliche Autorität erhoben, eine „,der modernen Welt erträgliche und nutzbringende Position" verworfen zu haben.

,,Man konnte sich mit ihm", so lautet eine solche Stimme,,,und seiner Theologie in den Parlamenten,

1 Im Fränkischen Kurier Nr. 365, Augsburger Postz. v. 21. Juli 1907. Nr. 64. Progressus scientiarum postulat, ut reformentur conceptus doctrinae christianae de Deo, de Creatione, de Revelatione, de Persona Verbi Incarnati, de Redemptione.

3 Münch. Allg. Zeitung Nr. 366. 190.

Jahrbuch für Philosophie etc. XXII.

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