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ZUM BEGRIFF DER APOLOGETIK.

Eine Entgegnung.

VON PFARRER OSKAR WITZ.

In seinem Buche „,Christliche Apologetik" hat Herr Professor Weber S. 134 folgende Anmerkung: „Es ist falsch, mit Witz (in Schill, Theologische Prinzipienlehre? 235) zu sagen: ‚Die Apologetik muß den Begriff der übernatürlichen Offenbarung aus der Dogmatik herübernehmen und voraussetzen.' Wäre sie dann noch grundlegende Wissenschaft für die übernatürliche Theologie? Die Apologetik setzt als Gegenstand nur die Lehre in der Kirche voraus und formuliert selbst den wissenschaftlichen Ausdruck des ihr daraus zur Behandlung naturgemäß Zustehenden in Begriffen und Definitionen. Zu welcher Verwirrung führt es doch, wenn Witz seine S. 2 f. richtig beschriebene Stellung der Apologetik hier verläßt und sie philosophische Wissenschaft nennt, nachdem er S. 36 sie vollends als Teil der Moral, speziell der Tugendlehre, hingestellt hat." Es sei mir gestattet, hierauf zu erwidern.

1. Weber beanstandet zuerst den Satz:,,Die Apologetik muß den Begriff der übernatürlichen Offenbarung aus der Dogmatik herübernehmen und voraussetzen." Sehen wir, woher Weber diesen Begriff nimmt. S. 7 sagt er bezüglich des Lehrganges der Apologetik: „Den Ausgangspunkt bildet jeweils die Darstellung des Beweisgegenstandes nach der Kirchenlehre, daran schließt sich der Vernunftbeweis geschichtlicher oder philosophischer Art als Lösung der eigentlichen Aufgabe." Ebenso sagt er in der genannten Anmerkung: „Die Apologetik setzt als Gegenstand die Lehre in der Kirche voraus." Bei der Bestimmung des Begriffes Offenbarung beruft er sich S. 135 ausdrücklich auf die „lehramtliche traditionelle Bestimmung des Offenbarungsbegriffes". Sagt und tut also Weber nicht dasselbe wie ich? Offenbar. Er setzt den Begriff der übernatürlichen Offenbarung aus der Lehre der Kirche voraus und ich aus der Dogmatik. Das ist aber inbezug auf das hier in Frage Stehende ganz dasselbe. Was ist die Dogmatik anders als die systematische Darstellung der kirchlichen Lehre und ihre Begründung aus den Offenbarungsquellen? Aufgabe der Dogmatik ist es, die theologischen

Begriffe zu formulieren, und nicht der Apologetik. Letztere ist dazu gar nicht imstande, da sie sich lediglich auf die Vernunft prinzipien stützt und nicht aus der übernatürlichen Offenbarung beweist, aus der doch die theologischen Begriffe geschöpft werden müssen. Was in Frage steht, ist einzig das: findet die Apologetik auf Grund ihrer eigenen Prinzipien, d. h. auf Grund der natürlichen Vernunft (durch Erwägungen geschichtlicher oder philosophischer Art) den Begriff der übernatürlichen Öffenbarung? Die Antwort darauf lautet: nein, denn die bloße Vernunft kann durch sich selber nicht auf den Begriff des Übernatürlichen im positiven Sinne kommen; sie kann ihn auch nicht aus der Hl. Schrift entnehmen, denn die bloße Vernunft betrachtet die Hl. Schrift lediglich als geschichtliche Quelle und als religiös literarisches Werk, nicht als übernatürliche Offenbarung. Den Begriff der übernatürlichen Offenbarung muß also die Apologetik aus der übernatürlichen Offenbarung selber, wie sie in der kirchlichen Lehre enthalten und in der Dogmatik wissenschaftlich formuliert ist, herübernehmen und muß ihn voraussetzen, allerdings nicht auf Seite dessen, gegen den die Verteidigung geführt wird, sondern auf Seite dessen, der verteidigt, d. h. des Apologeten. Weber sagt also ganz dasselbe wie ich, und wenn er einen Unterschied zwischen seiner und meiner Ausdrucksweise statuiert, so ist das nur daraus zu erklären, daß er den Fragepunkt übersehen hat.

Weber geht sogar noch weiter als ich; nicht nur den Begriff der übernatürlichen Offenbarung will er der kirchlichen Lehre (bezw. Dogmatik) entlehnt wissen, sondern auch den der Religion. „Den Ausgangspunkt bildet jeweils (also für alle drei Begriffe Kirche, Offenbarung und Religion, d. V.) die Darstellung des Beweisgegenstandes nach der Kirchenlehre" (Weber, Christliche Apologetik S. 7). Diese Anschauung ist entschieden abzulehnen Den Begriff der Religion findet die Apologetik auf Grund der eigenen Prinzipien bezw. entlehnt ihn der Philosophie; er ist ein philosophischer Begriff und wird in dem Teile der Philosophie behandelt, den man die Moralphilosophie nennt. Er braucht also keineswegs der kirchlichen Lehre entnommen zu werden,

2. Die anschließende Frage: Wie wäre sie (die Apologetik) dann noch grundlegende Wissenschaft für die

Jahrbuch für Philosophie etc. XXII.

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übernatürliche Theologie? ist nach dem Dargelegten ebenso an Weber wie an mich gestellt. Meinerseits will ich sie hier beantworten. Die Apologetik kann nicht dadurch ,,grundlegende Wissenschaft für die übernatürliche Theologie" sein, daß sie die übernatürlichen Begriffe auf Grund der Vernunft ableitet und beweist dadurch würde sie die übernatürliche Theologie zerstören sondern nur dadurch, daß sie das an der übernatürlichen Offenbarung vernunftgemäß Erkennbare, nämlich ihre Glaubwürdigkeit (motiva credibilitatis) beweist; dieses kann sie tun, auch wenn sie den Begriff der übernatürlichen Offenbarung aus der Theologie voraussetzt, viel mehr muß sie ihn eben zu diesem Zwecke voraussetzen.

3. „Zu welcher Verwirrung führt es doch, wenn Witz seine S. 2 f. richtig beschriebene Stellung der Apologetik hier verläßt und sie philosophische Wissenschaft nennt, nachdem er sie S. 36 vollends als Teil der Moral, speziell der Tugendlehre, hingestellt hat!" Diese Bemerkung bezieht sich nicht auf das von Weber aus meiner Bearbeitung der Schillschen Apologetik gegebene Zitat, sondern auf den daran anschließenden Satz, der lautet: „,Apologetik ist eben philosophische Wissenschaft eines Theologen" (im Werke selber unterstrichen). Diesen Satz hätte Weber auch anführen müssen; ohne denselben ist seine Bemerkung unverständlich. Ich soll also in Gegensatz zu meiner eigenen Auffassung getreten sein, indem ich hier die Apologetik eine philosophische Wissenschaft nenne. Was ist denn die Apologetik für eine Wissenschaft, eine philosophische oder eine theologische? Das wollen wir in Kürze untersuchen. Die Art der Wissenschaft wird bestimmt durch den Gegenstand (obiectum) derselben, aber nicht durch den materiellen Gegenstand (obiectum materiale), sondern durch den formellen (obiectum formale): Diversa ratio cognoscibilis diversitatem scientiarum inducit. Eandem enim conclusionem demonstrat astrologus et naturalis, puta quod terra est rotunda. Sed astrologus per medium mathematicum, id est, a materia abstractum; naturalis autem per medium circa materiam consideratum. Unde nihil prohibet de eisdem rebus, de quibus philosophicae disciplinae tractant, secundum quod sunt cognoscibiles lumine naturalis rationis, etiam aliam scientiam tractare, secundum quod cognoscuntur lumine divinae revelationis. St. Thomas

1. q. 1. a. 1. ad 2. Das Materialobjekt der Apologetik ist die übernatürliche Offenbarung, das Formalobjekt derselben die Erkennbarkeit der übernatürlichen Offenbarung durch die Vernunft (cognoscibilis lumine naturalis rationis); folglich ist die Apologetik wesentlich Vernunft- oder philosophische Wissenschaft. Sie unterscheidet sich von den theologischen Wissenschaften, welche die übernatürliche Offenbarung, insofern sie aus der Offenbarung selber erkennbar ist, zum formellen Gegenstand haben. Dennoch wird die Apologetik im Organismus der Wissenschaften nicht zu den philosophischen, sondern zu den theologischen Disziplinen gezählt, weil sie ihr Materialobjekt der Theologie entlehnt, weil sie im Dienste der Theologie steht und weil der, welcher sie lehrt, zugleich Philosoph und Theologe sein muß. Diese Doppelstellung der Apologetik habe ich hinreichend bezeichnet, indem ich geschrieben habe: Apologetik ist eben philosophische Wissenschaft eines Theologen; letzteres Wort habe ich eigens unterstrichen. Eine von dieser Begriffsbestimmung abweichende Auffassung habe ich nirgends vertreten. Wenn ich in der Einleitung gesagt habe, die Apologetik sei sowohl von den philosophischen wie von den theologischen Wissenschaften wesentlich verschieden, von den philosophischen durch ihren materiellen Gegenstand, von den theologischen durch ihre Prinzipien oder ihren formellen Gegenstand, so ist eben damit ausgedrückt, daß sie auch mit beiden etwas gemeinsam hat, - mit den philosophischen die Prinzipien oder das Formalobjekt, mit den theologischen das Materialobjekt, auf Grund dessen sie mit Recht genannt wird: philosophische Wissenschaft eines Theologen.

Daß ich die Apologetik als Teil der Moral, speziell der Tugendlehre, hingestellt habe, das ist eine mir unerklärliche Behauptung Webers. Ich habe im ersten Teil der Apologetik den Begriff Religion im engeren Sinne, nämlich als moralische Tugend gefaßt. Weber leitet daraus ab, ich habe die Apologetik als Teil der Moral, speziell der Tugendlehre, hingestellt; er verwechselt hier offenbar die Begriffe Religion und Apologetik.

Ich glaube hiermit dargelegt zu haben, daß die Bemerkungen Webers bezüglich meiner Auffassung des Begriffes der Apologetik nicht gerechtfertigt sind.

LITERARISCHE BESPRECHUNGEN.

1. Dr. Philipp Kneib: Die,,Jenseitsmoral" im Kampfe um ihre Grundlagen. gr. 8° (VIII u. 282) Freiburg, Herder. 1906.

Es ist bekannt, welch heftige Angriffe in der neuen und neuesten Zeit die christliche Ethik von seiten des modernen Unglaubens erfahren muß. Philosophen und Naturforscher, Politiker und Nationalökonomen, Juristen, Statistiker usw. erheben eine Unzahl der schwersten Bedenken gegen die christliche Ethik, welche auf dem metaphysischen Boden des Theismus stehend aus Gott ihre Autorität und bindende Macht herleitet und den Menschen wiederum zu Gott führen will. Alle diese Gegner haben sich in letzter Zeit in der modernen ethischen Bewegung zu einer mächtigen Partei vereinigt und arbeiten mit vermehrter Kraft darauf hin, eine von jeder Religion und Metaphysik unabhängige Sittenlehre auszubilden und zu verbreiten. Reine Diesseitsmoral" ist es, welche diese Richtung im Gegensatze zur christlichen Jenseitsmoral" im Auge hat

Der hochw. Vf. hat sich daher in dem vorliegenden Buche einer sehr verdienstlichen und überaus zeitgemäßen Aufgabe unterzogen, nâmlich den Wert dieser gegnerischen Bedenken zu prüfen und zugleich den positiven Gehalt der christlichen Sittenlehre in seiner Vorzüglichkeit und Überlegenheit hervorzuheben. Da der hochw. Vf. mit vollem Recht das neue Moment in der Polemik der Diesseitsmoral gegen die Jenseitsmoral namentlich in der scharfen Hervorhebung von prinzipiellen Bedenken gegen die Berechtigung der Verbindung von Glauben und Sittenlehre erblickt, so mußte es sich ihm vor allem darum handeln, das Verhältnis der Sittenlehre zum Gottes- und Jenseitsglauben eingehend zu untersuchen. Dieser Aufgabe sind denn auch die beiden ersten, 189 Seiten umfassenden Abschnitte gewidmet. Wohl sämtliche wichtigeren Bedenken der Gegner finden hier ihre Berücksichtigung Besonders einzelne für die Gegenwart sehr wichtige Abschnitte, wie z. B. die Frage nach der Autonomie oder Heteronomie in der Moral, dem Verhältnis der christlichen Ethik zur heutigen Kultur, dem Zusammenhang zwischen den sittlichen Aufgaben und dem natürlichen Streben nach Glück u. v. a. sind sehr eingehend und klar entwickelt. Der dritte Abschnitt behandelt sodaun die Schwierigkeiten, die gegen die Sittenlehre der Hl. Schrift erhoben werden, der letzte endlich untersucht den Wert der religiösen Antriebe zur Sittlichkeit.

Das Buch ist weniger für die Moralphilosophen von Fach als vielmehr für die weiteren Kreise der Gebildeten geschrieben. Und diesen Zweck dürfte es wohl bei seiner Reichhaltigkeit, vielseitigen Beleuchtung der betr. Fragen, klaren und faßlichen Darstellung vollständig erreichen. Nur hätten wir gewünscht, daß der hochw. Vf. bei der Widerlegung der gegnerischen Schwierigkeiten mehr die Sache selbst entwickelt und sich im Gebrauche von Belegstellen aus anderen katholischen Werken größere Beschränkung auferlegt hätte. Ebenso würde eine systematische Gruppierung der Schwierigkeiten auf S. 239–259 unter scharfer Hervorhebung der springenden Punkte viel zur Klarheit beitragen und die Gefahr einer Ermüdung beseitigen, die sich bei der Lektüre so zahlreicher, ununterbrochen aneinandergereihter Zitate zu leicht einstellt.

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