Page images
PDF
EPUB

Strabonem Appellat Paetum pater: et Pullum, male parvus Si cui filius est:

So nennt auch P. den Wirrwarr widersprechender Systeme der neueren Philosophie die „,Vielstimmigkeit" ernstlicher, der Wahrheit entgegenstrebender, konzentrisch auf sie gerichteter Systeme. Leider ist von einem Erfolge bis jetzt nichts zu verspüren. Man braucht nur Namen wie Hartmann, Nietzsche u. a. zu nennen, um zu wissen, wie es mit der Annäherung an die Erkenntnis der Wahrheit, die doch nur eine sein kann, sich verhält.

Fragen wir nun zum Schlusse mit P. nach den Aussichten für die Zukunft, ob der Sieg Kant oder Thomas zufallen wird, so antworten wir ganz einfach, zweifellos jenen, die in der Philosophie eine Wissenschaft mit evidenten Prinzipien und beweisbaren Thesen anerkennen, nicht aber jenen, denen die Philosophie nach subjektiven, wechselnden Bedürfnissen sich richtende Weltanschauung ist. Wo, wie im Protestantismus, der Subjektivismus Prinzip ist, wird die Philosophie ewig sich dazu verurteilt sehen, statt Wissenschaft zu sein, den Tummelplatz widerstreitender Meinungen, die sie „Weltanschauungen“ nennt, zu bilden.

Inwiefern Kant der Philosoph des Protestantismus ist, sagt uns deutlich Kaftan in der angeführten Schrift: „Nicht durch das Welterkennen führt der Weg zur Gotteserkenntnis, sondern durch die innere sittliche Erfahrung, in der wir Personen werden (!). Anders ausgedrückt: nur ein Glaube führt zu Gott und seiner Erkenntnis, d. h. ein aus den inneren Motiven des persönlichen Lebens entspringendes, immer wieder die Welt überwindendes Erkennen" (S. 32).

Es ist kaum notwendig, zu bemerken, daß der Glaube im Sinne Luthers etwas ganz anderes ist als der moralische Vernunftglaube Kants: die Ähnlichkeit reduziert sich auf den gemeinsamen Subjektivismus. Der Gewinn aber, den der Protestantismus aus der philosophischen Begründung durch Kant zu schöpfen vermag, ist ein höchst zweifelhafter und bedenklicher; denn die von Kaftan betonte sittliche Erfahrung spielt bei Kant eine Rolle, die geeignet ist, die Gottheit selbst vom Throne zu stürzen und an ihre Stelle die sittliche Weltordnung zu setzen, was bekanntlich von Fichte geschehen ist.

[ocr errors]

K. scheint kein Bewußtsein davon zu haben, wie gefährlich die Kantsche Stütze für den Protestantismus sich erweist. Kants Philosophie hat an sich etwas Unfertiges und Vieldeutiges, was auch tatsächlich zu einer nach entgegengesetzten Richtungen auseinanderstrebenden Entwicklung der von Kant abhängigen Philosophie führte, wie schon oben gezeigt wurde. Indem diese Philosophie als die dem „großen Kultursysteme des Protestantismus“ entsprechende erklärt wird (S. 33), wird der katholischerseits gegen den Protestantismus erhobene Vorwurf bestätigt, daß sein Prinzip einer schrankenlosen Willkür Tür und Tor öffne, so daß die Gleichheit der Schicksale des Protestantismus und des Kantianismus ihre Verbindung auch von dieser Seite rechtfertigt, eine Verbindung, die aber keineswegs dem einen wie dem anderen zum Vorteil und zur Empfehlung gereicht.

K. räumt ein, daß die verschiedensten Systeme von Kant ihren Ausgang nahmen, meint aber, es sei in falscher Richtung geschehen, weil sie die Richtpunkte falsch gewählt hätten (S. 7). Darauf läßt sich kurz sagen: nicht falsch haben sie die Richtpunkte, sondern sie haben falsche, aber von Kant selbst vorgezeichnete Richtpunkte gewählt. Ist also, wie Kaftan selbst erklärt, das in Hegel zum Abschluß gelangte Unternehmen eine große Täuschung" gewesen, so hat Kant zu ihr geführt, indem er das gesamte menschliche Erkennen als durch das X, das unbekannte und unerkennbare Ding an sich aus dem Subjekt herausgesponnene Erscheinung, also die Welt-für-uns- und eine andere gibt es eben nicht für uns als das Geschöpf des Menschengeistes erklärte. War es also nicht konsequent von Fichte, den Menschengeist dem „Absoluten" gleichzusetzen? Das Losungswort: Zurück zu Kant würde, wie K. selbst mit merkwürdiger Selbsttäuschung konstatiert, nur zur Wiederholung des Auflösungsprozesses führen, „,bis die Menschheit gelernt, was ihr zu sagen Kant gesandt war“. Arme Menschheit, die Jahrhunderte vergeblich sich abmühen muß, um endlich den großen Kant zu verstehen!

Kaftan unterscheidet drei philosophische Typen, Platon, Aristoteles und Kant, die mit den großen religiösen Gebilden, der griechischen und römischen Kirche und dem Protestantismus, von ihm parallel gesetzt werden. Obgleich dergleichen Schematismen, wie auch die Kantschen Schemata, ihre Bedenken haben, so wollen wir uns die Parallele

Aristoteles oder richtiger Thomas und Katholizismus einerseits und Kant Protestantismus anderseits gefallen lassen, müssen aber zugleich erinnern, daß Aristoteles und damit auch Thomas von Aquin eine aufsteigende Entwicklung zum Abschluß gebracht haben, während Kant eine abwärts gerichtete, immer tiefer in Irrtum führende eingeleitet und verursacht hat.

In dem allgemeinen Sinne, daß beide im Subjekte Wurzel fassen, kann Kant als der Philosoph des Protestantismus in Anspruch genommen werden; achtet man aber speziell auf den pseudomystischen und theosophischen Charakter, den derselbe in der von Luther ausgeprägten Gestalt besitzt, so kann mit mehr Recht Jakob Böhme als solcher trotz des Widerspruches, dem dieser auf seiten des lutherischen Orthodoxismus begegnete, bezeichnet werden. Diese Richtung hat Kant energisch von sich gewiesen.

Der Weg, den Aristoteles gewiesen, soll nur immer geradeaus gehen, also nicht zu Gott führen, meint der Anwalt Kants, in dem häufigen Vorurteil befangen, das den griechischen Philosophen zu einem Vertreter des Empirismus stempelt. Aristoteles hat im Gegenteil mit Platon den Intellektualismus gemein, der sich der Vernunftprinzipien der intelligiblen Ordnung als der Flügel bedient, die ihn zur Gottheit führen, ohne deshalb mit Platon die empirische Grundlage in ihrer Bedeutung für die Erkenntnis zu verkennen. Dagegen hat sich Kant diesen Weg durch die Annahme versperrt, daß das Intelligible auf subjektive Formen sich reduziere.

Wenn,,Selbstbesinnung" als der Platon und Kant gemeinsame Weg erklärt wird (S. 17), indes sie sich darin unterscheiden sollen, daß Platon diesen Weg näher als den des Erkennens, Kant als den des Wollens bestimmt, so liegt darin, obgleich eine Verwandtschaft in der Grundrichtung der genannten Denker nicht zu bestreiten ist, doch ein Mißverständnis des wahren Sinnes Platons, der die Objektivität unseres intellektuellen Erkennens entschieden lehrt, während sie Kant ebenso entschieden verwirft.

Daß der von Kant eingeschlagene Weg der „,sittlichen" Erfahrung" (S. 21) in der Kantschen Auffassung nicht zum Ziele führt, wurde bereits gezeigt; denn derselbe darf ohne Widerspruch mit den Grundsätzen des Kritizismus nicht als Beweis geltend gemacht werden, sondern ist bloßes

Postulat. Wer wie Fichte der Ansicht ist, daß die sittliche Ordnung der Glaubensstütze nicht bedürfe, wird auf Gott und Unsterblichkeit verzichten. Daher der Protest des Glaubensphilosophen Jacobi, der an die Stelle des gebrechlichen moralischen Glaubens Kants die unmittelbare Gewißheit von Gott im Gefühle setzte und so wieder in theosophische Bahnen einlenkte. Also auf der einen Seite Leugnung eines persönlichen Gottes Pantheismus und Atheismus, auf der anderen Theosophie und Mystizismus: das ist die Verwirrung, die der „Philosoph des Protestantismus" angerichtet. Außerdem aber können sich auf ihn auch Fries, Herbart und Schopenhauer, ja selbst die Materialisten mit ihrer mechanischen Erklärung der Organismen berufen; denn die teleologische Betrachtungsweise ist der Kritik der Urteilskraft zufolge doch nur eine subjektiv berechtigte; wissenschaftlich sei nur die Erklärung aus mechanischen Prinzipien.

Kaftan betont auf der einen Seite in Aristoteles den Heiden und Griechen, in Kant den Christen und Deutschen. Die inter- und übernationale Bedeutung der Wissenschaft ist hier ganz verkannt. Gerade die griechische Kultur hat für uns ihren Wert dadurch, daß sie am vollkommensten das rein Menschliche zum Ausdruck bringt. Aber auch das religiöse und konfessionelle Moment in der Wissenschaft hervorzukehren, ist unzulässig. Mit Recht hat man gesagt, es könne zwar von einer christlichen Philosophie gesprochen werden, jedoch nur in dem Sinne, daß das wahrhaft Vernünftige, Vernunftgemäße auch christlich sei; denn das Christentum hebt die Vernunft nicht auf, sondern vervollkommnet sie.

Indem man Kant als den Philosophen des Protestantismus feiert, gibt man den Anspruch auf Universalität, auf allgemeine Gültigkeit, die vom Begriffe der Wissenschaft unzertrennlich ist, und somit den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit preis.

Wohin die „Philosophie des Protestantismus“ führt, zeigt neuerdings wieder Dr. R. Falckenberg in dem Hilfsbuch der Geschichte der Philosophie seit Kant (Leipzig 1907). Es ist ein mit verhängnisvoller Beschleunigung stetig nach abwärts führender Prozeß, der vorläufig mit Hartmann und Nietzsche seinen Abschluß gefunden. Die Schrift ist dem Vorwort zufolge aus Vorlesungen entstanden und beschränkt sich auf die deutsche

Philosophie, „da bei den Lehren eines Comte, Mill, Spencer usw. eine noch kürzere Fassung", als sie der Vf. im „Grundriß“ gegeben, „nur auf Kosten der Verständlichkeit möglich schien".

Die Darstellung beginnt mit der Aufklärung, die eklektisch verfuhr und die Psychologie bevorzugte. Lessing zufolge ist die Vernunftreligion nicht Anfangs-, sondern Endpunkt einer langen Entwicklung. Entgegen der Aufklärung begründet Hamann die Gefühlsphilosophie, die Herder und Jacobi weiterführen, der letztere, indem er den Verstand als ein lediglich verbindendes Organ erklärte, dem äußere und innere Erfahrung in Sinnlichkeit und Gefühl den Inhalt liefern. Die Grundfrage Kants ist bezüglich Mathematik und Physik, wie synthetische Urteile a priori, bezüglich der Metaphysik, ob solche möglich seien (S. 7).

Als der höchste Punkt, den Kant erreichte, wird das reine Selbstbewußtsein bezeichnet, von dem dann Fichte ausging, als der „Urtat des Geistes", um von da aus synthetisch das System der reinen Verstandeshandlungen zu entwickeln (S. 14).

Wir können in diesem höchsten Punkt nur den verhängnisvollen Schritt erkennen, durch den Kant seine Nachfolger dazu verleitete, das Allgemeine zu hypostasieren, anstatt es mit Aristoteles und Thomas als ein Sekundäres zu betrachten, das seinen Ursprung der dem Verstande, als einem geistigen Vermögen eignenden Abstraktionskraft verdankt.

An Kants Ethik hat der Vf. das einseitige Dringen auf absolute Lauterkeit des Motivs auszusetzen; man könne etwas mit Neigung tun, ohne es aus Neigung zu tun (S. 24).

Die Religionsphilosophie Kants bezeichne den Wendepunkt von dem abstrakten Rationalismus der Aufklärung zu dem spekulativen Rationalismus des 19. Jahrhunderts, sie sei die Brücke vom Deismus zu Hegel (S. 28).

Von Fichte heißt es (S. 35), er habe nicht zwei Systeme gelehrt; schon die ältere Lehre war pantheistisch und die spätere bleibt idealistisch.

Die erste Phase der Schellingschen Philosophie, die Naturphilosophie verdiene nicht den Spott, mit dem man sie zu überschütten beliebe; die Einheit der Natur, ein durchgreifendes Entwicklungsgesetz, die mannigfaltigsten

« PreviousContinue »