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reiche gewesen ist. Aber dabei werden wir zugleich auch die Ueberzeugung gewonnen haben, daß er auch in seinen Kämpfen als ein edler Charakter dasteht, der es eben so sehr für seine Pflicht hielt, das Recht mit männlicher Entschiedenheit zu vertheidigen, als er das Unrecht mit christlicher Selbstverleugnung zu ertragen wußte. Wir glauben daher diesen Abschnitt nicht besser schließen zu können, als mit dem Worte der Schrift, das gewiß auch an ihm zur Wahrheit geworden ist (Jac. 1, 12.): „Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er bewähret ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn lieb haben."

Fünfter Abschnitt.

Die anbrechende Reformation.

Das Leben Johannes VI. war in eine tief bewegte Zeit gefallen, in jene große Zeit, die einen der wichtigsten Wendepunkte, eine der wichtigsten Uebergangsperioden bildet in der Geschichte der abendländischen Christenheit. Auf der einen Seite das mittelalterliche Kirchenthum, das in seinen Grundvesten zu wanken anfing und aus den Fugen zu gehen drohte, auf der andern Seite ein Gähren, Wogen und Ringen der Geister, aus dem eine Neugestaltung der Kirche hervorgehen sollte. Dazu kam, daß auch auf dem Gebiete des staatlichen Lebens sich mancherlei Veränderungen vorbereiteten und die weltliche Macht bereits ein bedeutendes Uebergewicht über die Kirche erlangt hatte. Mitten in diese Zeit hinein war sein Leben gestellt. Im Hinblick auf die hohe kirchliche Würde, die er bekleidet, dürfte darum der Wunsch nur zu nahe liegen, darüber etwas Näheres zu erfahren, welche Stellung er dieser seiner Zeit gegenüber eingenommen? Und wenn wir nun auch glauben, daß schon das Bisherige nicht unwesentliche Beiträge geliefert haben dürfte zur Beantwortung dieser Frage, so erscheint es uns doch der Vollständigkeit wegen nothwendig, daß wir derselben noch eine besondere Besprechung widmen. Dabei wird es freilich nicht zu umgehen sein, daß wir Manches nochmals kurz berühren müssen, was bereits erwähnt worden ist, wir werden aber auch noch manches Neue hinzuzufügen haben, um damit zugleich das Bild, das wir zu zeichnen versucht, zu vollenden und unsere Darstellung zum Abschluß zu bringen.

Richten wir unsern Blick zuerst auf die Geistlichkeit jener Zeit, so ist es bekannt genug, wie dieselbe damals beschaffen war, als

daß wir nöthig hätten, uns des Weiteren hierüber auszulassen. Die Jahrbücher jener Zeit sind voll von Nachrichten über das liederliche und scandalöse Leben, welches damals die Geistlichen führten, und man darf nur lesen, was Erasmus von Rotterdam darüber berichtet, der doch gewiß ein unparteiischer Zeuge ist, um sich einen Begriff zu machen, wie groß damals die Sittenverderbniß unter ihnen war, gar nicht zu gedenken der groben Unwissenheit, die unter ihnen herrschte1). Mußte doch bald nach dem Beginn der Reformation selbst der Papst Hadrian VI. in einem Briefe an Erasmus bekennen, daß die Kirche die Strafe Gottes verdient habe ganz besonders wegen der schrecklichen Sünden der Geistlichen 2). So hatte aber auch Johannes VI. ein offenes Auge für diesen Krebsschaden, an welchem damals die Kirche litt, und sein ernstes, christliches Gemüth trauerte tief über das große Aergerniß, welches diejenigen gaben, welche Vorbilder der Heerde sein sollten. So oft ihm daher Gelegenheit dazu gegeben war, sprach er sich nicht nur offen und freimüthig darüber aus, sondern es war auch sein ernstestes Bestreben, so weit es in seiner Macht und in seinen Kräften stand, und wenn es nöthig war, auch mit Anwendung von Strenge, dem ärgerlichen Leben der Geistlichen zu steuern, wie wir dies oben an verschiedenen Beispielen gesehen haben und wie dies besonders auch die hierher gehörigen Bestimmungen seiner Statuta synodalia beweisen. Insbesondere war er kein Freund der Mönche, die an denselben Verderbnissen litten, wie die Geistlichen, und die ihm, dem rastlos thätigen Manne, noch obendrein wegen ihres müßigen Lebens, das sie größtentheils führten, widerwärtig waren3). Namentlich war er kein Freund der Bettelmönche, die damals eine wahre Landplage für die Gemeinden waren

1) Erasmus fagt geradezu: Nunc mundus scatet plurimis ac malis sacerdotibus. S. Löscher a. a. D. Theil 1. S. 113. Außerdem noch: Ullmann's Reformatoren vor der Reformation. Hamburg 1841. Bd. 1. S. 198 ff.

2) Propter gravissima hominum scelera, maxime ecclesiasticorum. S. Löscher ebendaselbst.

3) Selbst Tumulte und blutige Auftritte kamen in den Klöstern vor. So hätten im Jahre 1488 die Mönche des Klosters Altenzelle beinahe ihren Abt getödtet, wenn nicht der Meißner Domherr von Heyniß zufällig dazu gekommen wäre und denselben ihren Händen mit Waffengewalt entrissen hätte, wobei er übrigens fünf Mönche verwundete. S. Fabricius 1. c. p. 163.

und deren Umherziehen und Hausiren mit Heiligenbildern und dergleichen Dingen er ebenfalls gern Einhalt gethan hätte, wenn es nach seinem Willen allein gegangen wäre. Deshalb soll er, so oft er einen Mönch gesehen, gesagt haben: „Es giebt doch kein häßlicheres Geschöpf, als das aus einer Kutte heraussieht," und Fabricius erzählt, es sei ihm von glaubwürdigen Leuten versichert worden, daß an seinem Tische niemals ein Mönch gesehen worden sei1). Ja, wie es scheint, war er überhaupt kein Freund des Klosterwesens und er hatte eine lebendige Ahnung davon, daß dasselbe bald einen gewaltigen Stoß bekommen werde. Denn als Herzog Georg zwei neue Klöster errichten ließ, das eine in Annaberg und das andere auf dem Königstein, und deshalb seine Meinung begehrte, da soll er zu ihm gesagt haben, sie würden wahrscheinlich beide keinen langen Bestand haben, jenes nicht wenig des Rauches von den Schmelzhütten, dieses nicht wegen der Hussitischen Luft von Böhmen herüber 2). Er hatte dies zwar nur im Scherze gesagt, aber wie wahr hatte er vorausgesehen und vorausgesagt! Denn wirklich mußte Herzog Georg noch bei seinem Leben die Erfahrung machen, daß das Kloster auf dem Königstein von seinen Bewohnern verlassen wurde.

Nicht anders und besser, wie um die Geistlichkeit, sah es damals um den Gottesdienst aus, und es ist dies ebenfalls zu bekannt, als daß wir nöthig hätten, hier ausführlicher davon zu reden. Die Predigt des Evangeliums von der Gnade Gottes in Christo war in den Kirchen verstummt und wo noch geprediget wurde, da wurden dem Volke nur Heiligenlegenden, oftmals die wunderlichsten und abgeschmacktesten, erzählt3), während im übrigen der Gottesdienst nichts war, als eine äußerliche Werkthuerei, die den Geist einer innerlichen

1) Ebendaselbst p. 173: Cum monachum videret, dicebat, nullum animal audacius esse eo, quod e cucullo prospiceret. In ejus mensa nullum esse monachum visum, non leves homines mihi affirmarunt.

2) Ebendaselbst: Ejus temporibus Dux Georgius coenobium in Annaebergo et aliud in rupe regia, altissima ad Albim specula, fundabat, de quibus cum forte praesulem rogaret sententiam, ei respondit, illud vix duraturum propter fumum e coctione metallorum, hoc vero propter auram Bohemicam Hussiticam brevi interiturum.

3) S. Marheinecke, Geschichte der teutschen Reformation. Berlin 1831. Theil 1. S. 7.

Frömmigkeit weder zu wecken noch zu nähren im Stande war und überdies die Leute in einem falschen Vertrauen bestärkte. Wie hätte aber ein solcher Gottesdienst einen Mann wie Johannes VI. befriedigen können, dem das Christenthum mehr war, als ein leeres Formelwesen, und wie hätte ihn, der ein so wohlwollendes Herz für Andere hatte, das arme Volk nicht dauern sollen, daß es sich mit einem solchen Gottesdienste begnügen mußte, der wohl dem Aberglauben, aber nicht dem Glauben Nahrung gab? Es war daher ganz natürlich, daß er über die vielen Meßgottesdienste, die damals zu so beträchtlicher Höhe gestiegen waren, nicht anders urtheilen konnte, als wie wir dies oben mitgetheilt haben. Und daher kam es eben auch, daß eine seiner wichtigsten Sorgen die Verbesserung und Herausgabe der liturgischen Bücher war, wobei es ihm hauptsächlich auch darum mit zu thun war, den Mittelpunkt des christlichen Glaubens wieder in den Vordergrund zu stellen, während wir gesehen haben, wie er auch außerdem nicht unterließ, bei vorkommender Gelegenheit darauf hinzuweisen, daß das gottesdienstliche Werk an sich keinen Werth habe, sondern nur, sofern es Ausfluß einer christlichen Gesinnung sei oder zur Stärkung und Unterhaltung einer solchen Gesinnung gethan werde. Aus demselben Grunde und um der mancherlei abergläubischen Gebräuche willen, die damit verbunden waren, hatte er auch keinen Gefallen an dem Weihen der Kirchen und Altäre. So oft daher Kirchen oder Altäre zu weihen waren, was zu den bischöflichen Prärogativen gehörte, schob er entweder solche Acte so lange als möglich hinaus1) oder er übertrug sie Anderen, wie wir denn z. B. wissen, daß er auch die Kirche des heiligen Grabes in Görlig, die in den Jahren 1481 bis 1489 erbaut worden war, nicht selbst geweiht, sondern die Weihe derselben im Jahre 1504 durch den Bischof von Waradein hat vollziehen lassen 2). Und diese seine Abneigung gegen das Weihen oder vielmehr gegen die damalige Art des Weihen's der Kirchen giebt auch Sinz als Grund an, warum in der von ihm erbauten Kirche in der Stadt Mügeln nicht das Mindeste von bischöfe

1) Fabricius 1. c.: Dedicationem quorundam templorum aut dissuasit aut quoad potuit, distulit, cum videret ultra modum superstitiones venales

crescere.

2) S. Neumann's Geschichte von Görliz. S. 664.

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