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Böse wollen müsse und die guten Handlungen unserer Anstrengung nicht zugeschrieben werden können. Die Entfernung der neuen Lehre von dem Pelagianismus wird übrigens auch in diesem Gedichte anerkannt, und in mehrern Stellen desselben wird den Semipelagianern die Meinung zugeschrieben, daß Adam unsterblich geschaffen worden, und daß die gegenwärtige körperliche Beschaffenheit des Menschen eine Folge der Strafe Adam's sey (in prolem de vulnere vulnus transiit per corpoream conditionem).

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„Sie scheinen mit den Pelagianern nicht übereinzustimmen, wenn sie behaupten, daß der Tod durch den einzigen ersten Menschen verpflanzt sey, dessen. Verbrechen alle befleckt habe (cuius crimen resperserit omnes), und es werde Niemand in's ewige Leben (vitam aeternam) kommen, der nicht durch die Laufe (fonte) wiedergeboren sey, und daß die schuldigen Kleinen (infantes reos) durch dieses Geschenk befreiet würden, welche der erste Ursprung allgemein zum Lode hervorbringe (quos prima ad mortem generaliter edat origo). Aber mit den Verdammten denken sie übereinstimmend, und sie tragen verdammte Lehren vor, wenn sie behaupten, daß den Seelen durch die ursprüngliche Wunde (per vulnus avitum) nichts von ihrer Zierde entzogen sey, und daß alle nun mit einem solchen Glanze geboren werden, als er vor dem Verderben Statt fand (splendoremque omnibus illum Nunc talem innasci, qualis fuit ante ruinam). Daher könne die Freiheit des Willens durch das gesunde Auge des Herzens unterscheiden, was zu thun recht sey. Und nicht allein zu den Vortheilen des gegenwärtigen Lebens genüge der scharfsinnige Geist (solers ingenium), damit er sich schüße und schmücke (quo se tueatur et ornet); sondern der Verstand (mens) sey auch fähig, das Höchste und die ewigen Güter zu fassen, und aus eigener Kraft sich zu dem Himmlischen hinaufzuschwingen (sponte ad coelestia ferri), und durch den Weg, den er selbst gebahnt habe, zu Christo zu kommen. Daher könne der Mensch, welcher durch viele Gewöhnung zum Rechten fest geworden sey, den Widerwärtigkeiten (adversis) widerstehen, und den Strafen nicht nachgeben, welche der Feind durch das Fleisch herzugeführt

habe, um die Seele zu überwinden, wenn die Hülfe Gots tes sich entfernt, welcher passend und nüßlich (apte utiliterque) die Seinigen verlasse, damit sie aus dem Streite des Kampfes die erstrebten Palmen (quaesitas palmas) davon tragen. So verschwänden nicht die Verdienste der Frommen, und sie würden nicht beraubt der Ehre des wahren Lobes, welches geschehe, wenn die Hand der göttlichen Hülfe in ihnen das wirke, daß sie die Stimme der Natur hören oder nicht hören wollen, und daß sie beobachten, was durch Gesetzesvorschriften ihnen aufgegeben ist. Gleichsam als wenn es bloß der Diener Christi würdig sey, der Tugend zu entbehren, und sie nicht könnten die guten Sitten sich aneignen, welche häufig auch diejenigen hätten, welche Gößenbilder verehren."

Daß der wahre Semipelagianismus durch diese poeti= sche Einkleidung, bei der noch dazu ein polemisches Interesse vorwaltete, vielfältig entstellt worden sey, ergiebt sich leicht. Doch läßt sich nach der bisher gegebenen, den Quellen gemäßen Darstellung das semipelagianische Element leicht herausfinden, so wie die Auseinandersetzung des cafsianischen Lehrbegriffs über manche Dunkelheit in demjenigen, was Prosper als neue Lehre angiebt, Licht verbreitet. So bezieht sich das, was Prosper über die Nüßlichkeit der Entfernung der Hülfe Gottes anführt, unstreitig auf die von Cassian gegebene Erklärung jener Stelle des Buches Hiob. Wenn Prosper die Semipelagianer annehmen läßt, daß das Verderben sich nicht auf die Seelen der Nachkommen Adam's beziehe, und dagegen bemerkt, daß das Verderben zuerst in der Seele den Anfang genommen habe, und dann erst in den Körper übergegangen sey, so war es wohl nicht, selbst nach Prosper's Annahme, die Meinung der Semipelagianer, daß die Seele durch den Fall Adam's gar nicht gelitten habe, und es ist das, was von ihrem gegenwärtigen Glanze gesagt wird und von der Fähigkeit des Geistes, das Höchste zu fassen, nur von dem Erkenntnißvermögen des Menschen zu verstehen.

Nach den angeführten Briefen des Hilarius und Prosper, so wie nach dem Gedichte des leßtern über die Veräche

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ter der Gnade, dürfte sich demnach, sobald die poetische Uebertreibung des prosper'schen Gedichts in Rechnung gebracht wird, die anthropologische Ansicht der erwähnten Semipelagianer auf Folgendes zurückführen lassen.

1. Auch sie nahmen eine Ursünde an, oder eine Sünde, welche alle Menschen, indem Adam sündigte, zugleich mit begangen hätten. Der leibliche Lod und eine sittliche Schwäche ist die Folge dieser Sünde. Prosp. epist. ad Aug. §. 3. Hil. epist. §. 2. Prosp. de Ingratis V. 817 ff.

2. Der Mensch kann aus diesem fündhaften Zustande nicht durch eigene Kraft, sondern nur durch die Gnade Gottes in der Wiedergeburt durch die Laufe gerettet werden. Die Kraft des Menschen reicht nicht hin, ein gutes Werk anzufangen, geschweige es zu vollenden; nicht durch eigene Kraft, kann er die Tugend erlangen. Denn dadurch daß der Kranke geheilt werden will, trägt er noch nichts zu seiner Besserung bei. Prosp. ad Aug. §. 3. Hil. §. 2. 4.

3. Nur diesen Willen ließen sie dem Menschen, und beschränkten die menschliche Freiheit darauf, daß der Mensch das Heilmittel zulassen wolle oder nicht wolle. Keine Natur ist so verderbt oder erstorben, daß sie nicht das Vermögen besiße geheilt werden zu wollen. Wäre in dem Menschen nichts übrig geblieben, was die Ermahnung anzuregen vermöchte, so wäre ja jede Ermahnung überflüssig. In den Worten: erede et salvus eris, wird das Erste von dem Menschen gefordert. Folgt er diesem Rufe, so wird er von seiner Krankheit geheilt; folgt er nicht, so wird er durch dieselbe gestraft. Hil. S. 2. 4. 5.

4. Dadurch wird aber die Gnade nicht geläugnet, denn der Wille selbst vermag nichts hervorzubringen. Zur Ausführung des Guten bedarf es der innern Gnadenwirkun gen, welche jedem guten Werke zuvorkommen. Diese Gnade ist aber nicht unwiderstehlich, sie wirkt mit dem freien Willen des Menschen. Denn von diesem hangt es ab, von ihr abzufallen und ihr ungetreu zu werden. Der augustinische Unterschied zwischen der Gnade, welche dem ersten Menschen widerfuhr, und der, welche jetzt den Prädestinirten zu Theil wird, ist unbegründet. Nur darin unterscheidet sich die

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= Gnade, welche dem ersten Menschen vor dem Falle zu Theil ward, von der, welche jezt den Heiligen widerfährt, daß jene den Menschen, welcher noch mit unverleßter Kraft das Gute wollte, unterstüßte, diese aber den Menschen, dessen Kraft verloren ist, und der nur noch glauben kann, nicht nur, wenn er danieder liegt, aufrichtet, sondern ihn auch, wenn er einhergeht, unterstüßt. LL. cc. und §. 6.

5. Eine durch ein absolutes Decret bestimmte Anzahl von Prädestinirten giebt es nicht. Die Annahme eines solchen von Ewigkeit her gefaßten Rathschlusses Gottes würde den Gefallenen den Eifer, wieder aufzustehen, benehmen, und die Heiligen lau machen. Es giebt aber eine auf Präscienz sich gründende Vorherbestimmung. Gott mächte Einige deshalb zu Gefäßen der Ehre, Andere zu Gefäßen der Unehre, weil er das Ende eines Jeden vorhersah. Er ers wählte diejenigen, von welchen er vor Erschaffung der Welt wußte, daß sie glauben, und freiwillig gerufen der Erwählung würdig seyn, und dieses Leben gut endigen würden. Es wird daher zum Glauben und Handeln Jeder durch die göttlichen Vorschriften aufgefordert, damit Niemand an der Erlangung des ewigen Lebens verzweifle, da es hiebei auf den freiwilligen Glauben ankommt. Das Evangelium wird deshalb an denjenigen Orten und zu der Zeit gepredigt, wo und wann Gott die gläubige Annahme vorhersah. Hil. §. 3. 4. 7. Prosp. epist. §. 3. 8.

6. Die Erlösung Christi ist allgemein, sie erstreckt sich auf alle Menschen, so daß Alle, welche glauben und sich taufen lassen, gerettet werden können. Prosp. epist. §. 3., de Ingratis c. 13. ⠀

Vergleichen wir nun diese von Prosper und Hilarius den semipelagianischen Galliern zugeschriebene Lehre mit der Theorie, zu welcher sich Cassian den von ihm hinterlasfenen Schriften zufolge bekannte, so ist es allerdings auffallend, daß jene nach den Berichten des Prosper und Hilarius einen Hauptpunct der augustinischen Lehre, ein Sündigen und Unglücklichwerden des Menschengeschlechts in Adam, also eine Ursünde, die eine Verschuldung des gans zen menschlichen Geschlechts begründete, annahmen; Cas

flan aber einer Zurechnung der Sünde Adam's oder einer eigentlichen Erbsünde gar nicht erwähnt, wenigstens sie nicht als Dogma aufstellt. Auch erklärte er sich in den von ihm bekannt gewordenen Schriften über die Prädestinationslehre nicht so bestimmt, als es hier geschieht, sondern stellte lettere mehr in den Hintergrund. In den übrigen Puncten herrscht aber eine große Uebereinstimmung. Selbst des Gleichnisses von einem Kranken, welcher geheilt zu werden verlange, dessen sich jene Gallier bedienten, bediente sich ja auch Cassianus Coll. 13, 19. Ueberdem liegt es ja in der Natur der Sache, daß Cassian das, was er in den Collationen schriftlich vortrug, schon vorher mündlich oft gelehrt hatte, und daß solche mündliche Aeußerungen desselben in den Briefen des Prosper und Hilarius mit berücksichtigt werden konnten. Mit seinen in den Collationen aufgestellten Meinungen stimmt ferner das überein, was in den angezogenen Stellen bei'm Prosper und Hilarius von dem Anfange des Glaubens und des guten Willens, und der Beschaffenheit der Gnade, welche zugleich mit dem guten Willen wirke, obgleich auch hier eine genauere Bestimmung des Begriffs der Gnade vermißt wird, gesagt ist.

Uebrigens mußte die Art und Weise der Auffassung der Prädestinationslehre durch die Ansicht von der menschlichen Natur bedingt werden, und mußte daher in Rücksicht des materiellen Gehalts bei den Pelagianern eine andre - seyn, als bei den Semipelagianern. Im pelagianischen Sinne bestimmte Gott diejenigen zur Seligkeit, welche durch die Anwendung ihres freien Willens heilig und unsträflich sind, welches Gott von Ewigkeit vorhersah; bei den Semipelagianern konnte sich die Erwählung nur auf das Vorherwisfen des Anfangs des Glaubens beziehen. Diejenigen, bei denen Gott diesen vorhersah, erwählte er, und sie bes stimmte er von Ewigkeit her, daß sie heilig und unbefleckt feyn, und so der Seligkeit theilhaftig werden sollten. Auguftinus de praed. SS. c. 19.

Außer denen, welche sich zu den angegebenen Lehren bekannten, gab es nun nach Prosper's Bericht Einige, welche sich dem Pelagianismus noch mehr näherten. In Hi

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