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Zwei zu Paris und Karlsruhe befindliche

Handschriften

einer

großen Glossensammlung des 8ten Jahrhunderts.

An v. Arr in S. Gallen.

Herr Professor Lachmann hat in einer Vorbemerkung zu seiner mir gütigst mitgetheilten Abschrift der sogenannten Keronischen Glossen (aus S. Gallen) die Vermuthung aufgestellt, daß diese, zwar Kero's Namen führende, aber nicht von ihm angefertigte, Glosssensammlung aus einem ursprünglich lateinischen Glossar, das mit einer deutschen Interlinearversion versehen war, umgeschrieben sey. Diese Vermuthung ist durch die in Paris von mir im August vorigen Jahres aufgefundene Glossensammlung *) nun bestätigt. Die in der S. Galler Sammlung von einander abgetrennten lateinischen Glossen und Glosseme stehen in der Pariser noch bei einander und die deutschen Erklärungen sind übergeschrieben, so daß durch diese Sammlung das alte Glossar in seiner ursprünglichen Anlage uns aufbewahrt ist, d. h. abschriftlich; denn, daß sie nur eine Ab-, und nicht die Urschrift

*) Herr Gail (conservateur d. 1. bibl. royale, Herausgeber des Xe= nophon 2c.) zu Paris hat im Journal des savans (Oktober 1825) eine vorläufige Nachricht davon gegeben.

selbst sey, zeigen mehrere Wortentstellungen, die sich als Lesefehler des Abschreibenden kund thun.

Dieses Glossar muß in großem Ansehen gestanden haben und sehr verbreitet gewesen seyn, nicht nur als rein lateinischer Commentar, (fast in jeder großen Manuscriptensammlung findet sich eine Abschrift oder Umarbeitung oder ein Auszug desselben vor; anch die glossae Salomonis haben es benutzt), sondern auch mit seiner deutschen Uebersetzung, da außer der S. Galler Handschrift auch eine Wiener Handschrift diese Glossensammlung (gl. Hrabani Mauri) enthält und ich zu diesen nicht nur die hier in Rede stehende Pariser, sondern auch noch eine vierte aus Reichenau herstammende Sammlung in Karlsruhe gefunden, habe. *)

Die S. Galler und Pariser Glossensammlung stimmen, mit Ausnahme der Dialektverschiedenheiten und Schreib- oder Lesefehler, durchaus, selbst in allen Mißdeutungen des Lateinischen, mit einander überein und es ist unbedenklich anzunehmen, daß die deutschen Erklärungen in ihnen nicht für jede besonders angefertigt, sondern einer und derselben Quelle nachgeschrieben find. In der Reichenauer Glossensammlung aber zeigt sich, außer der Verschiedenheit einzelner Wörter, die sich aus der abweichenden Mundart des Abschreibers erklären läßt, an mehreren Stellen eine eigenthümliche, und bisweilen richtigere, Auffassung des Tertes, so daß man zwar, weil sie mit den andern beiden im Ganzen, und selbst in einzelnen Mißdeutungen**), übereinstimmt,

*) Auch in München befindet sich ein kleiner mit den gl. Hrab. fast ganz übereinstimmender Theil dieses Glossars (aus dem Buchstaben I) auf einem Pergamentblatte, das dem cod. E. 52. (aus Emmeram) beiliegt. **) 3. B. alle 3 erkennen in der Glosse angor nicht das Verbum, in cohorta nicht coorta, in buccula nicht bucula, nehmen adamans (st. adamas) für partic. von adamare, acervus (obgleich cumulus dabei

nicht geradezu einer andern Quelle sie zuweisen darf, aber doch eine selbstständigere Arbeit darin erkennt. (Die Wiener Handschrift, die sogenannte hrabanische in Ekkard's francia orient. abgedruckte Glossensammlung, ist eine von diesen 3 Handschriften unabhängige Uebersetzung, die zwar nicht so lächerliche Mißverständnisse, wie diese, aber bei weitem weniger und zum Theil versezte oder zerstückelte Glossen enthålt.)

Das hohe Alter dieser S. Galler, Pariser und Reichenauer Glofsensammlungen und ihr Reichthum an unbekannten oder seltenen Wörtern und Wortbildungen reihen sie zu den wichtigsten und belehrendsten Denkmålern der altdeutschen Sprache. Doch würde der Werth jeder einzelnen, eben der vielen unbekannten und seltenen Wörter wegen, noch mehr aber durch die Entstellung sowohl des Lateinischen als Deutschen sehr bedingt seyn. Glücklicher Weise aber liegen uns nun 3 Handschriften vor, die sich unter einander bestätigen oder aufklären oder berichtigen und nicht nur eine reiche, sondern auch sichere Belehrung uns gewähren, zugleich aber auch interessante Aufschlüsse über die Abweichungen des hochdeutschen Dialekts darbieten. Außerdem aber enthält auch jede dieser Sammlungen eine Menge Glossen, die den beiden andern fehlen.

Die Herausgabe der S. Galler Handschrift haben wir von H. v. Arr oder von H. Füglistaller zu erwarten; die Pariser*)

steht) für acerbus, africus für a frigore, astrologus für austrilocus, amentia für amantia, caus (statt chaos) für causa, sehen die lezte Silbe in animaequis für das pron. quis an, übersehen vaccula durch thuuahal, fama durch hungar etc.

*) cod. 7640. In Folio. Pergament. Die ersten 123 Blåtter enthalten lateinische Glossen nach dem Alphabet; auf den legten Blåttern (124133) steht das hier abgedruckte lateinisch - deutsche Glossar, des= sen deutsche Glossen den lateinischen übergeschrieben sind. Es bricht im Buchstaben I ab. Jede Seite ist in 3 Columnen beschrieben.

und Reichenauer*) werden jezt auf diesen Blättern mitgetheilt, jene mit P. a., diese mit R. a. bezeichner**).

Um theils eine unnüße Wiederholung derselben Wörter zu vermeiden, theils die Verschiedenheit beider Bearbeitüngen unmittelbar vor Augen zu legen, habe ich beide Glossare auf folgende Weise in 2 Columnen nebeneinandergestellt. Die linke Columne enthält nach der Reihe die Pariser Glossen, lateinisch und deutsch; die rechte nur das Deutsche der Reichenauer Sammlung. Stimmt die Uebersetzung in beiden, jedem einzelnen Buchstaben nach, überein, so habe ich dieses in R. a. durch einen bezeichnet; ist sie aber, auch nur in einem Buchstaben, verschieden, so steht das deutsche Wort in beiden Columnen. Wo den Pariser Glossen in R. a. nichts gegenübersteht, da fehlt im Reichenauer Coder entweder die ganze Gloffe oder die deutsche Uebersetzung. Fehlt hingegen der Pariser Sammlung eine Glosse, die in der Reichenauer steht, so ist die linke Columne leer gelassen. Findet sich in der Reichenauer Sammlung die Pariser Glosse an einem andern Orte, so ist sie dieser nicht gegenübergestellt, sondern an ihrer Stelle gelassen, und, wenn es nöthig schien, eine Hinweisung beigefügt. Hiedurch habe ich bei dieser Zusammenstellung beider Sammlungen die Eigenthümlichkeit jeder

*) cod. 111 der Reichenauer Bibl.; jezt cod. 185 der Carlsruher Bibl. In Folio. Pergament. Voran stehen Isidorische Gloffen zur Bibel, proverbia Euagri, epistola S. Augustini de elemosyna, epist. Eucherii (lat. Gloffen), Eucherii interrogationes, liber Juliini (auch Fragen und Antworten). Darauf folgen diese Glossen, von denen ich nur die mit deutscher Erklärung begleiteten abgeschrieben habe, in 2 Columnen auf jeder Seite. Den Schluß des Coder macht eine Vision und sodann ein exhortatio, welche auch deutsche Glossen enthält, die ich am Ende dieses Glossars in einem Anhange mittheilen werde. **) um sie von den andern Gloffensammlungen, die ich in Paris und in der, ehemaligen Reichenauer Bibliothek zu Carlsruhe gefunden habe, zu unterscheiden.

einzelnen bewahren wollen. åndert, auch nicht den offenbarsten Schreibfehler (z. B. fan für ofan, decalihida für daca-), selbst die in der Handschrift verbesserten Fehler habe ich neben der Verbesserung stehen gelassen, sobald irgend etwas Belehrendes darin seyn konnte, z. B. auf. S.139 das in pigezzenti unterpunktirte e; im Lateinischen aber, da es für beide Sammlungen gelten soll, durchaus unverkennbare Schreibfehler berichtigt (z. B. locus in lucis, adfiuerat in adfeuerat, conpetans in conpetens, aliquantis. per aliquamdiu in aliquantisper. aliquamdiu etc.) Doch bin ich hiebei mit solcher Vorsicht zu Werke gegangen, daß ich selbst ganz entschiedene Sprachfehler unverändert gelassen habe, wenn ihre Verbesserung auf mehr als eine Art geschehen konnte, (z. B. iurgiam ist, obgleich gl. Hrabani iurgium haben, stehen geblieben, weil das nebenstehende litis auch lites seyn und der Glossator iurgia ge= setzt haben kann). Verschiedene Flexionen der Synonymen sind nur dann gleichförmig gemacht, wenn nicht allein die Uebersetzung, sondern auch der andere cod. keinen Zweifel über die gültige Flerion läßt. Auch wo der Schreibfehler die Mißdeutung des Uebersezers erklärt, ist nichts geändert, (z. B. auf S. 145 aeuita, auf S. 143 avenis, und agere. auf S. 155 aut). Schreibfehler, bei denen auf irgend eine Weise ein Zweifel statt finden kann, ob sie aus Versehen des Abschreibers entstanden sind oder in der damals üblichen Orthographie oder Aussprache ihren Grund haben, find gleichfalls, wenn sie nicht der andere Coder berichtigt, stehen geblieben (z. B. galleatus, uindit für uendit, cafcinne und caccinne für cachinnus etc.).- Die in der da= maligen Unkunde des Lateinischen begründeten Fehler, so wie überhaupt die übliche Orthographie jener Zeit, sind nur auf Autorität des andern Coder verändert und dadurch für die beiderseitige Uebersetzung gültig gemacht. (An den nachher alleinstehenden Reichenauer Glossen habe ich, da das Latein nur für

Am Deutschen habe ich nichts ge

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