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Um den Zwang der kirchlichen Schriften von sich zu weisen, verwarfen Manche jede kirchliche Auctorität. Allein es waren andere Gewährsmänner, denen sie folgten, oft sehr widersprechende und unsichere; es waren sogenannte philosophische Systeme, welche man in die heiligen Bücher zu tragen versuchte; es waren willkürliche Ausle gungen des biblischen Textes, welche der Schrift oft alle Kraft und Wahrheit, allen Zusammens hang und Tiefe raubten; es.war ein endloses Scheis den des Allgemeinen und Zeitlichen, ein Heer von Meinungen und Erläuterungen aus allen Religionen und Mythen, wodurch man sich um so weiter von der wahren Erkenntniß entfernte, je wes uiger sich der Geist Gottes wirksam zeigen konnte. Manchen dienten die biblischen Wahrheiten als Ans fangspunkte ihrer freieren, philosophischen Untersu chungen, oder richtiger eines flachen Empirismus, der besonders in den lezten Jahrzehenden sehr um sich gegriffen hatte.

Andere schloßen sich zwar an den kirchlichen Lehrbegriff an. Aber um nicht die Formel, zu der sie sich nicht ganz bekennen wollten, weil sie ihnen zu eng oder zu weit, zu flach oder zu unverständlich erschien, zu verwerfen, sv legten sie ihr einen eigenen Sinn unter, angeblich, um den tieferen, geistigen Sinn der Lehre zu ergründen. Aber sie

in den Worten der Artikel der Augsburgischen Confeffion enthalten." Theil 2. Buch XVI. 18, 14.

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thaten damit der kirchlichen Lehre einen Zwang an und konnten keiner Partei genügen. Mitten unter diesen streitenden Parteien hat sich vornämlich unter den biblisch-praktischen Theologen und in der christlichen Gemeinde die einfache Wahrheit in ihrer Reinheit erhalten. Sie bilden in Vergleichung mit den theologischen Schulen die größte Anzahl, und in ihnen beruht die Würde und das Gedeihen der protestantischen Kirche. Sie erklä ren die heilige Schrift nach den Gesezen, welche bei jeder andern Schrift angewendet werden, vor Allem aus der Schrift selbst; sie wissen aber da bei, daß sie Gottes Wort treiben. Und auf diesem Wege, dem christlich-historischen, stimmen sie in den Grundwahrheiten mit der Augsburgischen Confession zusammen, und freuen sich dieser Uebers einstimmung als eines Zeichens, daß die Lichter ris der protestantischen Kirche im Wesen und Grunde die Wahrheit gesehen haben, und auf der einzig richtigen Bahn gewandelt sind.

Dieß erkennend versucht man in der neuesten Zeit, die symbolischen Bücher mit Hülfe eines tieferen Studiums der Geschichte und einer ernste ren Philosophie zu erklären, und ihre Wichtigkeit und innere Vortrefflichkeit nachzuweisen. Die Zeit muß aber erst lehren, welcher Gewinn aus diesem Verfahren für die protestantische Kirche selbst ers wachsen dürfte..

4) Ob die Confession nach dem Willen der Reformatoren eine Lehrvorschrift sei?

So wenig als die Verfasser der übrigen syms bolischen Bücher Lehrvorschriften geben wollten, so wenig war dieß bei der Confession der Fall, Die Reformatoren zeigten durch den Namen: Bekenntniß die Bestimmung dieser Schrift deutlich genug an, und so wie sie nirgends in ihr eine Verpflichtung für andere Lehrer aussprachen, so ließen sie auch nicht ab, die christlichen Lehrer zum Predigen nach der heiligen Schrift zu ́ermahnen. Hiemit vergleiche man die Geschichte des Reichstags, die Versuche Melanchthon's, hin und wieder im Bekenntniß eine Veränderung anzubrin gen, und den ausdrücklichen Beisaß, daß nicht alle, sondern nur die vorzüglichsten und streitis gen Lehren im Bekenntnisse auseinander gesezt seien, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß die Lehrer des Evangeliums keineswegs durch jene Bekenntnißschrift gebunden werden sollten.

Jedoch muß zugegeben werden, daß die Con, fession von den Reformatoren und der ganzen evangelischen Kirche für eine sehr wichtige Urs kunde angesehen wurde, deren Inhalt kein Eins zelner verändern durfte. Denn dafür zeugt der laute Tadel, der den großen Melanchthon traf, als er zu Gunsten der Reformirten Veränderuns gen zu machen wagte. Auch war unter den Res formatoren und ihren protestantischen Zeitgenos sen nur Eine Stimme, daß die Confession in der

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heiligen Schrift gegründet und darum lautere Wahrheit sei. Und daher rührte es, daß man die Confession als eine Schranke gegen willkürliche Lehren aufstellen wollte, ohne sie jedoch zu einer Lehrvorschrift zu erheben.

5) Ob die Confession eine Lehrvorschrift seyn fónne?

Ob nun gleich die Confession keine Lehrvors schrift seyn sollte, so lassen sich doch Gründe ans führen, warum sie es gewissermaßen (vgl. S. 238 ff.) seyn könne, ohne daß den Reformatoren zu nahe getreten wird. Geht man nämlich davon aus, daß der Protestantismus am reinsten im Lutherthume erschien, und daß, wo Luther's Geist sich wirk sam zeigen kann, der Zweck des Christenthums vollständig erreicht werde, so kann eine Schrift, in welcher das Lutherthum gehörig entwickelt ist, als eine Lehrnorm der protestantischen Christenheit gelten. Eine solche Schrift ist aber die Augsburs gische Confession; denn sie ist das reinste Ers zeugniß des Lutherthums. Sie ist überdieß frei von allen feinen Bestimmungen, Beweisen und Erläuterungen; an ihr haben die lutherischen Chris sten etwas Gemeinsames, Bestimmtes und Deut, liches, an dem sie einander erkennen; die Grunds lehre der heiligen Schrift, welche zugleich die Grundsäule des ächten Protestantismus ist, die Lehre von der freien Gnade Gottes in Christo, ist in ihr schriftgemäß gelehrt. gelehrt. Alle diese Gründe führen zu dem Resultate, daß ein Lehrer, der sich

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genau an die Confession hält, seinen Zweck der christlichen Belehrung, Besserung und Beruhigung erfüllen, zum gründlicheren Verständniß der hei ligen Schrift anleiten, und dem, was derselben entgegen ist, kräftig begegnen könne.

Auf den Einwurf, daß dann der Predigt des Buchstabens nicht gewehrt, vielmehr Vor: schub gethan werde, weil die gedrängten, des hi: storischen Gewandes entkleideten, aller praktischen Beziehung ermangelnden Glaubensfäße einen ängst lichen oder beschränkten Lehrer veranlassen würden, immer wieder dieselben Formeln vorzutragen, wo durch der Segen des Christenthums aufhören würde, läßt sich antworten: erstens ist die Buch. stabenpredigt des Evangeliums, so wenig sie auch den Forderungen des Christenthums entspricht, doch noch besser, als das Gerede des Unwissenden oder des Halbwissers, der seine selbstgemachte Weisheit zur Schau trägt. Denn das Evange lium, welches in der Confession unleugbar mit bibe lischen Worten wiederholt ist, trägt schon in seiner Form den Stempel der Göttlichkeit und Unveränders lichkeit an sich. Zweitens geht bei denen, welche das Christenthum auch nur dem Buchstaben nach aufgefaßt haben, eine Belehrung leichter und sicherer von Statten, wenn sie einmal auf dem geraden Wege wandeln, und es dringen Irrthüs mer in die unbewachten Herzen der leichtgläubi gen Menge weit weniger ein, als es bei denen der Fall ist, welche auf den Irrwegen der menschlichen

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