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beachten. S hat hier die historische reihenfolge, z1 und E nicht. Letzteres ist gewis das richtige. Verleitet wurde der verfasser zu der falschen aufzählung durch seine quelle, die Veronicalegende in der version D (s. unten), wo Claudius als directer nachfolger des Tiberius erscheint: Tiberius cum gubernaret imperium et Claudium in successionem reipublicae elegisset; auch später wird Claudius als nachfolger des Tiberius genannt; auf ihn folgt dann direct Nero. Der schreiber von S kannte die geschichtlichen tatsachen und wollte den text bessern. Er kommt dabei übrigens zu einem bedenklichen flickvers und einem reim der bei unserem dichter ganz undenkbar ist: Gaius wart do kaiser der auch hiez | Galigola daz man wol weiz, endlich zu dem ebenso unmöglichen versungeheuer nach im wart Galba Otho, Vitellius.

Zur gruppe y stelle ich sodann noch das fragment K, das mit S fast genau wörtlich übereinstimmt. Es wäre darnach wol denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass S eine abschrift von K wäre.

Schwer zu entscheiden ist die frage, ob v. 1603 als beleg für zusammengehörigkeit von S und K geltend gemacht werden kann. Beide hss. schreiben hier daz ir zu den bergen sprechet vnd zu den boumen allen, während Gsp buheln statt boumen lesen. Zu grunde liegt Luc. 23, 30 'dann werden sie anfangen und sagen zu den bergen: fallet über uns! und zu den hügeln: decket uns' (vgl. Hosea 10, 8). Es erscheint darnach zunächst als die selbstverständliche lösung die annahme, dass y den ausdruck buhel, den es nicht verstand, änderte. Dem gegenüber ist nun aber wichtig, dass in der Apokalypse 1) dieselben verse stehen, wo erzählt wird, wie die menschen vor gottes rache fliehen und zu den bergen sprechen und zu den boumen allen: | mugit ir uns bevallen nach Offenb. Joh. 6, 16. Für die Apokalypse ist eine andere lesart nicht überliefert. Dies zusammentreffen ist äusserst merkwürdig. Fänden wir in S irgend ein anderes wort für hügel und dasselbe auch in der Apokalypse, so brauchten wir an einen zusammenhang gar nicht zu denken. Aber die änderung boumen ist gegenüber dem jedermann geläufigen bibeltext so auffallend, dass wir

1) Danz. hs. bl. 93 b.

nicht annehmen können, zwei leute hätten dieselbe unabhängig von einander getroffen. Wir könnten boumen also als unursprünglich nur dann ansehen, wenn wir annehmen wollten, dass die hss. der Apokalypse auf eine gemeinsame vorlage zurückgehen, die von demselben schreiber herrühre wie y. Möglich ist dies ja sehr wol, aber doch immer zweifelhaft. Man wird darnach die lesart boumen doch eher dem original zuerkennen. Die auffallende differenz gegen die quelle kann ihren grund darin haben, dass den dichter der pleonasmus der sich dort findet, störte, während z1 dann in erinnerung an die bibel die stelle änderte. Diese auffassung empfiehlt sich auch deshalb, weil buhel, wie z1 liest, gewis in keinem fall ursprünglich sein kann, da es wesentlich auf Oberdeutschland beschränkt ist; nur im hessischen wird es noch von Vilmar belegt.

Am verhältnis zwischen S und K wird dadurch nichts geändert.

Die gruppe y verdient vor der gruppe z, jedenfalls aber vor der gruppe z1 weitaus den vorzug; Gps sind reich an änderungen und entstellungen jeder art. M steht dagegen im werte den hss. der gruppe y wol gleich. Unter diesen sind wider die besten K und E, während bei S die kritik, mit der der schreiber seiner arbeit gegenüber steht (vgl. die kaiseraufzählung u. a.), die getreue widergabe da und dort beeinträchtigt hat. Unter den nicht fragmentarischen hss. bleibt S aber durchaus die beste, auch sprachlich ist sie die wichtigste (s. oben). Für die textkritik gilt demnach: 1) differieren y und z ganz, so ist in der regel die lesart von y die richtige; 2) stimmt irgend eine hs. von z zu y, oder irgend eine hs. von y zu z, so ist die lesart dadurch gesichert; 3) stimmt je eine hs. von z und eine von y zusammen, während die übrigen hss. alle differieren, so ist ebenfalls dadurch die lesart gesichert (hier sind fälle zufälligen zusammentreffens jedoch leicht möglich); 4) für die partien bis 436 und 573-1412, welche in S fehlen, hat G so viel gewicht als p und s zusammen. Aber auch wenn p oder s zu G stimmt, ist der wortlaut des originals nicht mit voller sicherheit gegeben. Es kann hier nötig sein, gegen die erhaltene überlieferung zu conjicieren.

W und T entbehren textkritisch jeglicher bedeutung.

Zu den willkürlichen änderungen von G (z1?) gehört auch die kürzung der schlusspartie, die in dieser fassung nicht befriedigt; es ist nicht anzunehmen, dass der dichter mit einem so nebensächlichen motiv plötzlich sollte abgebrochen haben: von got han sie (die juden) sich gevirret

und sind im gar unmære;

sus endet sich daz mære.

Dagegen erscheint der schluss in S, der sich an die leser selbst wendet, ganz angemessen, und die ganze partie ist in S präciser und logischer. Ausserdem haben die nur in S stehenden partien gerade so bestimmt den charakter des Heslerschen stils, dass sie nicht als zusätze aufgefasst werden können. Man vgl. den reim 5127 tusent: u sint mit Apokalypse 77b v. 5219 mit 3755. 4741; v. 5302 mit 1951. Endlich beachte man v. 5382 an der wite und an der lenge, an der hohe und an der nidere und 5386 an der smele und an der tufe, an der lenge und an der kurte.

Die änderung geschah wol so, dass in G ebenso wie die schwierige partie 1959-2164, so hier v. 5085-5132 und 5151 -5240 gestrichen wurden und im anschluss daran dann erst die umstellung der partien 5065-84 (4863-82) und 5133-50 (4845-62) vorgenommen wurde.

Schwieriger könnte die frage erscheinen, ob der prolog v. 1-368 dem original angehört. Ueberliefert ist er nur in G, dagegen fehlte er aller wahrscheinlichkeit nach in S. Ob E ihn enthielt, konnten wir nicht entscheiden. Es ist jedoch kein zweifel, dass er ursprünglich ist; denn abgesehen davon dass diese einführungsweise weit eher der gepflogenheit der mhd. dichter, und auch Heslers, entspricht, als die unmittelbare aufnahme des themas, so verleugnet sich auch hier die für Hesler charakteristische diction nicht, die uns schon zur entscheidung über andere fragliche stellen verholfen hat. Man vgl. folgende parallelen: v. 1. 51699. 4125. 4135 do got der werlde began; v. 143 an siner hohen maicstat, | daz was ein vor vorborgen rat entspr. 3375... siner hohen maiestat, daz was ein nach geraten rat; 359 und geruch mich begnaden | in dinen hohen graden entspr. 3399 u. a.

In G, das mit v. 5270 (4912) schliesst, folgt endlich im umfang von 212 versen noch das gleichnis von Lazarus und dem reichen mann. Dass dies unursprünglich ist, bedarf keines

beweises: inhaltlich passt es nicht hierher und formell hat es einen wesentlich anderen charakter. Dass dieser zusatz aber nicht erst in G antrat, sondern schon in der vorlage stand, hat bereits Amersbach mit recht aus der sprache gefolgert. Es ist aber nicht nötig, mit ihm anzunehmen, dass dieser vorlage wider eine andere zu grunde lag, welche bereits mit 4270 schloss, aber die legende noch nicht enthielt. Ich glaube bestimmt, dass in z der schluss noch intact war, und möchte zwischen z und z1 kein weiteres glied einfügen; die verhältnismässig kurze zeit, welche zwischen dem original und G liegt, scheint mir dies zu verbieten. Es ist aber sehr wol denkbar, dass der schreiber von z1 mit 5270 schloss einerlei aus

welchem grunde - und dann das gedicht von Lazarus, das vielleicht schon in z als selbständiges gedicht stand, daran anschloss, indem er wol glaubte, damit einen wirkungsvollen schluss zu erzielen.

II. Die quellen.

1. Die kanonischen evangelien und das Ev. Nicodemi. In v. 369-372 nennt der dichter selbst als seine gewährsmänner die vier evangelisten und Nicodemus, der den unvollständigen bericht jener ergänzt habe, und erzählt dessen bekehrung kurz nach Joh. 3, 1 ff.

Diese gleichzeitige benutzung der kanonischen und apokryphischen quelle teilt unser gedicht mit den meisten mittelalterlichen werken, die sich an Nic. anschliessen; vgl. R. P. Wülcker a. a. o. s. 4 und passim.

Wir müssen und können natürlich für unseren zweck vollkommen absehen von all den controversen, die sich erhoben haben in der beantwortung der frage, wann und wie die unter dem namen eines Ev. Nic. bekannte schrift entstanden ist; zur orientierung sei verwiesen auf C. Tischendorf, Evangelia apocrypha 2, Leipz. 1876, R. A. Lipsius, Die Pilatusakten kritisch untersucht, und auf die zusammenstellung bei Wülcker s. 1 ff. Für uns wichtig ist folgendes. Das Ev. Nic. zerfällt in zwei teile: I. Gesta Pilati von der klage der juden gegen Jesus bis zur auferstehung, und II. Descensus Christi ad inferos, den bericht über die höllenfahrt Christi.

Die Gesta sind in ihrer lat. fassung im wesentlichen nur in éiner recension überliefert (= der griech. recension A); nur éine gruppe von hss., D, wozu sich auch der älteste druck (Hain, Repertorium bibliographicum no. 11749) stellt, weicht in einigen nicht unwesentlichen punkten davon ab. Dieser gruppe D gehörte das unserm dichter vorliegende exemplar der Gesta an. Der text findet sich bei Tischendorf s. 333 ff., die abweichungen von D in den anmerkungen.

Der Descensus ist in zwei lat. bearbeitungen, A und B, erhalten, 1) unserem gedichte liegt A zu grunde. Den text s. bei Tischendorf s. 389 ff.

In den anfangspartien wiegen die kanonischen evangelien als quelle weitaus vor. Nur ganz kurz wird v. 393-425 nach Gesta 1,1 die klage der pharisäer vor Pilatus, aber ohne den klagegrund, berichtet; schon hier ist v. 414-416 = Joh. 18, 14, und im folgenden schliesst sich der dichter ganz an die biblische erzählung an, wobei es im einzelnen oft unmöglich ist, anzugeben, welchem evangelium er folgt.

V.426-456 die fusswaschung nach Joh. 13,4-9 und 12-15. V. 457-486 einsetzung des abendmahls und hinweis auf den verrat in anderer reihenfolge als in Matth. (26, 21 und 26) und Marc. (14, 18. 22) nach Lucas 22, 19. 21. V. 487-505 Judas bietet sich den Juden als verräter an nach Matth. 26, 14 f. V. 506-519 prophezeiung von Petri verleugnung.

V. 520-556 anschliessend an Luc. 22, 35 ff. ein excurs über das geistliche und weltliche schwert. Was darüber ausgeführt wird, entspricht im wesentlichen dem wie die kaiserliche partei im mittelalter den satz auffasste, wonach beide schwerter direct von gott gegeben und gleichberechtigt seien, wie die frage auch im Sachsenspiegel und in der glosse dazu dargestellt wird (vgl. W. Grimm, Vridankes bescheidenheit s. LVII, wo sich auch die weitere literatur über diesen punkt findet). Eine eigene stellung scheint jedoch der verfasser, soweit aus seiner nicht ganz klaren ausdrucksweise hervorgeht, darin einzunehmen, dass er das weltliche schwert dem Petrus, das geistliche dem Johannes zuteilt: eine auffassung welche durch das verhalten

1) Vgl. die gegenüberstellung bei Wülcker a. a. o. s. 4 ff,

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