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der ereignisse durch die erzählung von Veronica und Tiberius nicht eben geschickt unterbrochen wird.

Im diagramm (a. a. o. s. 170) hat Schönbach unser gedicht der gruppe LM zugezählt, s. 206 verzichtet er jedoch selbst darauf, sicheres zu geben. Dies war ihm auch nicht möglich, da er nur die fragmente M kannte, aus denen ihm das verhältnis der namen Volusian und Alban nicht klar werden konnte. Er fasste, da in keiner der anderen recensionen von zwei boten des kaisers die rede ist, den letzteren als boten des Pilatus auf, und vermutete als quelle eine mittelstufe zwischen K und LM. In der tat liegen die verhältnisse womöglich noch verwickelter als er glaubte, da sich bei uns ganz ausgesprochene züge von D und LM begegnen, wie die vergleichung im einzelnen erweisen wird.

Gleich im anfang v. 3712 ff. bei der entsendung des Volusian finden sich spuren beider recensionen. Mit v. 3867 f. (3649 f.) und sprach zu Volusiane, einem sineme caplane vergleiche LM dixit Volusiano, cuidam suo privato, der auftrag v. 3870 (3652) und var nach im uber mer = LM vadas trans partes marinas. Dagegen ist für das weitere D als grundlage zu erkennen: v. 3882 f. (3664 f.) sin hus und sin urbor beschiet er sinen kinden tunc Volusianus secundum veterem legem et ordinationem fecit testamentum domui suae. Ebenso wird übereinstimmend mit D die überfahrtszeit auf ein jahr und drei monate angegeben.1)

Damit bricht aber der dichter diese erzählung vorläufig ab und geht über zu der sendung des boten von Pilatus nach LM v. 3892-4227 (3674-4007). Dieser bote heisst wie in M Adrianus (L Adanus); es folgt dann die krankheit und heilung des Vespasian, ausgeschmückt mit reichlichen erörterungen über das erlösungswerk. Abweichend von LM besteht die krankheit des Vespasian nicht in wespen, sondern in würmern in der nase.2)

1) LM gibt gar keine zeit, K ein jahr und sieben tage an.

2) An wespen ist Vesp. krank noch in der Sächs. weltchronik; Enenkel v. 22241 wand im waren hurnaz ane zal in den nasen überal. Dagegen sind würmer die krankheitsursache im Chronicon S. Aegidii (Massmann, Kchr. 3, 577): Vespasianus, quoddam genus vermium habens in naribus; Beiträge zur geschichte der deutschen sprache, XXIV.

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Während man nun v. 4228 (4008) ff. die fortsetzung der sendung des Volusian erwartet, berichtet unser gedicht von einem zweiten boten, der Albanus') heisst. Motivieren liess sich diese zweite sendung sehr gut mit dem langen ausbleiben Volusians; der directe anlass dazu war aber, dass eben in LM und D die boten verschieden heissen, der name Alban stammt aus LM. Den scheinbaren widerspruch löste der dichter auf diese originelle weise.

Ganz neu, durch die zweiheit der boten begründet, ist natürlich deren zusammentreffen zu Akkers, v. 4239 (4021), worauf sie sich gemeinsam ihres auftrags bei Pilatus entledigen (v. 4246 ff.). Dies selbst, Pilatus' und der juden schreck, des Pilatus versuch sich zu verteidigen sind durchaus nach D, namentlich auch Symeons entgegnung v. 4328 (4110) ff.

daz ich dich wol mac lazen gan oder an daz cruce han

warumb spræche du do sus ich han gewalt din Jesus =D Pilate, dicebas ei: potestatem habeo dimittendi te et potestatem occidendi te. Ausgelassen ist bei uns jedoch die unterredung mit Joseph von Arimathia und Nicodemus. Pilatus' bitte um vierzehntägigen aufschub, die in LM steht, kennt unser gedicht nicht.

V. 4368-92 (4150-74) weiber und männer, die von Christus geheilt waren, kommen und klagen gegen Pilatus, unter ihnen auch Lazarus. Vorbild für diese partie, die sich weder in LM noch D findet, mögen wol wider cap. 6-8 der Gesta gewesen sein (vgl. oben).

v. 4393 (4175) ff. die Veronicageschichte Die Römer fragen nach einem bild Christi wie in D; die nachricht von demselben erhalten sie durch drei juden, in D durch einen namens Marcus, in LM durch Veronica selbst. Die aussagen über die entstehung des bildes stammen aus LM, abgesehen davon, dass sie dort der Veronica selbst in den mund gelegt werden.

ebenso im Vesp. des Wilden mannes v. 192. Das Pass. spricht 269, 38 von wespen, 270, 10 von würmern.

1) Ueber das eindringen dieses namens in die legende, ebenso über den namen Adrian vgl. Schönbach s. 193. Beide namen, Volusian und Alban, finden sich vereinigt in der hs. M, jedoch ohne absicht nur aus einem versehen, vgl. Schönbach, ebda. anm. 1.

V. 4423-61 (4205-43) Veronica gibt das bild nicht von sich, sondern fährt mit nach Rom, und zwar geht abweichend von D und LM der vorschlag von ihr selbst aus. Pilatus wird in ketten mitgeführt, wie in D. In LM wird er erst später auf besonderen befehl des kaisers gefangen.1)

V. 4462-4531 (4244-4313) Volusian berichtet dem kaiser ganz kurz von Christus. Tiberius voll zorn (mit D verwant) droht den juden rache an. Dies ist wol aus der Vespasianlegende hier übernommen. Der weg über den das bild gebracht werden soll, wird mit kostbaren teppichen belegt (M stratis palliis in viam purpureis), darauf erfolgt die heilung, ausführlicher als in M, aber ohne directen anschluss an D, woraus der lohn den Veronica erhält und das ausschmücken des bildes entnommen ist. In directem widerspruch mit dem vorher berichteten steht nun die angabe, dass dieses bild noch in Rom zu sehen sei. Hier hat sich also ganz unabhängig die jüngere tradition über das bild eingeschlichen, die in der vorlage unseres dichters noch nicht zum worte gekommen war (vgl. über deren entstehen Schönbach s. 165 f.). Ueber die quelle, woher dies möglicherweise stammt s. unten, jedenfalls war schon im 10. jh. diese anschauung ausgebildet: 1011 weihte papst Sergius IV. dem tuche in Rom einen altar (Massmann, Kaiserchronik 3, 576).

Die sich v. 4532-60 (4314-42) anschliessende aufforderung des kaisers, Volusian und Alban sollten einen wunsch äussern, und deren bitte, er möge sich taufen lassen, ist eine eigentümliche modification der in D stehenden frage des kaisers und antwort Volusians.2)

V. 4561-85 (4343-67) Tiberius lässt sich taufen, zerstört

1) Auch hierin folgt D der Vindicta (K). Wenigstens müssen wir nach abschnitt 25 annehmen, dass Pilatus gefangen mitgeführt wurde: Judeae optimi apprehenderunt Pilatum ut ducerent ad portum maris. Dem widerspricht allerdings Volusians bericht vor Tiberius: Pilatum autem in Damasco dimisi ligatum et in carcere positum sub fida custodia. LM folgt umgekehrt wider A, wo auch Pilatus später erst ergriffen wird.

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2) Es wäre gar nicht ausgeschlossen, dass der verfasser glaubte, den sinn des lat. textes widerzugeben, indem er petitio falsch als 'bitte' interpretierte und domini mei nicht auf Christus, sondern auf den angeredeten Volusian bezog.

den Isistempel, ') versucht die Römer vergeblich zu bekehren (nach D).

Ueber den tod des Tiberius v. 4586-97 (4368-79), den LM in der fassung unseres dichters nicht kennt, obwol die etymologie ganz im stile dieser recension ist (Schönbach s. 193).

Mit v. 4598 (4380) bereitet der dichter den übergang zur zerstörung Jerusalems vor. Er wusste, dass diese nicht unter Tiberius stattfand, deshalb werden v. 4598-4605 (4380-87) mit einer aufzählung der römischen kaiser eingeschoben. Ueber die differenz der gruppen y und z in dieser stelle und den einfluss von D der hier zu constatieren ist, wurde bereits gehandelt.

Auffallend ist, dass als nachfolger des Nero ein kaiser Anastasius erscheint, unter welchem Vespasian nach Jerusalem fährt.

V. 4606-4714 (4388-4496) der feldzug der in zwei teile zerfällt. Der erste bis zur wahl Vespasians zum kaiser hat in LM und D seine quelle nicht (vgl. unten), erst der zweite ist auch in LM, wird aber bei uns ziemlich selbständig behandelt; die zerstörung Jerusalems selbst ist kurz berichtet, dagegen das strafgericht über die juden weiter ausgeführt.

Fragen wir, auf welchem wege in unserem gedicht die eigentümliche vermengung der beiden recensionen zu stande gekommen sein mag, so haben wir zwei möglichkeiten ins auge zu fassen. Entweder sind beide nebeneinander oder bereits eine contamination derselben benutzt. Gegen die zweite annahme spricht zunächst, dass uns nirgends eine spur einer solchen contamination vorliegt, weder lat. noch deutsch; einzig die hs. M zeigt einen unfreiwilligen ansatz dazu in der doppelheit der namen Volusianus und Albanus für den boten des kaisers (vgl. oben s. 129). Wenn wir auch zugeben müssen, dass eine contamination beider recensionen vorhanden sein und verloren gehen konnte, so ist der ansatz einer solchen als quelle für uns doch auch deshalb sehr zweifelhaft, weil bei uns der lat. text der alten recensionen, wie wir sahen,

1) Vgl. auch Gottfr. v. Viterbo s. 153, dessen darstellung sonst nicht verwant ist.

überall durchschimmert. Dies wäre aber kaum mehr der fall, wenn zwischen diesem und unserem gedicht ein vermittelndes glied läge. Eine deutsche bearbeitung ist dadurch in allererster linie ausgeschlossen, eine lat. wäre eher denkbar, ist aber doch auch unwahrscheinlich. Wir müssen also annehmen, dass unser dichter die alten recensionen selbst beide vor sich gehabt hat, und zwar die rec. LM in einem codex der M jedenfalls sehr nahe gestanden hat, z. b. den von Pilatus entsanten boten ebenfalls Adrian nennt. Falls wir annehmen dürften, M selbst oder eine bis auf die fehler getreue abschrift davon habe ihm vorgelegen, so könnte das dort zu constatierende versehen in der benennung des kaiserlichen boten mitgewirkt haben bei der von Hesler eingeführten zweifachen sendung.

3. Quellen zweiter ordnung.

Ausser diesen schriften, an die unser gedicht in erster linie anknüpft, sind aber noch eine ganze reihe von quellen zweiten grades sicher für einzelheiten von bedeutung gewesen. Eigene erfindung kann dem verfasser mit sicherheit nur in den änderungen in der anordnung einzelner partien zugesprochen werden, z. b. bei Christi ankunft in der hölle, die dadurch dramatischer geworden ist, freilich auf kosten der klarheit.

Diese quellen zweiter ordnung näher zu bestimmen, ist aber in den meisten fällen so gut wie unmöglich. Die ganze ausgedehnte kirchliche literatur, legenden und predigten können in betracht kommen, und dabei muss im auge behalten werden, dass in vielen fällen eine geschriebene quelle gar nicht vorzuliegen braucht, da das meiste wohl als geistiges eigentum jedes gebildeten des 13. und 14. jh.'s betrachtet werden muss, entwachsen 'dem boden weitverzweigter tradition' (Seemüller, Seifried Helbling s. x).

Doch wird auf einiges noch näher einzugehen sein.

a) Legendarisches. Auf sonstige legenden, abgesehen von denen von Vespasian, Tiberius und Veronica, weisen hin die namen der heiligen drei könige: Kaspar, Melchior, Balthasar (v. 1387 f.), die kurze beschreibung der herschaft des Antichrists v. 3602-31 (3386–3415), vgl. Wülcker s. 50 anm. 126, endlich der bericht Seths über den zweig vom baum des lebens, worüber schon gehandelt wurde.

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