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Vorher peinigt sich der dichter mit zweifeln an der treue der geliebten. Er hält es für viel gefährlicher, wenn die dame im jahr auch nur einen wackeren und redefertigen mann kennen lernt, als wenn er das ganze jahr in der nähe eines edeln weibes ist. Denn er muss werben, was schwer zum ziel führt. Sie aber braucht nur abzulehnen, wobei man eher einmal erliegt. 'Für solchen zweifel gibt es aber wider einen trost: von dem glaube ich, dass er mehr ins gewicht fällt als jener (v. 727 ff. ausgeführte) gedanke. Sollen wir beide je unser liebe froh werden, dann kann sie gar nicht anders als immer zu mir zu halten. Andernfalls nämlich (ouch) wird mir zwar von ihr nie liebes geschehen, aber auch ihr schicksal wird schlimm sein; niemand würde das hindern können'. Sie würde nämlich der verachtung aller anheimfallen. Hinter v. 758 ist ein punkt zu setzen, hinter 760 ein komma und hinter 761 ein semikolon. V. 761 lies só (für und) wie die hs. hat. Der sinn von 759 dürfte sein: 'kommt nämlich unserem verhältnis diese hilfe nicht (sc. nämlich dass sie immer auf meiner seite mitkämpft)'.

V. 774 schreibt die hs. wan lip guot noch êre. Noch ist falsch und Haupt änderte es darum in joch, indem er eine verlesung annahm. H. v. A. s. 49 wende ich dagegen ein, dass joch im guten mhd. nicht mehr die copulative bedeutung 'und' habe. Ich nehme an, das auge des abschreibers sei in die darüber stehende zeile abgeirrt, und so stamme das noch aus v. 773. Schönbach sagt s. 378; 'was nennt Saran »gutes mhd.<<? Jedenfalls nicht das des 12. und 13. jh.'s, auch nicht das Hartmanns von Aue, denn da findet sich überall joch, das gleichartiges verbindet'.

Ueberall bei Hartmann? Das rein copulative joch (= unde zwischen zwei zu bindenden begriffen: von diesem ist allein die rede) findet sich nach ausweis der specialwörterbücher, Lachmanns und Haupts anmerkungen sowie der glossare Bechs nie in den Liedern, im I. büchl., Gregor und A. Heinr. Im Iw. hat die hs. A éinmal joh gegen unde in allen andern hss. (v. 4931). Lachmann setzt aber unde in den text mit der bemerkung: 'joh, nicht ganz gegen Hartmanns sprachgebrauch'. Um dies äusserst zurückhaltende 'nicht ganz' zu rechtfertigen, verweist er auf Haupt z. Erec v. 6265, wo aus dem Erec allerdings vier

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V.6456 hat Bech unnötigerweise joch: Haupt mit der hs. doch. V. 7681 hs. noch, Haupt joch. Hier ist noch zu erwähnen II. büchl. 464 hs. noch, Bech joch: ich schlage oben zur stelle ouch vor. Also ist im Erec das rein copulative joch auch nicht ein einziges mal überliefert. Was nun die citierten stellen anbetrifft, so ist in v. 7681 das noch der hs. keine verlesung sondern 'verbesserung' des abschreibers. Das deweder verwechselte er mit weder und setzte dann statt des unde, was gewis in der vorlage stand, das entsprechende noch ein. Verstanden hat er die stelle nicht, wie ein blick auf die überlieferung lehrt. An allen andern stellen bietet die überlieferung auch, und es müsste erst nachgewiesen werden, dass ouch nicht möglich sei. Mir scheint es sehr passend. Es dient offenbar dazu, häufung des unde zu vermeiden.

Schönbachs behauptung, copulatives joch finde sich überall bei Hartmann, ist also dahin zu berichtigen, dass es sich tatsächlich nie bei ihm findet.

Schönbach meint nun auch, joch sei sonst im guten mhd. des 12. und 13. jh.'s üblich. Aber die beispiele des Mhd. wb. (unter no. 1) sprechen nicht dafür. Sie stammen aus gedichten älteren stiles wie Genesis, Kaiserchronik, Alexander u. a. Stellen aus höfischen dichtern fehlen. Auch Lexer fügt nur noch aus der thür. Elisabeth einige hinzu, keine aus obd. quellen. In MF., bei Walther, Gottfried, Wolfram, Wirnt, im Nib.-lied findet sich, soweit ich sehe, kein copulatives joch. J. Grimm, Gr. 3, 271 betont, dass das wort überhaupt im 13. jh. seltener vorkomme, nur die quellen des 12. jh.'s hätten es öfter. Dabei scheidet er aber die bedeutungen noch nicht. Ich sehe also nicht, auf welche tatsachen Schönbach seine aussage über joch stützt, und muss darum meine emendation der büchleinstelle noch immer für die einfachste und richtige halten.

IX. Die echtheitsfrage und die chronologie.

Die ansicht, das büchlein sei ein werk Hartmanns, hat erst Haupt aufgestellt. Sie ist aber nie allgemein anerkannt worden. Bech bestritt sie, ferner Bechstein (Tristan 12, s. 35), Schreyer und Kauffmann (H. v. A. s. 40 f.). Auch Bartsch hat sich dagegen ausgesprochen (Liederd.3 s. XLII unten). Dann habe ich H. v. A. s. 39 ff. versucht, die unechtheit mit neuen gründen darzutun. Trotzdem hält Vogt in seiner recension meiner schrift (Zs. fdph. 24, 244 f.) an Haupts meinung fest und Schönbach verteidigt sie, indem er die gründe einzeln zu widerlegen sucht, die man gegen Hartmanns verfasserschaft vorgebracht hat. 1)

Aber auch Vogts und Schönbachs bemerkungen überzeugen nicht davon, dass Haupt richtig gesehen habe, und sie können nicht überzeugen, weil keiner von beiden den hauptpunkt meines beweises widerlegt. Ja sonderbarer weise wird er von beiden gar nicht erwähnt und scheint von ihnen völlig übersehen worden zu sein. Was Schönbach bemängelt, sind meist nebensächliche dinge. Sie wiegen für sich allein auch nach meiner ansicht nicht schwer genug, die unechtheit zu sichern: es sind beweisgründe zweiten ranges, die nur im verein mit den hauptgründen etwas bedeuten.

Zunächst ist festzuhalten: das büchlein ist ohne den namen des verfassers überliefert. Zweifelt man wie Schönbach nicht daran, dass es Hartmann gedichtet, dann muss dies auch so bewiesen werden, dass keine zweifel mehr bleiben. Es nützt nicht einmal etwas zu zeigen, dass er es verfasst haben könnte.

Wie steht es nun mit diesem nachweis?

Dass es nichts für Hartmann beweist, dass das büchlein unter Hartmanns werken steht (was zudem nicht ganz richtig ist: H. v. A. s. 39 f.), dass es nicht gegen ihn zeugt, wenn sein name hier fehlt, ist selbstverständlich (Schönbach s. 345). Auch die wenigen abweichungen vom wortgebrauch des Auers, die ich im büchlein gefunden, bedeuten an sich nicht viel; ich erwähne sie in meiner arbeit deshalb zum schluss, um zu zeigen,

1) Neuerdings spricht sich Kraus, Zs. f. d. österr. gymn. 1898, s. 242, aus stilistischen gründen für die unechtheit aus.

dass ich ihnen allein keine bedeutung beilege. Die vorliebe für antithesen, pointen u. s. w. leitet Schönbach aus dem allgemeinen charakter des werkes ab: eine abhandlung rhetorischen stiles fordert in der tat eine besondere schreibweise. Und wenn Stahl, Reimbrechung bei H. v. A. s. 24 zeigt, dass die sätze des büchleins wesentlich länger sind als in den übrigen dichtungen, so kommt das vielleicht ebendaher: rhetorik zieht periodenbau nach sich. Auch diese gründe sind also nicht so überzeugend, dass sie allein etwas ausrichteten.

Nun freilich bezweifle ich eben, dass Hartmann auf der höhe seines könnens und seinem wesen nach je im stande war, ein so rhetorisches, unpoetisches, rein dialektisches werk zu schreiben und für poesie auszugeben. Ich vermisse eben das in dem liebesbrief, was Schönbach s. 349 den persönlichen stil des künstlers nennt. Schönbach findet (s. 350 ff.) keine spuren einer fremdartigen, mit Hartmanns persönlichkeit unvereinbaren individualität: ich finde im gegenteil nichts von Hartmanns art die grossen und kleinen entlehnungen ausgenommen. Schönbach hält das büchlein für ein ganz vorzügliches gedicht (s. 368): ich halte es für eine gut disponierte abhandlung und kein gedicht. Hier stehen sich eben die ansichten gegenüber. Streiten lässt sich darüber nicht wol. Auf die angeführten punkte einzugehen ist darum vergeblich. Ich wende mich also zu dem was objectiv klargelegt werden kann und deshalb eher erfolg verspricht.

Schönbach führt unter no. 5 an, die gegner der echtheit sagten, gar vieles befinde sich in dem werklein, das Hartmann nicht zugetraut werden dürfe (s. 350 f.). Bei dieser gelegenheit citiert er auch meine schrift öfters. Die bemerkungen die er s. 350 ff. daran knüpft und die ich dort selbst nachzulesen bitte, muss ich also auch auf mich beziehen. Dabei hat aber Schönbach eins, wie es scheint, völlig übersehen, und das ist um so wichtiger für die beurteilung meiner arbeit, als es eben die bedingung ist, unter der allein ich solche mehr ethischen bedenken gelten lasse. Er übersieht nämlich, dass ich an dem ton und inhalt des büchleins nur darum anstoss nehme, weil ich vorher die überzeugung ausgesprochen habe, dass der liebesbrief nach sämmtlichen dichtungen Hartmanns geschrieben ist. Es heisst auf s. 57: 'fällt das büchlein

überhaupt ans ende der werke des Auers, so kann er aus inneren und formellen gründen nicht der autor sein'. Ich behaupte keineswegs, dass Hartmann unmöglich je ein solches werk habe dichten können, ich behaupte nur, dass er nicht mehr dazu im stande war, nachdem er den Gregor und Arm. Heinr. verfasst hatte. Denn in diesen gedichten spricht sich, namentlich im A. H., eine so schroffe abwendung von dem weltlichen wesen, besonders dem minnewesen aus, dass man nicht annehmen darf, der dichter habe nach ihnen wider ein minneverhältnis angefangen, habe sich wider schrankenlos der welt hingegeben. Auch Schönbach tut das nicht: er stellt eben das büchlein vor Greg. und A. Heinr., in die nähe des Iwein und geht so der eigentlichen schwierigkeit aus dem wege. Aber er geht ihr eben nur aus dem wege und hebt sie nicht weg. Denn der nachweis, dass das II. büchlein nach sämmtlichen werken des Auers anzusetzen ist, bildet den kern meiner beweisführung; den hauptpunkt dieses nachweises aber hat Schönbach (und ebenso Vogt) weder widerlegt noch überhaupt angegriffen, ja nicht einmal beachtet. Wollte Schönbach wirklich dartun, dass meine ansicht unrichtig sei, dann musste er jenen widerlegen und positiv nachweisen, dass das büchlein vor den Gregor und A. H. fällt. Die bedeutung alles dessen, was ich über den charakter der dichtung und die starke benutzung von Hartmanns werken vorbringe, beruht durchweg auf der richtigkeit jenes ansatzes.

Jener hauptpunkt ist folgender (s. 43-45). Paul hat gezeigt, dass die widerholungen in den nicht echten werken Hartmanns nicht absichtlich, sondern zufällig sind.') Bei ähnlichen situationen und gedanken griff der dichter absichtslos zu ausdrücken die er schon früher benutzt oder geprägt hatte. Das tut jeder dichter: man beobachtet es bei alten dichtern ebenso wie bei Goethe und Schiller. Es ist also auch für Hartmann nicht auffallend. Wie umfangreich oder übereinstimmend solche selbstwiderholungen sein können, ist nicht zu sagen. Das hat individuelle gründe, über die sich kaum rechten lässt. Aber eins ist bei den widerholungen des büchleins übersehen worden und wird trotz meines hinweises von

1) Eine ausnahme s. unten s. 31 f.

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