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helfen gar nichts'. Vogts nachweis beruht aber eben auf einer stichprobe. Seine zahlen stimmen überdies genau zu meinen angaben, so dass ich hier weder Vogts noch Schönbachs tadel begreife.

Denn dass das II. büchlein in der zahl der S mit Erec, Iwein, Gregor, A. Heinr. nahezu auf gleicher stufe steht, zeigt meine procenttabelle H. v. A. s. 51. Vogt sagt also mit dem einen teil seiner bemerkung wenn man einmal stichproben zulässt nur das was meine tabelle auch enthält. Nach meiner neuen, vollständigen zählung ist die verwantschaft in diesem punkte noch näher. Dass das II. büchlein im punkte der S dem ersten ferner bleibt, sieht man ebenfalls deutlich aus meiner tabelle s. 51: I. büchl. 13, 99 (jetzt 13, 44) II. büchlein 17, 40 (jetzt 17, 31). Auch damit widerholt Vogt nur meine ergebnisse.

Dass ferner das II. büchl. in der zahl der W den 826 versen vom anfang des ersten ganz nahe steht, habe ich ebenfalls bemerkt. Es folgt aus dem was ich H. v. A. s. 52 mitteile, von selbst. In v.1-800 des I. büchl. habe ich dort s.52 gezählt 87 W: Vogt zählt in v. 1-826 auch 87, also bei 26 versen differenz genau dieselbe zahl! Berechtigt dieser geringe unterschied zu dem urteil, dass meine zählung ungenau sei? Ich bezweifle, dass Vogt bei erneuter zählung wider genau 87 W findet. Da man denselben mhd. vers oft verschieden lesen kann, so finde ich zwischen meiner und Vogts zählung vielmehr eine überraschende übereinstimmung.

Wie sehr nun aber Schönbachs warnung vor dem gebrauch wenigstens unzureichender und nicht genau controlierter stichproben am platze ist, das zeigt sich gerade in diesem falle deutlich, wo er sein urteil über meine statistik eben auf eine solche gründet. Es wundert mich um so mehr, dass Schönbach dieser probe Vogts so viel bedeutung beilegt, als er schon aus meinen angaben über die W des I. büchleins (H. v. A. s. 52) hätte ersehen können, dass er sich gerade auf jene stichprobe nicht verlassen durfte.

Dort (vgl. jetzt oben s. 44 f.) zeige ich nämlich, dass das I. büchl. in metrischer hinsicht unter allen dichtungen Hartmanns eine sonderstellung einnimmt. Es ist für dies gedicht charakteristisch, dass in ihm anfangs die beseitigung der

Beiträge zur geschichte der deutschen sprache. XXIV.

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'einsilbigen verstakte' überraschend gut gelungen ist, dass aber die im anfang erreichte glätte der verse nicht dauert, dass man fast von 100 zu 100 versen das zurückgehen von diesem höheren standpunkt der technik beobachten kann. So kommt es, dass von den beiden hälften des I. büchleins, das, den sog. 'leich' natürlich abgerechnet, 1644 verse umfasst, die erstere unverhältnissmässig viel glattere verse aufweist, als die zweite in der sie z. t. sehr uneben sind. Ich habe H. v. A. s. 52 gezählt I. büchl. v. 1-800: W 87, S = 110,

v. 801-1644: W 136, S120.

Hätte also Vogt seine stichprobe von 826 versen nicht mit v. 1, sondern mit v. 801 begonnen, so würde er das entgegengesetzte resultat bekommen haben.

Ferner habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für die beurteilung der Hartmannschen technik nicht einseitig bloss die W oder bloss die S herangezogen werden dürfen, sondern auch das verhältnis der W zu den S. Dass dies für den rhythmischen eindruck von grosser bedeutung ist, liegt auf der hand. Wenn wie Vogt sagt, das II. büchl. in den S dem Iw., Greg., A. Heinr. näher, der Klage ferner steht, dafür aber sich dem ersten teil der Klage in den W sehr nähert, so beweist das streng genommen nichts anderes als dass die technik des II. büchleins von der dieser dichtungen grundverschieden ist, da sie eben mit ihren ziffern in der tabelle für Hartmanns werke nicht eingeordnet werden kann.

Das eigentümliche verhalten des I. büchleins in bezug auf das verhältnis der W und S zeigt die neue tabelle oben s. 44 f. deutlicher. H. v. A. s. 52 habe ich versucht es zu erklären. Dort wird es auf das bestreben zurückgeführt, die W-formen zu beseitigen, eine arbeit, deren durchführung die kraft des dichters noch nicht gewachsen war und bei der sie darum allmählich erlahmte. Dass der dichter aber überhaupt die absicht fassen konnte die W zu beseitigen, erklärt H. v. A. s. 53 folgendermassen: 'Hartmann hat versucht, im I. büchlein die formalen gesetze der lyrik durchzuführen. Als lyriker hatte er schon eine ziemliche höhe erreicht, ein feines gefühl für regelmässigen versbau bekommen, mit epischen dichtungen hatte er sich gar nicht beschäftigt. Was wunder wenn er in einem gedicht dessen inhalt ja der minnepoesie entnommen

ist, auch die formglätte derselben anstrebt? Er sucht schon jetzt die brücke zwischen der neuen tradition der lyrik und der alten der epik zu schlagen, deren vollendung erst einer viel späteren zeit vorbehalten war'.

Diese erklärung ist aber aus gründen der rhythmik unmöglich. Ich konnte sie nur zu einer zeit aufstellen, wo ich in übereinstimmung mit den üblichen anschauungen die tiefe kluft noch nicht sah, die zwischen 'strengem' und 'poetischem' rhythmus liegt. Eine einwirkung der lyrik, die in jener zeit ja keine buch-, sondern eine singlyrik war, auf die reimpaardichtung ist in der weise, wie ich es H. v. A. annahm, ausgeschlossen. Musik und poesie haben ihre besonderen traditionen, und ihre formen können sich nicht mehr beeinflussen, wenn sie sich einmal differenziert haben.

Es gibt nur einen weg von strengen musikalischen rhythmen zu poetischen, den worauf ich unter anderm auch in der abhandlung über die metrik Otfrieds von Weissenburg hingewiesen habe. Es können gewisse liedgattungen im verlauf der historischen entwickelung ihre strenge form, auch die melodie aufgeben und zur poesie übertreten, aber von den strengen formen der musik führt zur ausgebildeten sprechpoesie unmittelbar keine brücke, jedenfalls nicht in dem sinne, wie es H. v. A. s. 53 angenommen wurde. Die sonderstellung des I. büchleins muss demnach anders erklärt werden. Das ist auch nicht schwer.

Die W und S werden im büchlein zweifellos mit absicht vermieden. Hartmann will sich eine neue verstechnik schaffen. Warum tritt dies bestreben nun gerade im I. büchlein so deutlich hervor? Eben aus dem I. büchlein erfahren wir, dass Hartmann vor abfassung desselben eine reise nach Nordfrankreich gemacht hat. An den höfen dieser gegend herschte die neue ritterliche dichtung, besonders die Chrestiens. Sie lernte Hartmann dort kennen und bewundern. Dass er bald entschlossen war diesem muster nachzustreben, beweisen Erec und Iwein, die die ersten früchte seines studiums sind. Mit dem inhalt jener höfischen dichtungen prägte sich aber seinem ohr auch der anmutige, gleichmässige fall des afrz. achtsilblers in seinem alternierenden rhythmus ein. Die erste reimdichtung die er nach der rückkehr verfasste, war nun, wie man gewis mit recht annimmt, das I. büchlein. Sie wird darum natürlich

metrisch noch am meisten unter dem einfluss des frz. verses stehen, dessen gang Hartmann möglichst genau nachbilden wollte. Das ist auch der fall, freilich nur in der ersten hälfte (bis 800). Denn es gelang dem dichter nicht, den vorschwebenden rhythmus in der sprache durchweg auszuprägen: es gelang einigermassen nur im anfang der dichtung; in der andern hälfte erlahmt die kraft, und die alte rhythmik zieht den dichter wider an sich. Jenen versuch macht Hartmann dann nicht wider. Er strebt nunmehr danach, das alte heimische und das neue frz. versprincip zu vereinigen, eine versart zu finden, die das charakteristische der frühmhd. technik nicht ganz aufgebe und andererseits doch dem vorbild des frz. achtsilblers folge. In der tat macht Hartmanns vers, wie ihn besonders der A. Heinr. zeigt, die mitte zwischen altheimischer und französischer technik. Vgl. auch Beitr. 23, 94 ff., wo für die lyrik ähnliche tendenzen nachgewiesen werden.

Das merkwürdige verhältnis der beiden hälften des I. büchleins in metrischer hinsicht erklärt sich also sehr einfach daraus, dass dies werk noch unmittelbar unter dem eindruck französischer verse gedichtet ist und sich bestrebt, diesen möglichst widerzugeben. Erst später hat sich Hartmann sein eigenes rhythmisches ideal geschaffen.

Es ergibt sich somit, dass meine statistischen zählungen in jeder hinsicht die chronologie bestätigen, die man aus der vergleichung der selbstzeugnisse gewonnen hat.

Von der reimbrechung aus zu einer chronologie zu kommen hat K. Stahl versucht in seiner dissertation 'Die reimbrechung bei Hartmann von Aue', Rostock 1888 (rec. von Glöde, Lit.-bl. 1889, s. 407). Er gewinnt die reihe ErecGregor Iwein A. Heinr. Diese stimmt mit der meinigen, insofern sie Erec und A. Heinr. an den anfang und schluss, Gregor und Iwein in die mitte setzt. Aber mir scheint die ganze art, wie Stahl seine untersuchung ansetzt und führt, methodisch nicht richtig und darum sein ergebnis unverwertbar. Glöde ausserdem meint s. 408, reimbrechung allein gebe nicht den ausschlag: sie sei nur im verein mit vielen andern kriterien beweiskräftig. Ich habe keine untersuchung hierüber angestellt, glaube aber auf grund der angaben Stahls doch, dass jenes kriterium einen hohen wert hat, bei richtiger verwendung.vielleicht auch allein genügt.

Ueber die rhythmische bedeutung der reimbrechung wird Zur metrik Otfrieds v. Weissenburg s. 194 f. gehandelt. Es ist dort die rhythmische entwicklung kurz angedeutet, deren notwendiges schlussglied die brechung der rime bildet. Aus jener darstellung ergibt sich auch, nach welchen regeln die erscheinung statistisch aufgenommen werden muss. Man hat von der tatsache auszugehen, dass ein reimpaar von haus aus den wert einer musikalischen periode hat; der erste vers ist vordersatz (a), der andere nachsatz (b). In der musik der geschlossenen, strengen form hat sich das wort der weise und ihrem rhythmus unterzuordnen. Also muss da entsprechend der melodieführung am periodenschluss (d. i. hinter dem zweiten reim) ein relativ starker, auf der cäsur (d. h. hinter dem ersten reim) ein relativ schwacher sinneseinschnitt statt haben. Jedenfalls muss der cäsureinschnitt schwächer sein als der am periodenende, weil sonst die periode nicht zusammenhalten würde (vgl. Beitr. 23,52f. [§22]). Schwindet nun der strenge rhythmus nebst melodie, so wird das alte verhältnis von cäsur und periodenschluss zunächst traditionell gewahrt. So ist es noch in der ahd. und frühmhd. dichtung. Allmählich aber ändert sich das. Man bestrebt sich, aus ästhetischen gründen das verhältnis der schlüsse umzukehren. Dadurch wird das rhythmische system der periode zerrissen: die rême werden gebrochen. Eine lockerung des periodensystems und eine vorstufe zur brechung ist es schon, wenn die cäsur dem periodenschluss an stärke gleichgemacht wird.

Will man nun statistisch aufzeigen, wie sich dieses bestreben geltend macht, so darf man nicht mit Stahl das verhältnis von satz und reimbrechung in den vordergrund stellen. Ebensowenig darf man reimbrechung nur da annehmen, wo hinter dem ersten reime ein punkt steht (Stahl s. 11). Man hat vielmehr einfach die fälle zu zählen, in denen jedesmal die innere verbindung eines reimpaares loser ist als die verbindung des ersten reimverses mit dem vorausgehenden oder des zweiten mit dem folgenden, oder in denen beide reimpaare völlig auseinander gerissen sind. So würde z. b. im I. büchlein gebrochen sein reimpaar 1/2. Gebunden ist 3+4; weiter: 5/6, 7/8, 9+ 10, 11+12, 13/14, 15+ 16, 17/18, 19/20 etc. Dabei wären schwere und leichte fälle der brechung bez. bindung zu scheiden. Nützlich ist es vielleicht, die fälle besonders zu zählen, in denen

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