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herrn und nach dem kreuzzug je wider ein so lebhafter gedankenaustausch zwischen dichter und hörerkreis statt fand, ob Hartmann seit der zeit nicht mehr an leser als an hörer dachte, u. dgl.

Beachtenswert scheint mir sodann, was Zwierzina selbst zugibt, dass nicht der ganze Iwein auf der höhe der vollendung stehe. In den letzten 500 versen finden sich, wie es s. 481 heisst, ‘zahlreiche nachlässigkeiten'. Ebenso s. 484: 'gesat steht in jener partie, in der wir bereits zu widerholten malen reime erscheinen sahen, die der dichter sonst im Iwein mied'. Ist das ein hinweis auf das nachlassen in der arbeit am ausdruck, das der Gregor zeigt? Offenbar wurde der schluss des Iwein wol etwas eilig ausgeführt. Auch die ersten 1000 verse sind nicht gleich sauber wie die mitte; vgl. s. 502 f.

Der Iwein ist also darum so vollkommen in der sprache, weil der dichter darin mit höchster anspannung die regeln beobachtete, die er sich gegeben. Sobald er weniger sorgsam sein kann oder will, treten formen wider ein, die er eigentlich verbannt hat.

Ferner muss man bedenken, dass jene verbesserungen des ausdrucks mit vollem bewusstsein, mit rücksicht aufs vorlesen in andern dialekten gemacht wurden. Es sind darum zum grossen teil nur vorsichtsmassregeln, aber nicht allmähliche technische fortschritte wie jene glättung der verse. Was aber bewusst, auf grund deutlicher regeln (zuweilen, wie Zwierzina meint, auch auf grund unrichtiger anschauungen, vgl. Kraus s. 41) geschieht, kann jederzeit laxer ausgeführt oder nach belieben unterlassen werden. Eine statistik muss darum solche dinge individuell behandeln. Metrische fortschritte geschehen i. a. aus dem gefühl heraus; continuität ist darum als das princip anzunehmen, nach der ihre statistik zunächst beurteilt werden. muss. Continuirliche zahlenreihen bei wortwahl und reimgebrauch darf man, glaube ich, schon theoretisch nicht verlangen.

Wichtig ist auch bei der beurteilung von 'rückfällen' zu scheiden, ob sie formen und wörter betreffen, die dem dichter als seinem dialekt zugehörig geläufig waren oder andere dinge. Hartmanns dialekt eignet kam, kámen. Es steht im Erec 86 mal (81000), im Iwein 7 mal (ca. 1: 1000), im Gregor

21 mal (5 1000), im A. Heinr. 1 mal (ca. 1: 1000). Von den 7 fällen des Iwein finden sich 6 in v. 1-1000. Der siebente (v. 3143) ist also 'rückfall'. Was bedeuten diese zahlen? Man könnte sagen, Iwein und A. Heinr. stehen ungefähr gleich: also haben wir hier einen beweis für die späte abfassung des Iwein. Das wäre aber unrichtig.

Zunächst ist klar, dass der dichter nach dem Erec meiden will, die genannten formen zu reimen. Grund ist nach Zwierzinas einleuchtender vermutung s. 503, dass er erfuhr, jene formen seien dialektisch und würden anderswo durch kom, komen ersetzt. Aber seit wann meidet sie Hartmann wirklich. Wann hat er also jene sprachliche beobachtung gemacht? Zwierzina bemerkt wider ganz richtig: um v. 1000 des Iwein.

Wie soll man nun aber die chronologie damit vereinigen? Ist Iwein das letzte der werke, dann haben wir die auffallende tatsache: v. 1-1000 steht fast ganz auf dem standpunkt des Erec (6: 1000). Aber sowol der Gregor (5: 1000) wie besonders der A. Heinr. (1: 1000) stehen erheblich besser. Wenn Zwierzina s. 503 oben meint, Iw. 1-1000 stehe noch ganz auf der stufe des Erec und Gregor, so ist das etwas viel behauptet, mindestens beurteilt er die differenz von 3 pro mille in diesem falle etwas zu gelinde.

Bleibt also nur die annahme: Iw. 1-1000 ist ein rückfall in die technik des Erec. Das meint auch Zwierzina s. 503. Er fügt hinzu: 'solche rückfälle zu anfang neuer, sonst sorgfältiger gereimter gedichte sind uns ja nun schon etwas altbekanntes'. Ueber das einmalige kam des A. Heinr. äussert er: 'wenn es nicht zufall ist'. Ich will ihm hier nicht vorrücken, was er s. 458 fussn. 2 andern vorhält. Aber sehr überzeugend für die chronologie Lachmanns ist die verteilung der kam, kámen doch schwerlich. Der fall wiegt besonders schwer, weil es sich um ein unentbehrliches, alltägliches wort handelt. Nehmen wir meine chronologie an, so deutet sich die sache leicht, wie mir scheint.

Erec und Iwein 1-1000 stehen gleich, weil sie auch zeitlich einander folgen. Um v. 1000 macht Hartmann jene beobachtung und meidet nun die formen bis auf einen zufälligen rückfall im Iwein ganz, mit vollem bewusstsein.

Zwischen Iwein und Gregor liegt eine lange arbeitspause,

vielleicht der kreuzzug, der tod des herrn u. a. Darum im Gregor wider die seit Iwein 1000 verpönten formen, aber doch nicht so zahlreich wie Iw. 1-1000. Der rückfall ist um so leichter zu verstehen, als die formen dem dialekt Hartmanns angehören, ihm also von selbst in die feder flossen. Erst im A. Heinr. sind sie wider ausgemerzt, der darum dem Iwein in dieser beziehung nahe steht, streng genommen ihn an sorgfalt in diesem punkt übertrifft.

Endlich macht der versbau vom Iwein zum Gregor einen merklichen fortschritt. Hat die arbeit am rhythmus die aufmerksamkeit des dichters vom sprachlichen abgelenkt? Vgl. Zwierzinas erörterung s. 455 unten.

Diese erwägungen und bedenken die ich mir erlaubt habe hier noch vorzubringen, machen es mir unmöglich, meine chronologie der werke Hartmanns für unrichtig zu halten. Wenn ich auch das problem durch meine darlegungen oben s. 27 ff. noch keineswegs für erledigt erachte, so sehe ich doch bis jetzt gar keinen grund, einen rückzug anzutreten. Es wäre im interesse der sache zu wünschen, dass Zwierzina den s. 451 verheissenen stringenten beweis in umfassender weise wirklich in angriff nähme. Falls er gelingt, werde ich gern meine ansicht mit der richtigeren vertauschen.

[Berichtigung. In der disposition auf s. 5 ist die stelle z. 20. 21 v. u. nicht eine clausel, sondern sie gehört, wie s. 61 zeigt, zur beweisführung selbst. Sie ist also an die vorausgehenden worte 'durch die huote (90-102)' in corpusschrift angeschlossen zu denken. S. 8, z. 9 tilge 'III' und 'fast', z. 15 'III' und z. 17 ff. die worte 'Ein besonderer schluss wirken'.]

HALLE a. S., 24. october 1898.

FRANZ SARAN.

ZUR ROMANISCHEN UND DEUTSCHEN

RHYTHMIK.

Beitr. 23, 66 ff. habe ich versucht nachzuweisen, dass der begriff 'zehnsilbler' in der romanischen rhythmik mehrdeutig sei. Hinter einem vers der im text 10 silben aufweist, können die rhythmischen formen des sechsers und des vierers dieser in gepresster art stehen. Es handelt sich nun darum, den wichtigen rhythmischen unterschied schon aus dem text zu erkennen. Auf s. 79 ist gezeigt, wie dazu die sogenannte 'cäsur' nach genauer terminologie vielmehr 'binnencäsur' zu nennen (vgl. a. a. o. s. 47, § 8. s. 49, § 10) — und ihre behandlung dienen kann.

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(bez. LA) ist eine Er hat als primäre

weit verbreitete und sehr einfache form. reihe einen verhältnismässig schwachen einschnitt. Im text braucht derselbe nur leicht (durch wortschluss) angedeutet zu sein; zuweilen wird er völlig übergangen, so dass nur die modulation der ganzen reihe die grundteilung erkennen lässt. Man spricht im letzten fall von 'versen ohne (binnen-)cäsur'; nicht ganz richtig, man müsste denn 'cäsur' geradezu als ‘einschnitt' verstehen. Der vierer, das dekasyllabon (s. 75 ff.), hat als secundäre reihe eine viel stärkere binnencäsur: sie ist unter allen umständen ein einschnitt und darum im text stets zu sehen. Denn sie ist, wie s. 77 zeigt, aus einer früheren 'cäsur' entstanden dadurch, dass die periode von 2 gliedern, jedes zu 4 takten (bez. füssen) in ein viertaktiges glied von 2 abschnitten umgewandelt ist. Die grenze zwischen den gliedern, d. h. die 'cäsur', wurde somit zu einer grenze zwischen abschnitten (vgl. s. 47, § 8), d. h. einer 'binnencäsur'. Diese umwandlung heisst 'pressung und ist ein vorgang, aus dem

allein sich die eigentümlichen formen erklären, die die moderne instrumentalmusik vorzugsweise benutzt und die der antiken rhythmik ganz fremd sind. Die hauptform des dekasyllabons ist im französischen ; (bez. ^).

Der anschaulichkeit wegen mögen hier einige analysen dekasyllabischer strophen folgen. Durch ligaturen (im schema durch angedeutet) und einmischung anderer verstypen wird das bild gelegentlich ein wenig verdunkelt.

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Béranger, Le coin de l'amitié, in Musique des chansons de Béranger, Paris, Garnier frères, s. 14:

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a-b.
с d
c-dd-d

zeile 1a, 1b, 2a,
3a ist der zehn-

3b, 4a des rhythmischen schemas zu sehen. silbler auf einen andern gepressten rhythmus componiert: in 2b ist ein achtsilbler mit vielen ligaturen so weit gestreckt, dass er für einen gepressten vierer ausreicht. Der primäre vierer würde in der umgebung von pressrhythmen stören. Derartige freiheiten sind erst neueren stiles: einfluss der instrumentalmusik liegt darin vor. - Die vierte periode ist dreigliedrig. Aus der melodie folgt, dass der letzte sechssilbler ein b', d. h. eine schlusswiderholung ist. Vgl. Rhythm. § 10 (s. 49). Auch diese zeile ist hier auf einen gepressten rhythmus gezogen und tritt daher in 4b als gepresster abschnitt, in 4b' als ge

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