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und glücklicher als irgend eine andere Periode unserer langen, wechselreichen Geschichte, mit dem zunehmenden Verständnis für unsere Vergangenheit, mit dem Aufblühen der philologischen und geschichtlichen Studien auch die Teilnahme für Walthers Poesie erst recht in die Breite und Tiefe wachsen lassen. Eine Fülle von Monographien legt davon Zeugnis ab. Zu den schon erwähnten Arbeiten treten zahlreiche Beiträge, die der Kritik und Interpretation dienen und andauernd bis in die letzten Jahre hinein das Verständnis gefördert haben. Anmerkungen und Anhang unserer Ausgabe werden davon Zeugnis abzulegen haben, wie es schon die Anmerkungen zum ersten Bande tun.1) Wackernell (1877), Schönbach (1889, 3. Aufl. 1910), R. Wustmann (1913) u. a. haben populäre Biographien verfaßt; zusammenfassend und weiterbauend zugleich ist Burdachs aus der Allgemeinen Deutschen Biographie 41, 35 ff. (1896) mit

1) Genannt seien hier: Bech Germ. 32, 117; Bechstein Germ. 12, 475; 15, 434; Bezzenberger ZfdPh 6, 33; Braune PBb 40, 216. 345; 41, 189; 42, 123. 134; Bruinier ZfdUnt 28, 159; Burdach PBb 8, 461; Sitzungsber. d. Königl. Preuß. Akademie d. Wiss. 1903, S. 612; Deutsche Rundschau 29, 38. 237; Cutting Mod. Lang. Notes 22, 7; Mod. Phil. 12, 101; Fasching Germ. 22, 429; 23, 34; Herm. Fischer ZfdA 49, 154; Germ.-rom. Monatsschr. 7, 157; Frantzen Neophilologus 1, 27; 3, 130; Giske ZfdPh 15, 66; 17, 365; 18, 57. 210. 329; 20, 189; 26, 451; R. Hildebrand ZfdA 38, 1; Hoefer Germ. 14, 201. 416; Hoffmann-Krayer PBb 30, 564; Hoornstra Neophilologus 3, 129; Jellinek PBb 43, 1; v. Kraus ZfdA 48, 532; Kück ZfVolksk. 27, 129; Lucä ZfdA 30, 351; 33, 254; Martin ZfdA 47, 319; Mettin PBb 18, 536; R. M. Meyer ZfdA 49, 386; Möller AfdA 36, 197; Nagele Germ. 24, 151. 298; H. Paul PBb 2, 550; 5, 447; 8, 161. 471; van Poppel Neophilologus 2, 190; Priebsch Mod. Language Review 13, 230; Prosch ZfdPh 15, 358; Roethe, Die Gedichte Reinmars v. Zweter, Leipzig 1887; ZfdA 41, 300; 44, 116. 196; 57, 130. 132; Prager Deutsche Studien 8, 505; Sitzungsber. d. Preuß. Akademie 1918, S. 279; Rieger ZfdA 46, 181. 381; 47, 56. 225; Saran PBb 27, 199; Schade Wissensch. Monatsblätter 3, 29. 107. 126; Schönbach ZfdA 39, 337; Beiträge zur Erklärung altdeutscher Dichterwerke, I: Die älteren Minnesänger, Wiener Sitzungsberichte 141 II 1889, II: Walther v. d. Vogelweide, ebenda 145 IX 1902; Edw. Schröder ZfdA 45, 438; 46, 90; ZfVolksk. 27, 121; Sievers PBb 35, 204; Singer PBb 44, 451; Steinberger ZföGymn. 57, 193; Steller PBb 45, 307; v. Unwerth PBb 41, 512; Wackernell Germ. 22, 280; Wallner ZfdA 39, 184. 429; 40, 335; PBb 33, 1; 34, 188; 35, 191; 43, 178; 44, 117; P. Walther Germ. 30, 310; 32, 197. 299; Zarncke PBb 2, 574; 7, 582; I. V. Zingerle Germ. 21, 47; 32, 165. 257. E. Gärtner, Die Epitheta bei Walther v. d. Vogelweide. Kieler Diss. Celle 1911. Vgl. Wilibald Leo (L. v. Leinburg), Die gesamte Literatur Walthers v. d. Vogelweide. Eine krit. - vergl. Studie zur Geschichte der Waltherforschung. Wien 1880. Außerdem 1, S. 389 f.; V, 169a.

wertvollen Beigaben wieder abgedruckte Darstellung 'Walther von der Vogelweide. Philologische und historische Forschungen I', Leipzig 1900.

Die Herausgabe der Jenaer Liederhandschrift durch Holz, Saran und Bernoulli (Leipzig 1901 in 2 Bänden), insbesondere die Ausführungen Sarans über die Rhythmisierung im 2. Bande S. 91 ff. im Zusammenhang mit dem PBb 23, 44 über die Rhythmik der Minnelieder in MF und in Sarans Deutscher Verslehre, München 1907, Vorgetragenen, neuerdings die Arbeiten von C. v. Kraus, Zu den Liedern Heinrichs von Morungen (Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-hist. Kl. NF XVI, 1, Berlin 1916) und Die Lieder Reinmars des Alten (Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosoph.philolog. und hist. Kl. XXX, 4. 6. 7, München 1919) haben eine eingehendere Beschäftigung mit der Form der Waltherschen Dichtungen als gesungener Poesie vorbereitet, die der Textkritik wie der Erklärung noch mannigfach zugute kommen kann. Der der Wissenschaft zu früh entrissene Kurt Plenio hatte hier glücklich eingesetzt: Strophik von Frauenlobs Marienleich PBb 39, 290 ff. (1914); Metrische Studie über Walthers Palinodie PBb 42, 255 ff. (1917); Über deutsche Strophik ebenda 280 ff.; Kolometrie ebenda 285 ff.; Bausteine zur altdeutschen Strophik ebenda 411 ff.; 43, 56 ff. (1918). 1)

Es wird sich nun zeigen müssen, wie weit die begonnene Arbeit unter den veränderten Verhältnissen Fortsetzung findet und ob die angezündete Flamme auch in den dunklen und kalten Tagen, die uns bevorstehen, leuchten und wärmen wird.

19244

1) Vgl. auch oben S. 19 und Anm. über die Melodien zu Walthers Liedern.

1. Der Leich.

3, 1. Über Inhalt und Form vgl. 1, S. 41 ff.; 1, S. 220f. Das Gesetz der strophischen Poesie, daß die Strophenschlüsse mit Ruhepunkten in der Gedankenentwicklung zusammenfallen, gilt nicht für die Leiche. Wie in anderen Gedichten dieser Art tritt vielmehr auch in dem Leiche Walthers mehrfach das Bestreben hervor, die Abschnitte des Sinnes nicht mit den metrischen Abschnitten, wie sie durch Reim und Vers als zusammengehörig bezeichnet werden, zusammenfallen zu lassen. So greifen die Sätze 3, 4-9. 15-22. 23-26. 4, 19-26. 6, 10-12. 20-23. 7,3-10. 6-20 aus einem Abschnitt in den anderen hinüber, und namentlich die kurzen Absätze des Schlusses sind in dieser Weise miteinander verbunden. Auch die Art, wie in v. 3, 28f. und 7, 21 das Thema der folgenden Abschnitte dem Vorhergehenden angehängt ist, erzeugt eine ähnliche Wirkung.

Die beiden Hauptteile entsprechen sich metrisch (vgl. W. Meyer, Der Ludus de Antichristo, S. 182). Jeder besteht aus acht korrespondierenden Abschnitten, die zur leichteren Übersicht im Text mit Nummern bezeichnet sind. Völlig gleich sind die Abschnitte 2. 6. 8; bei den übrigen beschränkt sich die Übereinstimmung auf die Hauptsache: sie zeigen Unterschiede in der Verszahl, Reimstellung oder inneren Einteilung der Verse, ihre Verse aber sind gleich in der Zahl der Hebungen und im Reimgeschlecht. Man darf daraus auf eine Wiederkehr der Melodie schließen, mit leichten Modifikationen. Die Einleitung und der Schluß stehen von den Hauptteilen nicht ganz unabhängig. Die Verse der Einleitung wiederholen sich in den Abschnitten I, 2 und II, 2 und im Schluß 7, 28-32. 35-38; die Verse der Abschnitte I, 1 und II, 1 beginnen auch den Schluß 7, 25-27; und die vier letzten Abschnitte des Ganzen 7, 33-8,3 wiederholen der Reihe nach die Metren der Abschnitte 1-4.

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Daß zwei Abschnitte von gleichem Bau unmittelbar nacheinander wiederholt werden, wie es in den älteren lateinischen Sequenzen der Fall zu sein pflegt, und auch in den deutschen Leichen häufig genug vorkommt, findet sich in Walthers Gedicht deutlich in den Abschnitten I, 6 und II, 6; die siebenten Abschnitte bestehen deutlich aus je drei Versikeln, ebenso I, 4 und I, 5, während II, 4 und II, 5 nur aus je zweien bestehen; bei den anderen ist die Gliederung umstritten. In den Abschnitten 5 und 7 werden jetzt nach dem Vorgange von Bartsch allgemein innere Reime angenommen. Im ganzen Leich sind nur katalektische und akatalektische Vierer und Sechser verwendet, aber in mannigfacher Variation. Verse von mehr als vier Hebungen ohne Zäsuren kommen nicht vor. In Lachmanns Ausgabe sind sie unbezeichnet 4, 12. 34. 37; 6, 28—31; 8, 3. Über die Anlage des Leiches haben gehandelt Bartsch, Germ. 6, 187-195; 0. Schade, Wissenschaftliche Monatsbl. 3, 29-32; Roethe, Reinmar v. Zweter, S. 355; v. Winter

feld ZfdA 45, 145 ff.; Gottschalk, Der deutsche Minneleich, Marburg. Diss. 1908, S. 8ff.; Plenio PBb 39, 290ff. 42, 4781; Steller PBb 45, 307 ff. Das Ganze ist ein chorisches Lied, s. zu 7, 27.

Wann Walther den Leich gedichtet hat, ist ungewiß; vgl. 1, S. 221. Zur Überlieferung: Zarncke PBb 7, 599 ff. Zur Interpretation: Fasching Germ. 22, 436 f. 23, 34ff., Schönbach ZfdA 39, 337 ff.

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3, 1. Der Dichter beginnt mit einem Bekenntnisse der Dreieinigkeit. Vgl. Symbol. Athanas. 3f. Fides autem catholica haec est, ut unum deum in trinitate et trinitatem in unitate veneremur (Walther v. 4f.). . Et in hac trinitate nihil prius aut posterius, nihil maius aut minus. Sed totae tres personae coaeternae sibi sunt et coaequales (v.2f.) Ita ut per omnia, sicut iam supra dictum est, et trinitas in unitate et unitas in trinitate veneranda sit. Notkers Katechismus (MSD3 LXXIX A, z. 71. 159): Daz ist diu állicha gelouba daz uuir einen Gót êreên an trinitate unde trinitatem an unitate.. Unde an dirro trinitate ne ist nehein dax fórderôra, nehein daz hinderôra, nehein daz mêra, nehein daz minnera... Núbe alle dri personae sint ébenêuuig unde ébenmaze. So daz in alle uuis, so ouh fore gesugêt ist, ze êrênne si drisgheit in einigheite unde einigheit in drisgheite. Vgl. LXXIX B z. 40 (trinussida und einnussida), z. 85

Ckk21

(diu drisgheit in einnigheite). Über den Gebrauch der Bekenntnisformel in deutscher Dichtung s. MSD3 Anm. zu XXXI, 30 v. 9f. (2, 181). — diner Trinitâte, Dat. abhängig von jehen v. 4; das Objekt ist der Satz: mit drîunge etc. 'Gott, von deiner Dreieinigkeit bekennen wir: die Drei ist mit der Dreiheit eine Einheit (Weseneinheit mit Personendreiheit)'. Lachmann vergleicht MSH 2, 362 der drien iemer ein êwic (einic) gotheit ist. 2. besliezen zusammenschließen (im mhd. nicht = consilium capere). welche dein Vorausdenken von Anbeginn (ie) weise vereinigt hatte.'

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I.

15

3,13 1. Sîn rât und brodes fleisches gir
die hânt geverret, hêrre, uns dir.
Swâ disiu zwei dir sint ze balt,
sît dû der beider hâst gewalt,
Sô tuo daz dînem namen ze lobe,
und hilf uns daz wir mit dir obe

20

geligen, und daz dîn kraft uns gebe
so starke stæte widerstrebe,

2. Dâ von dîn name sî gêret

und ouch dîn lop gemeret. Dâ von wirt er gunêret,

der uns dâ sünde lêret

25 3. Und der uns ûf unkiusche jaget:
sîn kraft von dîner kraft verzaget.
Des sî dir iemer lop gesaget,

und ouch der reinen süezen maget,
Von der uns ist der sun betaget,
der ir ze kinde wol behaget.

4, Person wird von allen Theologen betont (Schönbach ZfdA 39, 337).

3, 13. Der entsprechende Abschnitt im zweiten Teile besteht aus 10 Versen mit anderer Reimbildung. Haupt vergleicht Mai und Beaflor 22, 38 der tief und blædes (var. A: brædes) vleisches gir. Vgl. Singer, PBb 44, 451f. 14. die. Ein auf zwei singularische Substantiva verschiedenen Geschlechtes bezügliches Pronomen steht der Regel nach im Neutrum Pluralis (7, 4), doch gestatten sich die mhd. Dichter nicht selten, von der Neutralform abzuweichen: so hier, während es im folgenden Verse regelrecht disiu zwei heißt. Vgl. 75, 16 dâ sulen wir si brechen beide (er und sie). Grimm, DGr. 4, 281. MhdEB § 310. 15. balt, trotzig und aufsässig, wie 55, 34. — 17. Bei seiner eignen Ehre wird Gott beschworen, des Feindes Übermut schädigt sein Ansehn. Diese natürliche Anschauung be

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gegnet nicht selten. Beispiele aus lat. Hymnen s. Germ. 23, 35.

3, 22. und ouch s. zu 15, 1.

3, 25. Der entsprechende Abschnitt im zweiten Teil hat 7 Verse und andere Reimbindung. unkiusche, allgemein: Zügellosigkeit und unreine Begierde. Schönbach ZfdA 39, 338 zitiert Hugo Cardin. super Hierem. c. 5: diabolus in se fortis est, sed debilis in conspectu Dei. 28 f. Mit diesen Versen gewinnt der Dichter den Übergang zu dem weit ausgeführten Lobe der heiligen Jungfrau. 29. betagen gebären begegnet öfters: vgl. das Licht der Welt erblicken. 4, 1. behaget, wohl nach Luc. 3, 22 tu es filius meus dilectus, in te complacui mihi. Aber mit dem Begriff des Gefallens verbindet sich der des Angemessenseins und Zustehens. Kudrun 1222, 2 ob ex iu wol möhte von erbe her behagen, ir soldet landes

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