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thes. 7 und 11); einige andere Punkte seiner Ansicht gibt er S. 368 in drei Fragesätzen, welche wir später noch berühren werden (s. unten). Wissenschaftlicher, wenn auch rein skeptisch geht Ensfelder zu Werke (Études sur le Héliand, Strassburger Dissertation 1853). Derselbe verwirft ebenso wie Schmeller, Püning, Koene, die Autorität der Praefatio, nur dass er sein Urtheil zu begründen sucht. Er hebt hervor, wie wenig genau die Beschreibung des Werks in der Praefatio in allen Einzelnheiten auf den Heliand passe, manche Züge kämen mit viel grösserem Rechte dem Werke Otfrids oder Caedmons zu. *) Dazu macht er geltend, dass die den Schluss der Praefatio bildende Anekdote oder Sage sich mutatis mutandis bei Beda über den angelsächsischen Dichter finde, und dass der grosse Widerspruch zwischen jener Praefatio und dem Heliand nur durch gewagte Hypothesen beseitigt werden könne. Besonders gilt dies von dem Umstande, dass auch nicht die geringste Spur des alten Testaments zu finden sei. Ensfelder weist daher jede Belehrung aus der Vorrede zurück, aber ebensosehr die Vermuthung Schmellers, dass der heil. Ludger der eigentliche geistige Vater des Werkes sei eben deshalb, weil sie ein blosser Einfall ist und begnügt sich mit dem, was er aus dem Charakter des Werkes selbst über desselben Ursprung schliessen zu müssen glaubt, nämlich 1) der Heliand müsse verfasst sein kurz nach der gewaltsamen Bekehrung der Sachsen; 2) der Verfasser sei ein Sachse gewesen; 3) Er müsse zum Clerus gehört haben, da ein Laie weder die Kenntnisse hätte haben können, welche in dem Gedichte niedergelegt sind, noch auch so grosses Interesse, seine Landsleute zu Christen zu machen. Auf Ensfelder folgt der Zeit nach Grünhagen, der in einem Programm des Breslauer Friedrichs-Gymnasiums von 1855 einen geistreichen Aufsatz,,,Otfrid und Heliand, eine historische Parallele" betitelt, veröffentlicht hat. Dieser kann sich nicht völlig von der fraglichen Praefatio trennen. Er bezieht sie auf den Heliand, und zwar aus demselben Wahrscheinlichkeitsgrunde, der auch von andern Seiten geltend gemacht wird: es sei nämlich undenkbar, dass ein so bedeutendes Werk, wie das in der Praefatio geschilderte spurlos verloren gegangen sei. Indessen hält sich Grünhagen nur an den ersten Theil der Praefatio, in welchem berichtet wird, dass Ludwig der Fromme einem sächsischen Volkssänger den Auftrag gegeben habe, den Inhalt der heiligen Bücher in der Volkssprache zu besingen. Er verwirft aber, abgesehen von dem zweiten Theile, d. i. der durch Ferunt eingeleiteten Sage, die Angabe, dass auch

*) Pag. 22 stellt er folgende Alternative auf: Nous sommes donc en droit de nous poser ce dilemme: ou bien notre préface n'est pas authentique, soit en ne caractérisant pas exactement le poëme qu'elle veut nous faire connaître, soit en parlant d'un poëme purement imaginaire, ce qui est peu probable; ou bien elle est authentique, et alors elle parle d'un poëme aujourd'hui inconnu. Dans les deux cas nous la récusons, parcequ'il ne saurait y être en aucune façon question du Héliand.

das alte Testament von demselben Dichter bearbeitet worden sei. Einmal dürfe man ein so gewaltiges Unternehmen, altes und neues Testament poetisch darzustellen, so wie wir das letztere im Heliand behandelt sehen, jener Zeit nicht zutrauen; zweitens aber trete der Heliand in seinem Anfange ganz und gar als selbstständiges Werk auf. Seine Ansicht spricht Grünhagen S. 7 so aus:,,Wenn wir uns die ganze Vorrede, wie sie uns vorliegt, aus zwei ganz verschiedenen Nachrichten zusammengesetzt denken, so dass vielleicht mit jener Notiz über Ludwig den Frommen, die in ihrer Form sich für gleichzeitig ausgibt, die Sage von Caedmon in Folge einer Verwechselung verschmolzen worden wäre, so könnte man denken, dass durch diese Verwechselung erst und weil Caedmon mit der Erschaffung der Welt angefangen haben sollte, das alte Testament auch dem altsächsischen Dichter zugeschrieben worden ist." Freilich sagt Grünhagen nicht, wie er sich diese Verschmelzung innerhalb der Praefatio vorstellt. Eingehender hat zu

letzt Zarncke über unsere Praefatio gehandelt (Ber. d. Verhandl. der k. s. G. d. W. XVII S. 104 ff.). Hier wird zuerst ein entschiedener Versuch gemacht, das, was wenigstens durch seine Einfachheit den Stempel geschichtlicher Wahrheit an sich trägt, von dem Sagenhaften zu trennen. So wird denn als fremdartig das ganze letzte Stück von Ferunt an ausgeschieden. Ausserdem aber fallen einige Sätze aus der eigentlichen Praefatio, in welchen Zarncke die Hand desselben Interpolators entdeckt hat, welcher das ganze letzte Stück anfügte. Die erwähnten Sätze beziehen sich nämlich auf den Inhalt der Sage und können wirklich ganz bequem, der erste sogar nur zum Vortheile des Zusammenhangs, weggelassen werden. Diese erste Interpolation ist enthalten in folgenden Worten: Nam cum divinorum librorum solummodo litterati atque eruditi prius notitiam haberent, ejus studio [atque imperii tempore sed Dei omnipotentia atque inchoantia mirabiliter] actum est nuper, ut cunctus populus suae ditioni subditus Theudisca loquens lingua ejusdem divinae lectionis nihilominus notitiam acceperit. Die zweite Interpolation findet sich ein Stück weiter unten in den Worten: Qui jussis imperialibus libenter obtemperans [nimirum eo facilius, quo desuper admonitus est prius] ad tam difficile tamque arduum se statim contulit opus. Aeusserst ansprechend ist sodann die Vermuthung über den Zweck des Interpolators (S. 109), dass nämlich derselbe die Vorrede hätte in Einklang bringen wollen mit der Erzählung, welche in dem lateinischen Gedichte Versus de poeta et interprete hujus codicis,,,einer offenbaren Nachahmung der bei Beda in der Hist. eccles. IV 24 gegeben Erzählung von Caedmon", vorliegt. Im Uebrigen hält Zarncke an der Zusammengehörigkeit von Heliand und Praefatio fest, auch bringt er ein neues Argument für die Annahme, dass ein erster Theil, welcher das alte Testament umfasste, verloren gegangen sei. Darüber wird später ausführlich gesprochen werden.

Hiermit hoffe ich, in kurzen Worten die Ansichten und Gesichtspunkte, welche bis jetzt von verschiedenen Seiten über die Praefatio und ihr Verhältniss zum Heliand aufgestellt worden sind, in ihren Hauptzügen vorgeführt zu haben, und ich schliesse daran eine Entwickelung meiner eigenen Ansichten über diesen Gegenstand. Es sollen dann die mühsam gewonnenen Resultate einer über die Quellen des Heliand von mir angestellten Untersuchung folgen, vielleicht dass sich nach einer Zusammenstellung und Vergleichung der beiderseitigen Endergebnisse wenigstens einige Punkte für immer feststellen lassen.

I.

Die Praefatio und ihr Verhältniss zum Heliand.

1. Die Praefatio.

Was zuerst die Praefatio betrifft, so scheint seit Lachmann, der die Thatsache wenigstens andeutet (Ueber das Hildebrandslied, histor.-philol. Abhandl. der Berl. Akad. 1833 pag. 127), ganz in Vergessenheit gerathen zu sein, dass uns dieselbe in einer doppelten Fassung überliefert ist, in einer kürzeren, in welcher das letzte Stück von Ferunt an nebst den Versus fehlt, und in einer längeren, in welcher uns diese die Sage erzählenden Stücke erhalten sind. Die letztere können wir zurückverfolgen bis auf das Werk des Flacius, das 1562 erschien (s. S. 1). Von diesem schrieb sie Cordesius ab, dessen Werk 1615 der Oeffentlichkeit übergeben wurde. Lachmann äusserte die Vermuthung, dass Flacius die Praefatio in einer Handschrift der Werke des Hincmar von Rheims gefunden hätte (weil Cordesius in seinem Werke Opusc. et epist. Hincmari sie gleichfalls hat). Allein wer mit eigenen Augen die betreffenden Stellen einsieht, der kann nicht zweifeln, dass die Person des Hincmar hier ganz aus dem Spiele zu lassen ist. Diesen Punkt hat endgültig Zarncke (Abhandl. der k. s. Gesellsch. d. WW. XVII pag. 111) erörtert, nachdem schon Schmeller (Prooem. pag. XIV) dasselbe vermuthet hatte. Die Praefatio findet sich nämlich bei Cordesius am Schlusse des Werks in einem Anhange, der betitelt ist Hincmari Remensis archiepiscopi Epistolae quaedam cum aliis ejusdem aevi scriptis (pag. 505). In diesem Anhange stehen zuerst Schriftstücke, welche von Hincmar herrühren, dann aber steht pag. 615 die Bemerkung: Ne quid ad cognoscendum totum ordinem promotionis Episcoporum deesset, haec sequentia hisce Hincmari monumentis adjecimus. Wenn sich nun unsere Praefatio erst unter den auf diesen Satz folgenden Schriftstücken findet, wer möchte da noch behaupten, dass sie in irgend welcher Beziehung zu Hincmar stehe? Dagegen weist auf Entlehnung aus Flacius, wie

Zarncke ebenso richtig bemerkt, der Umstand hin, dass erst ganz am Ende des Werks eine Anzahl Inedita Aufnahme gefunden hat; man vergleiche S. 711, Nicolai etc. et aliorum epistolae nondum editae. Besonders überzeugend ist jedoch die Uebereinstimmung des Textes, die man aber aus dem Abdrucke bei Schmeller nicht ersehen kann. In der Ausgabe der Testes veritatis nämlich vom Jahre 1562 (der ersten, welche die Praefatio enthält) steht jenes nämliche auctum (statt actum), welches von Zarncke bei Cordesius als Druckfehler verzeichnet wurde. Flacius interpungirt jedoch ... mirabiliter auctum est, nuper ut . . . Ebensowenig sind Vers 1 und 15 Abweichungen, wie man nach Schmellers Abdruck annehmen muss, denn auch Flacius hat laetosque labores (Schmeller: latos) und Spemque suam in modico totam statuebat agello (Schm. lässt in weg). Ausserdem habe ich bei Flacius folgende Abweichungen vom Schmeller'schen Texte bemerkt: Vers. 5 cui culmea testa (Schm. tecta), V. 6 sua lumina (Schm. limina), V. 17. Lucae sua (Schm. luce sua). Wahrscheinlich schrieb Cordesius das Schriftstück nicht aus dieser Ausgabe ab, sondern aus einer der folgenden, in welcher die eben erwähnten offenbaren Fehler corrigirt waren, jedoch nicht aus der von 1608 (pag. 1035), weil in dieser auch auctum verbessert ist. Allein auf Rechnung des Cordesius werden die beiden Druckfehler Qui jussiis (jussis) imperialibus ... und V. II acta palatia (statt alta palatia) kommen. *)

Die Quelle des Flacius selbst wird schwerlich jemals entdeckt werden. Er hat zu keinem Schriftstücke bemerkt, woher er es habe, und scheint dies sogar absichtlich gethan zu haben, um den Werth seines Werks zu erhöhen, wenigstens sagt er pag. 2 der Epist. dedicat.: Quod opus commendarem Christiano lectori, si vel indigeret commendatione, vel me etiam facere eam deceret. Illud igitur solum dico, multas gravissimas ac utilissimas historias, et etiam integra scripta hic inserta esse, quae nusquam alioqui in impressis libris reperiantur, nec facile aliunde quam ex hoc ipso scripto reperiri queant. Zu den letztern wird gewiss auch die Praefatio in librum antiquum lingua saxonica conscriptum gehören.

Die kürzere Fassung kennen wir zu ältest aus dem grossen Werke des Andreas du Chesne, Historiae Francorum Scriptores, Paris. 1636 II, pag. 326 (bei Eckhart Comment. de rebus Franciae Orient. pag. 324 ist fälschlich Vol. I citirt). Kein Wort des Herausgebers leitet die Praefatio ein, sondern es steht nur darüber De translatione divinorum librorum in Theudiscam linguam jussu Ludovici Pii facta, dann die gewöhnliche Ueberschrift, nur dass statt conscriptum, das Flacius und Cordesius haben, das einfache scriptum gesetzt ist. Ueber die Quelle des Du Chesne (oder Quercetanus, wie er latinisirt heisst) sind zwei geradezu entgegengesetzte Behauptungen aufgestellt worden: Lachmann war der Ansicht, dass Du Chesne,,ohne Zweifel"

*) In dem beigefügten Anhange ist die Praefatio mit allen Abweichungen mitgetheilt.

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