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ctator simul et Notarius et Librarius existens, in schedulis ea mandare curavi, quae ab eis exposita sunt etc. Hraban schrieb das Werk also während seiner Lehrthätigkeit. Allerdings hatte Hraban sogleich, als er nach Fulda in den ersten Jahren des 9. Jahrhunderts kam, den Unterricht übernommen, aber damals war er ja noch nicht Priester. Dazu kommt, dass im Jahre 807 einer Seuche wegen, vor welcher die Schüler flohen, die Schule ganz aufhörte. In der Folgezeit aber lag alles geistige Leben völlig darnieder, da der gewaltthätige Abt Ratgar die Mönche fortwährend bei den von ihm unternommenen Bauten anstrengte und absichtlich vom Studium abhielt. Dem Hraban nahm er gar seine Bücher weg, und es ist uns dessen Gedicht erhalten, in welchem er um die Rückgabe derselben bittet (vergl. Kunstmann, Rhab. Magn. Maur. S. 44 ff.). traurigen Verhältnisse aber dauerten fort bis zum Jahr 817, in welchem Ratgar seines Amts entsetzt wurde, also noch drei Jahre nach Hrabans Priesterweihe (Kunstmann S. 51). König Ludwig schickte dem Kloster zunächst zwei Mönche, Altfrid und Aaron, welche zwei Jahre lang an der Spitze des Klosters standen; auch führten dieselben, was uns besonders wichtig ist, das Magisterium der Schule. Erst als im Jahre 819 der unter Ratgar aus dem Kloster vertriebene Mönch Eigil von den Mönchen zum Abte gewählt und als solcher vom Könige bestätigt worden war, erhielt Hraban seine frühere Würde als Magister zurück. Aber auch da kann er nicht sogleich den Matthäuscommentar geschrieben und vollendet haben, denn im Jahre 819 verfasste er ein Werk, Libri de institutione clericorum betitelt, um ein dringendes Bedürfniss zu befriedigen. Im folgenden Jahre *(820) schrieb er ein zweites Werk, De computo, so dass der Commentar zum Matthäus nicht früher, als am Ende des Jahres 821 oder Anfang des Jahres 822 vollendet sein kann.

Nehmen wir demgemäss an, dass über Abschrift und Verbreitung des Werkes zwei weitere Jahre vergingen, und dass der Dichter zur Vollendung seiner Dichtung doch mindestens ein Jahr brauchte, so könnte der Heliand, vorausgesetzt, dass sich alle Vorbedingungen Schlag auf Schlag erfüllten, nicht vor der Mitte des dritten Decenniums des neunten Jahrhunderts entstanden sein. Dies ist also der früheste Termin. Der späteste Termin würde das Jahr 840, das Todesjahr Ludwigs des Frommen sein. Da indessen die Praefatio gleichfalls bei Lebzeiten Ludwigs des Frommen geschrieben zu sein scheint, und zwischen der Abfassung dieser und der des Heliand (wie auch Middendorf S. 47 annimmt) eine gewisse Zeit verstrichen sein muss, so wird die Vollendung des Heliand in eins der zehn Jahre von 825-835 fallen. Ich weiss sehr wohl, dass Middendorf behauptet, die Praefatio müsse noch vor dem Jahre 830 geschrieben sein. Denn mit dem Jahre 830", sagt er S. 46,,,in welchem Ludwig der Fromme zum ersten Male von seinen Söhnen gefangen genommen wurde, trat die Zerrüttung aller Verhältnisse im fränkischen Reiche so stark hervor, dass sie

selbst den Ohren und Augen eines Mönches, wie wir uns wohl den Verfasser der Praefatio zu denken haben, nicht verborgen bleiben konnte, und so konnte dieser unmöglich noch in den dreissiger Jahren des 9. Jahrhunderts mit einer solchen ruhigen Unbefangenheit ein so glänzendes Gemälde von Ludwigs Regierung entwerfen, wie wir es in der Praefatio vor uns haben." Middendorf trat mit diesem Satze namentlich gegen Vilmar auf, der allerdings ohne Begründung in seiner Literaturgeschichte behauptet, dass der Heliand in den dreissiger Jahren des 9. Jahrhunderts entstanden sei. Ich wage diese Annahme weder anzunehmen noch zu verwerfen, sondern halte nur an den Grenzen 825 und 835 fest, wobei es natürlich auf ein Jahr ab oder zu nicht ankommt. Etwas Sichereres können wir nicht erfahren. Was aber Middendorf's Argumentation betrifft, so mache ich nur die Bemerkung, dass der Verfasser der Praefatio auch nicht ein Wort über politische Verhältnisse verliert; und ex silentio kühne Schlüsse zu machen, halte ich für ganz unmethodisch. Ludwigs hohe Verdienste um die Kirche blieben immer dieselben und konnten stets rühmend hervorgehoben werden, wenn auch die letzten zehn Jahre innere Kämpfe, aber doch mit Unterbrechungen, das Reich schwächten.

Schon der Umstand, dass der altsächsische Text sich meistentheils so genau an die Worte der Commentare anschliesst, macht es höchst unwahrscheinlich, dass der Dichter seine Weisheit erst aus Anderer Munde habe. Man denke nur an die mystische Erklärung der Blinden von Jericho. Hier ist ja fast Satz für Satz wiedergegeben, und wie unwahrscheinlich ist es dass ein Mönch ihm erst den ganzen Abschnitt in seine Muttersprache übersetzt habe, und zwar schriftlich, denn wie hätte sich der Dichter, wenn er ein solcher Fremdling in diesen Gebieten war, Alles bis in das Einzelne merken können. Ferner ist die verhältnissmässig geringe Zahl der Erklärungen in Betracht zu ziehen. Ich für meinen Theil bewundere aufrichtig den feinen Takt, mit welchem der Dichter seine Auswahl getroffen hat. Sollen wir etwa annehmen, dass der Dichter eine Art Ahnungsvermögen besessen habe, so dass er wusste, wo in den Kirchenvätern Etwas stände, was ihm zur Aufnahme in seine Dichtung geeignet scheinen würde und nun darnach fragte? Ich verweise auf die wundervolle Ausführung von Petri Reue, wo doch der Bibeltext einem Unbefangenen auch nicht den geringsten Anlass zu einer Frage nach Belehrung geben konnte. Oder sollte ein Mönch dem Dichter diese Auswahl von Erklärungen verabfolgt haben? Man kann über solche Gedanken viel reden, aber es ist unnütz. Denn wer solche Gedanken aufstellen will, hat zuerst die Pflicht, die zunächst liegende Annahme, dass der Dichter allein und selbstständig gearbeitet hat, mit stichhaltigen Gründen zurückzuweisen. Wir haben bei unserer Untersuchung über das Verhältniss des Heliand zu Tatian's Evangelienharmonie nur eine Bestätigung dafür gefunden, dass der Dichter fremde Hülfe nicht gebrauchte, und haben auch hier nicht den geringsten

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Grund, von der entsprechenden Annahme in Bezug auf die Commentare abzugehen. *) Derjenige, welcher am entschiedensten, aber auch am kürzesten ohne irgend welche tiefere Begründung die entgegengesetzte Meinung ausgesprochen hat, war Köne. Derselbe stellt nämlich S. 368 seiner Ausgabe folgende drei Sätze auf, allerdings jeden mit einem Fragezeichen versehen:

1) Der Sänger des Heliand hat sich das Leben Jesu mündlich erzählen lassen?

2) Der Sänger verstand kein Griechisch und Latein, um die Bibel selbst lesen zu können?

3) Der Sänger, ein Sachsenbarde, ist ein junger Christ, kurz vorher bekehrt?

Alle drei Sätze aber folgert er einzig und allein aus der Formel sô gifragn ik, die allerdings mit Variationen sehr oft wiederkehrt. Diese Formel kann Köne sich nicht anders erklären, als dass ein begabter sächsischer,,Barde", der eben erst bekehrt worden ist, die Lebensgeschichte und die Lehren Christi, frisch wie er sie erfahren hatte, poetisch verherrlichte. Daran denkt Köne freilich nicht, dass sô gifragn ik eine alte epische Formel ist, mit welcher z. B. das Weszobrunner Gebet beginnt: Dat gafregin ih mit firahim u. s. w. Ferner bedenkt Köne nicht, dass der Dichter im Eingange seine Quellen angibt, nämlich die vier Evangelisten, welche unter Gottes Beistand die Geschichte Christi niederschrieben. Nun sagt der Dichter freilich nicht, wie Otfrid: Thio buah duent unsih wisi (I 3, 15) oder selbo maht thu iz lesan thar (II 3, 4), aber das wäre auch über die Massen unpassend gewesen. Denn der Dichter des Heliand würde ganz aus der Rolle gefallen sein, er, der in der Weise seiner Väter, die ihren Liederschatz sicher nicht aus Büchern lernten, den Sachsen seine Dichtung in das Herz und in den Mund singen wollte; sagt er doch auch von den Evangelisten, dass diese das Evangelium nicht bloss sollten fingron skrîban, sondern auch settian endi singan endi seggean ford (V. 33). Dieses sô oder thô gifragn ik müssen wir nothwendig als eine Aeusserung jenes Strebens betrachten, das Christenthum in Inhalt und Form deutsch zu gestalten. Otfrid dagegen hatte ja die ausgesprochene Absicht, mit der heidnischen Vergangenheit zu brechen, daher er auch immer und immer wieder die heiligen Bücher erwähnt mit dem Bemerken, dass man dort Alles so lesen könne, wie er es in seinen Versen vortrage. Andere, SO Schmeller, auch Vilmar, haben noch mehr aus derselben Formel herausgelesen. Sie sind nämlich auf den Gedanken gekommen, dass die Dichtung gar nicht die That eines einzigen Geistes sei, sondern dass sie aus einer förmlichen Dichterschule hervorgegangen sei. Natürlich verliert diese Hypo

*) Natürlich kann es mir nicht beikommen, zu leugnen, dass der Dichter öfters bei Erfahrenen um Rath gefragt, und sich schwere Stellen von solchen habe erklären lassen.

these nach unserer obigen Auseinandersetzung allen Boden, auch ist sie von Middendorf Seite 31 schon vollständig zurückgewiesen worden.

Wir sehen also, dass nicht der geringste Grund vorliegt, von der zunächst liegenden Annahme, dass das Werk von einem Dichter, welcher selbstständig sich seinen Stoff sammelte, ordnete und gestaltete, muthwillig abzugehen; zumal, da die Praefatio dieselbe nur bestätigt.

Eine aussergewöhnliche Erscheinung muss der Dichter allerdings gewesen sein, denn sein Werk verräth mönchische Bildung und doch eine innige Vertrautheit mit den Gesängen seines Volkes. Aber ist diese Erscheinung wirklich so unbegreiflich? Wir können uns ein doppeltes Bild entwerfen. Entweder war der Dichter ein Mönch, der aber doch soviel Anhänglichkeit an sein Volk hatte, dass er die Ueberlieferungen desselben auch unter der Mönchskutte treu im Herzen bewahrte; und dies bewirkte eben seine dichterische Natur. Oder er war ein edler Sachse, der in seiner Jugend die Scholae exteriores irgend weiches Klosters besuchte, ohne jemals in das Kloster selbst einzutreten. Hier im Kloster lernte er Latein, wurde er in die christlichen Anschauungen eingeführt. Als er nun den Auftrag erhielt, die evangelische Geschichte zu besingen, so war es ihm wohl möglich, Dank seiner Jugendbildung, den Befehl gerade in dieser Weise auszuführen, wie wir es im Heliand geschehen sehen. Ich gestehe, dass ich mich zu der letzteren Annahme hinneige, doch weiss ich wohl, dass sie nur Conjectur ist. Allein man bedenke die Verhältnisse. Es musste der Dichter nothwendig ein Mann sein, der grata persona sowohl bei den Franken, als auch bei den Sachsen war. Bei den Franken insofern, als er sich nicht bloss mit dem Munde, sondern auch mit dem Herzen zum Christenthum bekannte; *) bei den Sachsen insofern, als er trotzdem ein Mann aus ihrer Mitte war, den sie als den ihrigen betrachten konnten seiner Gesinnung nach, und auf den sie als auf den Sänger ihrer Lieder mit Stolz blickten. Man wird zugestehen müssen, dass es viel leichter war, dass sich diese beiden Bedingungen in einem Laien, als in einem Mönche erfüllten. Dazu kommt, dass die Praefatio nichts von dem Mönchsstande verlauten lässt, und wir dürften doch gerade diese Notiz, wenn sie auf Wahrheit beruhte, zuerst erwarten.

*) Schon Seite 87 ist die einzige Stelle hervorgehoben worden, welche die freundlichen Beziehungen des Dichters zur Geistlichkeit erkennen lässt. Nicht ohne Bedeutung ist auch das Stück 3216-3224, welches den Leuten die Pflichten gegen die weltliche Obrigkeit dringend an das Herz legt. Das Verhältniss der Juden zum römischen Kaiser musste den Sachsen wie ihr eigenes zum fränkischen Könige erscheinen.

Zusammenfassung der Resultate.

Im Laufe unserer Untersuchung haben sich folgende Resultate ergeben: Die bekannte Praefatio ist allerdings auf den Heliand zu beziehen, aber wir dürfen sie nicht als ein Werk von authentischem Werthe betrachten. Ihr Verfasser, offenbar nicht dem Stamme der Sachsen angehörig, zeichnete in ihr auf, was ihm in mündlicher Ueberlieferung über das ihm nur halb verständliche Gedicht zu Ohren kam, sei es dass er seine Aufzeichnung einer Handschrift des letzteren wirklich vorausstellte, sei es dass er sie in einem Miscellancodex aufbewahrte. Da ein Nicht-Sachse schwerlich das ganze Gedicht wird durchgelesen haben, so erklärt sich leicht die irrige Inhaltsangabe. Dieselbe findet sich in derselben Gestalt in den Versus de poeta, auf welche wir, da sie einen ganz sagenhaften Charakter tragen, gar kein Gewicht legen dürfen. Die in den letzten Zeilen derselben enthaltene Inhaltsangabe ist augenscheinlich nur eine lateinische kurze Paraphrase der Einleitung der Dichtung selbst.

Wir fanden keinen Grund, die Nachricht der Praefatio abzuweisen, dass die Dichtung zur Zeit Ludwigs des Frommen und auf seine Anregung entstanden, ebensowenig, dass der Dichter ein Laie und zwar ein bedeutender sächsischer Sänger gewesen sei. Doch muss derselbe andererseits soweit eine mönchische Bildung genossen haben, dass er Lateinisch verstand. Denn nicht nur, dass er sich im Ganzen, oft auch im Einzelnen an die sogenannte Evangelienharmonie des Tatian hielt, hat er auch bei seinem Werke nicht selten die Commentare der Kirchenväter benutzt. Eine genaue Prüfung ergab, dass dem Dichter der Commentar des Hraban zum Evangelium Matthäi, der des Beda zum Evangelium Lucä, der des Alcuin zum Evangelium Johannis vorlagen. Namentlich war die Benutzung des ersteren von weiter gehender Bedeutung. Denn, wie wir bewiesen, konnte Hraban seinen Commentar nicht vor dem Jahre 821 vollendet haben. Genauer konnten wir daher die Abfassungszeit des Heliand in eins der zehn Jahre von 825-835 versetzen.

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