Page images
PDF
EPUB

§. 71.

Die Fortbildung der Erkenntnislehre durch den scholastischen Realismus.

1. Die Scholastiker besaßen den Schlüssel des Erkenntnisproblemes an der idealistischen Grundanschauung, die sie ihrem großen Lehrer Augustinus dankten: Erkenntnis des Seienden ist uns möglich, weil es selbst aus einem schöpferischen Erkennen stammt, die Dinge sind für den Geist, weil sie aus dem Geiste sind, sie haben uns etwas zu sagen, weil sie einen Sinn haben, den eine höhere Intelligenz in sie gelegt hat. Aber auch die Bedingungen zur Durchführung dieser Grundanschauung besaßen die christlichen Denker des Mittelalters, deren erste die ist, daß dem Objekte und dem Subjekte der Erkenntnis die Ausdrücke in dem heutigen Sinne genommen zugleich genug gethan wird, d. h. daß man einerseits ein bestimmendes Einwirken des Objektes auf das Subjekt und darum eine Rezeptivität des leßteren statuiert und doch andrerseits die Eigenart dieser Aufnahme und ihre Bedingtheit durch die Spontaneität des Subjekts anerkennt, oder negativ ausgedrückt, daß die Erkenntnis weder als ein Schöpfen aus dem Innern, noch als ein Resorbieren eines Äußern angesehen wird. Das christliche Denken hatte sich auf andrem Boden, in einer höheren Sphäre geübt, Einpflanzen und Selbstwirken, Anerkennung des von außen kommenden und Verinnerlichung in Einklang zu setzen. Es faßt den Glauben als ein Objekt, welches das Subjekt sich anzueignen hat, fides quae creditur, und doch ebensowohl als eine Bestimmtheit dieses leßtern, fides qua creditur, als ein Gut und

als eine Tugend, als einen Schaß und als ein Erlebnis. So war man auch davor bewahrt, die Erkenntnis der Dinge einseitig, sei es als bloße Hingabe an dieselben, sei es als deren geistiges Erzeugen zu fassen.

Die zweite Bedingung der gelingenden Anwendung des idealistischen Prinzips auf die Erkenntnis ist die, daß dasselbe die Wahrnehmung, das sinnliche Element des Erkennens nicht überfliege, in welchem Falle die Auffassung intellektualistisch wird und die Sinnendinge dem Geiste nichts zu sagen haben. Vor diesem Mißgriffe bewahrte die Scholastiker, abgesehen von Augustinus' Winken 1), die Bedeutung des Sichtbaren für die christliche Weltanschauung überhaupt, in der sich die sinnliche, die intellektuelle und die spirituelle Gewißheit wechselsweise Rückhalt und Deckung gewähren 2).

So konnte der vor der Erweiterung der aristotelischen Studien vorherrschende Platonismus mit seiner Lehre von dem Hervorgehen der Erkenntnis aus dem Innern und seiner intellektualistischen Unterschätzung der Wahrnehmung keinen beirrenden Einfluß auf die Erkenntnislehre üben; so wenig er die universalia ante rem zur Alleinherrschaft zu bringen vermochte. Der Kompaß wies vielmehr von vornherein auf die Auffassung hin, welche bei Bekanntwerden der aristotelischen Erkenntnislehre allgemein wurde und zur scharfsinnigsten Ausgestaltung und Fortbildung dieser führte.

Aristoteles hatte die platonische Ansicht, daß die Seele das Bild der Welt von vornherein in sich trage und es sich nur durch Wiedererinnerung, ávάuvηois, zum Bewußtsein zu bringen brauche 3), durch die Einführung des Potenzbegriffes rektifiziert. Er lehrt: die Seele trägt allerdings in gewissem Sinne die Gesamtheit des Crfennbaren in fid): ἡ ψυχὴ τὰ ὄντα πώς ἐστι πάντα – morin die uralte Intuition von der Zusammengehörigkeit des Makro- und Mikrokosmos 4) ihre spekulative Gestaltung erhält aber dieses Insichtragen ist kein Erfüllt sein, sondern nur ein Bezogen-sein,

[blocks in formation]

dieser Besig ist nun ein bloß potentieller und um aktuell zu werden, bedarf es der Einwirkung der Dinge; diese aber führt nicht die Dinge selbst nach ihrem ganzen Dasein in die Seele ein, sondern nur deren ein: nicht der Stein ist in der Seele, sondern nur dessen Form 1). Den platonischen Intellektualismus aber hatte Aristoteles durch die Einführung des nointixóv, des thätigen Verstandes, überwunden, der das Ergebnis der Sinnesempfindungen verstehend, deutend und darum schöpferisch umbildend er= greift und zum Begriffe erhebt, eine Lehre, in welcher der scharfsinnige Denker ebenfalls nur den Spuren sehr alter Weisheit gefolgt war 2).

Beide Lehrstücke eigneten sich die Scholastiker des XIII. Jahr= hunderts an unter Vorantritt von Albert dem Großen, dessen Aufstellungen Thomas von Aquino zur vollen Klarheit erhob, und sie bauten darauf die Lehre von der species und die andere vom intellectus agens, Punkte, in denen die Scholastik ebensowohl die lückenhaften aristotelischen Bestimmungen zum Abschluß brachte, als die Erkenntnistheorie auf die Bahn leitete, deren nachmaliges Verlassen zu nichts anderem als zu haltlosen Versuchen und zu Verirrungen geführt hat.

2. Die Lehre von der species fußt auf folgenden Überlegungen. Alle Erkenntnis beruht auf einer wie immer gearteten Angleichung von Objekt und Subjekt: omnis cognitio fit per assimilationem cognoscentis et cogniti 3). Sie voll= zieht sich im Subjekte unter Aufnahme des Objekts: Omne intellectum, inquantum intellectum, oportet esse in intellegente 4). Aufgenommen aber wird das Objekt nicht seinem ganzen Seinsbestande nach, sondern nur soweit als es dem Subjekte konform ist: das Erkannte ist im Erkennenden nach der Weise des Erkennenden: Cognitum est in cognoscente secundum modum cognoscentis, ein Verhältnis, das von jeder Art der Aufnahme

1) Bd. I, §. 36, 5, S. 542. 2) Das. S. 544. 3) Thom. Sum. phil. II, 77.

- 4) Ib. IV, 11.

Willmann, Geschichte des Idealismus. II.

25

gilt: Receptum est in recipiente per modum recipientis 1). Dies verfehlten die alten Physiker, wenn sie meinten, wir erkennen die Erde und das Wasser draußen durch die Erde und das Wasser in der Seele, was zu deren Zusammensetzung aus materiellen Teilen führen mußte; aber auch Platon ging fehl, wenn er die Ähnlichkeit der Vorstellung mit dem Vorgestellten so verstand, daß er diesem die Allgemeinheit jener zuschrieb: Hoc animis omnium communiter inditum fuit, quod simile simili cognoscitur; existimabant autem, quod forma cogniti sit in cognoscente eo modo, quo est in re cognita 2). Was erkannt werden soll, muß beim Eintritte in den Erkennenden seine Materialität ablegen und kann nur als eidos diesen Eintritt vollziehen, da es nur so „nach der Weise" des Erkennenden existiert. Das aristotelische eidos übersehen nun die Scholastiker in diesem Zusammenhange mit species, unter Einwirkung des Sprachgebrauchs Augustinus', der vorzugsweise in der species das Mittelglied von Sein und Erkennen erblickt 3). Wir können dafür Bild oder Erkenntnisbild sagen, nur darf der Ausdruck den Gedanken nicht verflachen; es ist nicht so gemeint, daß das Ding draußen ist und ein Bild von ihm drinnen in der Seele, sondern so, daß das Ding draußen und drinnen zugleich ist, draußen in seinem ganzen Dasein, drinnen als Bild, „gleichsam durch eine ideale Repräsentation" 4). Bild ist dabei nicht als Gegensah zum Wesen zu fassen, vielmehr ist dasjenige, wodurch das Ding Bild wird, gerade sein eigentlicher Wesenskern, den es bei Abstreifung der Materialität und beim Einzuge in unser Inneres bei= behält. Das Ding vollzieht mittels des Bildhaften, d. i. Gedanklichen in ihm seinen Eintritt in die innere Bilderwelt, d. i. unsern Gedankenkreis. Durch die species, als ein Daseinselement des Dinges, welches Element aber zugleich der Seele konform ist, wird

-

1) Thom. Quaest. disp. de veritate 2, 2; vergl. Sum. theol. I, 83, 1. 2) Ib. u. Ar. de an. I, 2. 3) Oben §. 65, 3. — 4) M. Gloßner, Das objektive Prinzip der arist. - schol. Philosophie 1880, S. 73. Auf die besonders flare Darstellung der Sache in dieser Schrift sei überhaupt hingewiesen.

der Gegenstand in die Seele eingesezt. Sie empfängt die fremde Form, ohne ihre eigene zu verlieren und das ist der Vorzug der erkennenden Wesen: Cognoscentia a non-cognoscentibus in hoc distinguuntur, quia non-cognoscentia nihil habent nisi formam suam tantum, sed cognoscens natum est habere formam etiam rei alterius: nam species cogniti est in cognoscente 1).

Die Einwirkung nun des Objekts auf das Subjekt vollzieht sich wie jede Einwirkung durch Aktuierung einer Potenz und in diesem Betracht fällt die Verurfachung der Erkenntnis unter den allgemeinern Begriff der Kausation 2). Das Objekt aktuiert die Erkenntniskraft, und zwar nicht in ihrer Totalität, sondern partiell, seinem Erkenntnisinhalte proportional. Die species ist, von dieser Seite betrachtet, gewissermaßen das Erkenntnisvermögen selbst, insofern es durch die Einwirkung des Objekts in einer gewissen Richtung aktuiert und determiniert ist. „Das Erkenntnisbild ist, subjektiv betrachtet, geistig wie das Erkenntnisvermögen selbst, gleichsam, wenn es gestattet ist, so zu reden, aus dem Stoffe der Seele gemacht, obgleich es nach seiner dem Objekte zugewandten Seite dieses selbst nach seinen wirklichen Bestimmungen repräsentiert“ 3).

Diese Theorie wahrt dem Subjekte die spontane Mitwirkung an dem Erkenntnisakte: das Subjekt giebt dem Eindrucke von außen. durch Abscheidung des Materiellen und Abhebung der Form seinen Stempel und es bringt damit zum Vollzuge, was in ihm angelegt ist. Aber den Antrieb zu diesem Vollzuge und jener Stempelung giebt ihm das Objekt, das als species in jenes eintritt und damit die partielle Aktuierung des Erkenntnisvermögens vornimmt, welches von sich aus, wie jede Potenz, nicht zur Aktualität vorschreiten könnte; es ist somit ein Schöpfen der Erkenntnis aus dem Innern und eine Verflüchtigung des Objektes ebenso ausgeschlossen wie ein passives Hinnehmen des Erkenntnisinhaltes durch das Subjekt.

Die Voraussetzung dieser Theorie aber ist die idealistische

1) Thom. Sum. theol. I, 15, 1. a. a. D. S. 73 u. 74.

2) Oben . 376. 3) Gloßner

« PreviousContinue »