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durchleuchtet. Im Sinne eines Thomas und Bonaventura sagt Suarez: Lumen intellectuale est reflexivum in se ipsum: nam intellectus est principium cognoscendi se ut lumen gloriae principium videndi se1).

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Die Einheit des Selbstbewußtseins zu betonen, waren die Scholastiker durch die Polemik gegen Averroes veranlaßt. Die Herausverlegung des thätigen Verstandes aus dem Bewußtsein des Menschen bedrohte die Einheit der Persönlichkeit; ist die thätige Denkkraft außer dem Menschen, so wird der Erkenntnisakt aufgeteilt und dem Selbstbewußtsein der Boden entzogen. Der Mensch vollzieht sein Erkennen nicht selbst, wenn dieses nur das Hineinleuchten des Weltgeistes in die Sinnenbilder ist; mit dem Erkennen fällt aber auch das Wollen: der Mensch ist nicht mehr Herr seiner Akte, Lob und Tadel verliert den Sinn, die Moral wird gegenstandslos 2).

6. Daß die Einheit des Bewußtseins durch die Unterscheidung von Seelenvermögen nicht gefährdet wird, vielmehr die Gleichsezung des Wesens und der Kräfte der Seele der Psychologie verderblich ist, halten alle Scholastikter fest. Es ist im Sinne des Realismus, die Thätigkeitsweisen der Seele durch ursprüngliche Hinordnungen derselben bestimmt zu denken, während der Nominalismus in Begriffen wie Sinnlichkeit, Denkkraft, Wille u. s. w. nur Namen für verschiedene Bethätigungen der einen Seelenkraft sieht und der Monismus prinzipiell das Zusammenfallen von Sein und Thätigkeit in Gott auf die Seele überträgt und so das Wesen der Seele zum unmittelbaren Grunde ihrer Thätigkeit macht. Dem gegenüber lehren die Scholastiker, daß, wie bei allen geschöpflichen Wesen, so auch bei der Seele Sein und Thun, esse und agere, real ver=schieden sind - auch der Ausdruck: formal- verschieden, hat den= selben Sinn; das Sein ist actus primus, sein Grund die Wesenheit, essentia, die Thätigkeit dagegen ist actus secundus, ihr nächster Grund das Vermögen, potentia, aber ihr entfernterer Grund ist ebenfalls die Wesenheit: potentia proximum principium 1) Suar. De fide I, 2, 4. 2) Thom. de unit. intell. adv. Averr.; Op. gratias 16. Ed. Ven. 1754, XIX, p. 246.

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operationum animae 1); potentiae animae procedunt ab ejus essentia sicut a causa 2). Die Seele ist die substantiale Form, die Vermögen sind accidentale Formen; ihr subjectum ist die Seele, welche sie als Potenzen in sich schließt und als Accidentien aus sich entläßt: Potentiae fluunt ab essentia animae sicut. a principio, quia accidens causatur a subjecto, secundum. quod est actu, et recipitur in eo, inquantum est in potentia 3). Als reine Form ist die Seele ein Wirkliches also nicht Potentielles, wohl aber sind dies ihre Vermögen, welche in potentia rücksichtlich dessen sind, was durch die Seele verwirklicht werden soll. Sie ist kein Aggregat, totum integrale, ihrer Vermögen, sondern eine einheitliche Kraftquelle, totum potentiale, einfach aber mehrere Vermögen in sich schließend, durch die sie ihre Kraft in verschiedener Weise bethätigt (virtutem diversis modis exercet 4).

Eine Mehrheit von Seelenvermögen aber ist anzunehmen, weil der Mensch, aus Leib und Seele bestehend, in der Mitte zwischen Geister- und Körperwelt steht und an beider Vermögen teil hat: Est in confinio spiritualium et corporalium creaturarum et ideo concurrunt in anima virtutes utrarumque creaturarum 3). zu unterscheiden sind die Seelenvermögen nach ihren Thätigkeiten und Objekten: Potentiae distinguuntur per actus et objecta das Wort hat in diesem Zusammenhange die uns geläufige Bedeutung: Gegenstand; die Potenz empfängt ihre ratio aus dem Akte, auf den sie hingeordnet ist; die ratio des Aktes aber ist verschieden nach der ratio des Objekts, welches entweder als causa movens oder als terminus et finis wirken kann. Dabei be= gründet nicht jeder Unterschied des Objekts einen solchen des Vermögens, sondern ein solcher liegt nur in den Punkten, auf welche die Potenz hingeordnet ist: differentia ejus ad quod per se potentia respicit 6).

Welch' tiefe Blicke diese Auffassung in das Innenleben werfen läßt, können die im Sinne der Scholastiker gesprochenen Worte

1) Thom. Sum. theol. I, 78, 1. — 2) Ib. 77, 6. disp. de unit. animae. 5) Sum. theol. I, 77, 2.

3) Ib.

- 4) Quaest.

6) Ib. 77, 3.

eines neuern Forschers nähelegen: „Die realistische Unterscheidung der Seele von ihren Vermögen und dieser untereinander hat einen tiefen philosophischen Sinn, welcher der neuern Philosophie in ihrem einseitigen Betonen der Einfachheit der Seele abhanden gekommen ist. Die Seele ist nicht etwas absolut Einfaches; dies ist einzig Gott. Die Seele hat verschiedene Vermögen, und ist in diesen verschiedenen Vermögen, in deren Gesamtheit sich gewissermaßen der innere unsichtbare Mensch gliedert, dessen Gestalt in der ihm angepaßten leiblichen Organisation und Gestalt ihren Abdruc und symbolischen Ausdruck besigt. Das gemeinsame Subjekt jener Vermögen ist das Ich, welches den tiefsten Kern und Gehalt des menschlichen Wesens ausmacht, welcher in fortgesetter Thätigkeit stets mehr und bestimmter gestaltet wird, um die wahrhafte und eigentliche Physiognomie der Seele herauszubilden. Dieses innerlid sich gestaltende Wesen ist in seiner zeitlichen Umkleidung und Verhüllung durch den äußern Menschen dem Embryo zu vergleichen... Die Ausgeburt des innern Menschen fällt mit dem Hinübertritte in die jenseitige Welt zusammen. Der Mensch hat in der Zeit keine Anschauung von seinem Jch, dem verborgenen Grunde seines geistigen Wesens und Lebens; er erfaßt es denkend eben nur als den zwar nicht unerschöpflichen, aber vor Ablauf der Erdenzeit nicht erschöpften Grund ungezwungener Selbstgestaltung, als den Hort seiner sittlichen Freiheit, der sich ihm einst im unverhüllten Lichte der ewigen Wahrheit aufdecken soll. Er wird aber nie dazu kommen, sich selber anzuschauen; denn entweder wird er, auf immer Gott entfremdet, in sich nur einen bodenlosen finstern Abgrund, eine endlose Leere finden, oder er wird, in Gott beseligt, den Blick nach innen wendend, eben nur Gott finden, dessen Gnadensonne in ihm leuchtet, dessen Bild in den geistigen Zügen seines Wesens sich abgestaltet" 1).

1) K. Werner, Franz Suarez und die Scholastik der lezten Jahrhunderte, 1861, II, S. 122.

§. 72.

Die Wissenschaftslehre der Scholastiker.

1. Der Name Wissenschaftslehre gehört der neuern Philosophie an: Kant hatte der Philosophie die Fragen zugewiesen: Wie ist Mathematik, Naturwissenschaft u. s. w. möglich? und Fichte schloß daran an, wenn er die Philosophie als die Wissenschaft von der Wissenschaft behandelte. Ist der Name neu, so ist doch die Sache alt: Platons Theätet und Sophist haben die Frage zum Inhalte: Wie ist Wissenschaft möglich? und Aristoteles' drittes und viertes Buch der Metaphysik enthalten seine Wissenschaftslehre. Augustinus fragt nicht bloß nach den Bedingungen der Erkenntnis, sondern auch nach denen des Inbegriffs der Erkenntnisse, d. i. der Wissenschaft; die Scholastiker, vorzugsweise auf diesen Gegenstand hingewiesen, weil sie darauf ausgehen, die Theologie zur Wissenschaft zu ge= stalten, geben sich nicht bloß über die Frage Rechenschaft: Wie kann es Wissenschaft geben? sondern auch über die andere: Warum soll es Wissenschaft geben?

Das deutsche Wort Wissenschaft bezeichnet ausdrücklicher als das lateinische scientia, daß es sich dabei ebensowohl um ein Objektives, einen Wissensinhalt, als um ein Subjektives, eine geistige Thätigkeit und Bestimmtheit, handelt, während scientia im klassischen Sprachgebrauche nur die subjektive Seite bezeichnet. Die Scholastiker waren durch ihren Realismus davor bewahrt, sich mit dieser Seite zu begnügen, und wie sie überhaupt nicht unter dem Banne der Worte stehen, so prägten sie das lateinische Wort in dem Sinne

Willmann, Geschichte des Idealismus. II.

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um, daß es ebensowohl das scire als das scibile ausdrückte, welches jenem vorausgeht: Scibile praeexistit scientiae 1).

Daß beim Wissen ein Wissensinhalt und eine Wissensthätigkeit zu unterscheiden sind, stand den Scholastikern darum fest, weil das Analoge vom Glauben gilt, bei dem sich die fides quae creditur als Objekt und die fides qua creditur, welche das Subjekt vollzieht, gegenüberstehen. Der christliche Glaubensinhalt ist un= wandelbar, der Glaubensakt vollzieht sich immer neu und wechselnd in den Individuen. Die Frage: Utrum sit una fides modernorum et antiquorum? beantwortet der hl. Thomas dahin: „Wenn unter Glauben das objectum fidei scil. res credita ber= standen wird, wie solches außer der Seele ist, so ist der Glaube bei uns und bei den Vorfahren der nämliche, und der Glaube erhält Einheit durch die Einheit der Sache. Wird dagegen der Glaube nach seiner Aufnahme durch uns (in acceptione nostra) betrachtet, so gestaltet er sich vielfach, vermöge der verschiedenen Ausdrucksweise (plurificatur per diversa enuntiabilia); aber diese Verschiedenheit bringt keine Verschiedenheit des Glaubens mit sich, woraus erhellt, daß alle Gläubigen einen Glauben haben“ 2).

Der Glaubensinhalt ist aber nicht bloß ein beharrender, sondern zuhöchst ein einheitlicher: die veritas increata, und sie ist innerhalb bestimmter Grenzen zugleich Wissensinhalt 3), was im höheren Maße von der veritas creata gilt. Alle Wahrheit ist an sich eine, aber vielfältig in der Auffassung; so erklärt die Glosse das Psalmwort (Ps. 11, 2): Diminutae sunt veritates a filiis hominum: „Wie von dem einen Antlige eines Menschen viele Bilder (similitudines) im Spiegel erscheinen, so entspringen (resultant) von der einen göttlichen Wahrheit viele Wahrheiten.“ Die Wahrheit ist darum höher als die Seele, nicht schlechthin, aber insofern sie deren Vollendung ist, wie auch die Wissenschaft höher genannt werden könnte als die Seele: sicut etiam scientia posset dici major

12.

1) Thom. Sum. theol. I, 13, 7 ad 6.
3) Sum. phil. I, 3; vergl. unten §. 75, 2.

2) Quaest. disp. de fide

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